Mexiko | Nummer 366 - Dezember 2004

Mazahua-Indígenas kämpfen um Wasser

Misstrauen gegenüber den Zugeständnissen der mexikanischen Regierung

Die Wasserversorgung für den Moloch Mexiko-Stadt kommt aus dem entfernten Umland. Dabei werden jedoch die Rechte und Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung gerne übersehen. Nach dem Überlaufen eines Stausees und der Überflutung von Agrarland forderten die Mazahua-Indigenas Schadensersatz und protestierten öffentlich

Gerold Schmidt

Recht grimmig schaute die
Comandanta Victoria Martínez Ende Oktober auf die ausgestreckte Hand des mexikanischen Innenministers. Zwar haben die Mazahua aus dem Bundesstaat Mexiko gerade ein Abkommen mit der Regierung unterschrieben, in denen ihren Forderungen im Rahmen des Wasserkonfliktes auf dem Papier weitgehend entsprochen wird. Doch das Misstrauen bei Martínez und anderen Mazahuas aus dem Landkreis Villa de Allende sitzt tief. Schließlich ist es nur mit öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen gelungen, die offiziellen Stellen zu einer Reaktion zu zwingen.
Maßgeblichen Anteil daran hatte das „Zapatistische Frauenheer zur Verteidigung des Wassers“. Mit Stöcken, Macheten und einigen Holzgewehren bewaffnet demonstrierten deren Anführerin Victoria Martínez und etwa 60 weitere Mazahuafrauen ihre Entschlossenheit, für ihre Rechte einzutreten. Revolutionsheld „Emiliano Zapata kämpfte für Land und Freiheit, wir kämpfen für Wasser und Fortschritt mit Würde“, so die Comandanta. „Wir nehmen bezug auf unsere Geschwister“, die aufständischen Zapatisten im Staat Chiapas.
Ein Jahr lang hatten vor allem die Männer der Gemeindeallianz für die Verteidigung der Menschenrechte und Naturressourcen der Mazahua-Bevölkerung gekämpft. Vergeblich versuchten sie mit Eingaben beim Umweltministerium und der ihm unterstellten Nationalen Wasserbehörde CONAGUA ihr Anliegen vorzubringen. Ausgangspunkt waren von offizieller Seite überhörte Entschädigungsforderungen wegen der zeitweisen Überflutung von 300 Hektar landwirtschaftlich genutzter Flächen. Der Schaden war durch das Überlaufen des nahen Stauwerks Villa Victoria entstanden. Mitte September dieses Jahres waren es die Mazahuas endgültig leid. „Wir haben gemerkt, dass der Gesprächsweg erfolglos war und die Männer nicht für voll genommen wurden. Jetzt sind wir an der Reihe und werden zeigen, dass mit den Mazahuafrauen nicht gespielt werden kann“, begründete Victoria Martínez damals die aktive Rolle der Frauen. Zusammen mit den Männern blockierten sie kurzerhand einen mit 12.000 Liter Chlor beladenen Tankwagen, der für die ebenfalls in der Mazahua-Region angesiedelte Trinkwasseraufbereitungsanlage Los Berros bestimmt war. Die Anlage ist die größte in ganz Mexiko und unabkömmlich für die Wasserversorgung der Hauptstadtbewohner.

Warten auf den Wasseranschluss
Von der Anfang der achtzigerer Jahre gebauten Anlage Los Berros werden pro Sekunde etwa 16. 000 Liter Trinkwasser Richtung Mexiko-Stadt gepumpt. Dagegen warten mehrere Gemeinden aus Villa de Allende seit Jahrzehnten auf einen Anschluss ans Trinkwassernetz. Deshalb beschränken sich die Mazahuas nicht darauf, eine Entschädigung einzuklagen. Schneller Bau der Wasserleitungen in ihre Gemeinden, Unterstützung für ökologisch nachhaltige Projekte in ihrer Region, darunter ein breit angelegtes Wiederaufforstungsprogramm, sind Bestandteil ihres Forderungskatalogs. Sie wollen ebenso Boden zurück, der vor Jahrzehnten mit der Begründung vom Staat enteignet wurde, er werde für die Trinkwasserversorgung und die entsprechende Infrastruktur benötigt. In der Praxis lag das Land aber einfach nur brach.
Die mehrtägige Blockade des Tankwagens ergänzten die Mazahuas schnell mit weiteren Aktionen. Vor Los Berros schlugen sie ein Lager auf, in dem vor den Augen der Bundesarmee das Zapatistische Frauenheer patrouillierte. „Wir haben keine Angst vor der Armee, sondern vor Hunger und Elend, vor der fehlenden Zukunft für unsere Kinder“, machten die Frauen klar. Mehrere Männer warfen sich an Händen und Füßen gefesselt in einen der von Los Berros wegführenden Wasserkanäle. Nur ein symbolischer Akt, doch die Indigenas drohten, dies mit hundert Personen zu wiederholen und sich in den Kanälen verbluten zu lassen, „damit das in den Bundesdistrikt geschickte Wasser mit unserem Blut ankommt. Wir geben das Leben für das, was uns gehört: das Land und das Wasser dieser Region“. Protestdemonstrationen vor der präsidentiellen Residenz und dem Kongresses rundeten die Aktionen ab. Die Medienresonanz war groß.

„Wasser für alle“
Auf einmal konnten die staatlichen Autoritäten schnell reagieren. Wie von den Mazahuas verlangt, bewegte sich Umweltminister Alberto Cárdenas persönlich zu ihrem Protestcamp. Gegenüber der Presse sprach er zwar nur von einem „Brennpünktchen“, doch kam er nicht umhin, die Legitimität der Mazahua-Proteste anzuerkennen. Die CONAGUA sieht sich jetzt in der Lage, die Trinkwasserversorgung in allen Gemeinden von Villa de Allende innerhalb weniger Monate sicher zu stellen und auch die Entschädigungssumme von umgerechnet etwa 140 000 Euro zu zahlen. Einbezogen in die Verhandlungen waren auch das Landwirtschafts- und Innenministerium der Zentralregierung sowie Funktionäre des Bundesstaates.
Das Einlenken der staatlichen Stellen kommt nicht von ungefähr. Zwar sind die Wasservorkommen in Mexiko theoretisch ausreichend für die gesamte Bevölkerung. Doch der offizielle Slogan „Wasser für immer, Wasser für alle“ zeichnet ein falsches Bild. Schlechte Wasserqualität oder ein völlig fehlender Anschluss an das Wassernetz sind vor allem auf dem Land nicht ungewöhnlich.
CONAGUA-Direktor Cristóbal Jaime Jáquez gibt selber „irrationale Nutzung und schlechte Verteilung“ zu. Keine Hundert Kilometer von der Mazahua-Region entfernt liegt beispielsweise mit Valle de Bravo ein weiteres Gebiet, in dem die einheimischen Bauern darunter leiden, dass ein Großteil der Wasserreserven nach Mexiko-Stadt gepumpt wird. Seit Jahren ein Konfliktpotenzial.
Auf der anderen Seite gewinnt in Mexiko die Bewegung gegen die Errichtung immer weiterer Stauseen und der damit verbundenen Flutung ganzer Dörfer an Bedeutung. Proteste gegen den geplanten Stausee San Nicolás im Bundesstaat Jalisco oder das beabsichtigte Wasserkraftwerk La Parota im Bundesstaat Guerrero finden immer mehr Beachtung.

Ungelegener Protest
Nichts könnte der Regierung ungelegener kommen, als dem Kampf der Mazahuas um ihr Wasser angesichts landesweit schwelender Wasserkonflikte dauerhaft überregionale Bedeutung zu verleihen. Der Protest könnte überschwappen. Und Mexiko will sich im März 2006 als guter Gastgeber des nächsten Weltwasserforums profilieren. Nicht als eines der Problemländer.
Allerdings gibt es trotz dieses Hintergrundes und des Abkommens mit den Mazahuas Anzeichen, dass die mexikanischen Autoritäten antesten wollen, wie weit sie mit einer so oft bewährten Zermürbungs- und Spaltungsstrategie bei den indigenen Bauern kommen können.
CONAGUA will offenbar erst 2005 mit Infrastrukturarbeiten in Villa de Allende beginnen. Zugesagt war ein sofortiger Start der Maßnahmen für die Trinkwasserversorgung der Landkreisgemeinden. Die Regierung des Bundesstaates Mexiko will sich zwar finanziell beteiligen, doch erst nach der Übergabe von Bundesmitteln. Auch das Vorgehen bei den Entschädigungszahlungen für die 300 Hektar überflutetes Land ist noch unklar.
CONAGUA stellt sich Zahlungen an die einzelnen Gemeindebauern vor. Dies könnte schnell zu Streit zwischen den Empfängern führen. Die Mazahuas wollen zusammen über die Verwendung des Gesamtbetrages bestimmen.
Ein Wiederaufleben der Proteste ist jederzeit möglich, wenn die Mazahuas keine wirklichen Fortschritte bei der Umsetzung der Zusagen sehen. Sie selbst haben dabei keinen verengten, nur auf die eigene Situation beschränkten Blick. Deutlich haben sie erklärt, den Großstädtern nicht das kostbare Nass vorenthalten zu wollen. Aber sie fordern Gehör und beschreiben ihre Lage stellvertretend für viele Landgemeinden: “Wir tragen zur Wasserversorgung und Entwicklung der Städte, der Industrien und der Touristenzentren bei, aber vielen von uns fehlt es an elementarsten Versorgungsleistungen.”


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