Mexiko | Nummer 416 - Februar 2009

„Ich werde nie mehr einen Aufstand mit Sturmmütze machen!“

In Kassensturz berichtet Marcos von seinem Leben im und mit dem Zapatismus

Im Herbst 2007 führte die Autorin und Journalistin Laura Castellanos für die mexikanische Monatszeitschrift Gatopardo zwei längere Interviews mit dem Subcomandante Marcos. Ihr erstes Treffen fand in Mexiko-Stadt statt, für ein zweites Gespräch reiste Castellanos zum Sup ins Caracol La Garrucha. Vor allem bei ihrem Zusammentreffen in Chiapas bot Marcos eine umfassende Analyse der aktuellen Situation der ZapatistInnen und gab einige interessante Details von seinem Weg in den Untergrund und seinem Leben als Zapatist preis. Dieses Interview so wie das aktuellste zapatistische Positionspapier, die „Sechste Erklärung der EZLN aus dem lakandonischen Regenwald“ von 2005, wurden nun zusammen als Buch veröffentlicht, welches auf Deutsch unter dem Titel Kassensturz (Original: Corte de Caja. Entrevista al Subcomandante Marcos) im Nautilus Verlag erschienen ist. Die LN präsentieren an dieser Stelle einen Auszug aus diesem Band.

Subcomandante Marcos Kassensturz Mit freundlicher Genehmigung des Nautilus Verlags

Nachdem die Fotositzung abgeschlossen war, stieg Marcos ab und fragte mich, wo ich das Interview machen wolle. Ich wollte einen privaten Rahmen. „Dann also los, vielleicht werde ich danach keine Interviews mehr geben“, sagte er zu meiner Verwirrung. Sollte das heißen, dass dies das letzte Interview seines Lebens sein würde? Er sagte etwas zu seinem Begleitschutz und ging auf den Holzschuppen zu, in dem Ricardo, Roberto, fünf Ausländer, die an einer Beobachterbrigade des CAPISE teilnahmen, und ich untergebracht waren. […] Ich schaltete die Glühbirne an, denn der Bau hatte keine Fenster und es war dunkel. Wir setzten uns auf eine der Holzbänke am Tisch, die wir nachts als Bett benutzten. Die beiden Eskorten hielten sich während der vier Stunden, die das Interview dauerte, vor dem Schuppen auf. […] Marcos legte seine großkalibrige Waffe ab und schob sie beiseite. Er postierte seine beiden unabkömmlichen Pfeifen auf den Holztisch. Ich holte meinen Notizblock hervor und schaltete mein Aufnahmegerät an. […].

[Laura Castellanos befragt den Sup über die neue Strategie der ZapatistInnen, weniger zu reden und mehr zuzuhören, und erinnert an den Medienrummel, der insbesondere beim Marsch nach Mexiko-Stadt im Jahre 2001 um die ZapatistInnen gemacht wurde]

„Weniger zu reden und mehr zuzuhören, heißt das auch eine geringere Aufmerksamkeit für Subcomandante Marcos? Warst du denn nicht auch irgendwann von der Aufmerksamkeit der Medien geblendet?“
„Wir sind nicht der Ansicht“, antwortete er ruhig.
„Einige meinen, dass du dich manchmal wie eine Diva aufgeführt hast“, fragte ich nach.
„Nein, wie eine Diva nicht, wie ein Rockstar“, erwiderte er ironisch.
[…]
„Ist dir das Ganze wirklich nie zu Kopf gestiegen?“, insistierte ich.
„Soweit ich weiß, nicht. Nie wurde jemandem willkürlich der Wunsch zu einem Gespräch verweigert.“
„Aber ich meine damit nicht nur die Medien, sondern dass man auf einmal den Eindruck gewann, dass du konfus geworden bist.“
„Ja, ich kann mir durchaus vorstellen, dass dieser Eindruck bei den Außenstehenden erweckt wurde, bei uns nicht, denn die Außenstehenden werden von den Sturmmützen angezogen.“
„Ungeachtet der Sturmmütze bist du ein Mann, ein Mensch, auf den die ganze Aufmerksamkeit gerichtet war; du warst ständig im Rampenlicht und hattest … eine Menge Fans.“
„Fans! Das ist doch lächerlich, was du dir da zusammenreimst“, erwiderte er scharf, während er sich auf dem Stuhl zurechtsetzte. Ich hatte den Eindruck, dass er allmählich ungehalten wurde.
„Beim Marsch der Farbe der Erde 2001 zählte niemand nach, wie viele Menschen auf dem Zócalo waren, das war damals nicht gefragt, aber der Platz war gerammelt voll. Vier Jahre später gab es eine Versammlung in Ciudad Sahagún, in Hidalgo, zu der vier Menschen gekommen waren: der Verkäufer einer linken Zeitung, ein Junge, der Marcos kennen lernen wollte, eine Frau, die zufällig vorbei gekommen war und der Veranstalter. Ich schoss mir weder eine Kugel durch den Kopf und ging auch nicht zum Psychiater“, warf er lachend ein und löste damit die Spannung, die einen Moment zuvor geherrscht hatte. „Wenn wir jemals überschätzt haben, was über die Medien erreicht werden kann, dann 1994, als die Bewegung tatsächlich weltweit in allen Medien war; in diesem Jahr gaben wir praktisch ein Interview nach dem anderen.“
„Und es hat dir geschmeichelt, dass sie dir Sexappeal zugeschrieben haben?“
„Nein! Ich bitte dich, wem gefällt es denn, sexuell belästigt zu werden! Wie kann eine Frau so etwas sagen!“, antwortete er verärgert und ich musste unwillkürlich lachen.
Marcos war aufgebracht. Er machte eine Pause, um seine Pfeife anzuzünden. Ich dachte, er würde das Interview wegen meiner Impertinenz abbrechen, aber er antwortete in einem nachdenklichen Tonfall:
„Nein, einfach deshalb, weil es nie so klar wie in diesen Momenten ist, dass die Anziehungskraft von einem Symbol und nicht von einem selbst ausgeht … Anziehend wirkt das Mysterium, die Maske, genau darauf zielten die Medien ja auch immer ab. Ich habe nicht einmal den Vorteil eines Brad Pitt, Al Pacino oder Robert Redford, die als Personen anziehend wirken. Das hier ist eine Maske und was du dahinter vermutest. Dass ich im Rampenlicht stand, hatte deshalb auch nicht die geringste Wirkung auf mich“, er rückte die Sturmmütze so zurecht, dass etwas von seinem Gesicht zum Vorschein kam: ein kleines Stück Bart.
„Und wie fühlt man sich so hinter einer Sturmmütze?“
„Es ist sehr heiß, wenn es heiß ist, und wenn es kalt ist, dann klebt sie an der Haut und wird hart, denn sie ist aus dünnem Material. Es ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Ganz im Ernst, ich werde nie mehr einen Aufstand mit einer Sturmmütze machen!“
„Und wenn du Hunger hast? Mit der Mütze über dem Kopf kannst du doch nicht essen.“
„Ich muss allein essen. Wir hatten das Ganze auch gar nicht so geplant, es war eine Folge des Aufstands. Die Sturmmütze war so etwas wie ein Notbehelf für den Tag des Aufstands, danach wollten wir sehen, wie es weiterging. Außerdem wären wir nie auf den Gedanken gekommen, dass die Sturmmütze so ein starkes Interesse auslösen könnte. Es war mehr ein Problem unserer Compañeros, denn die mussten ja in ihre Gemeinschaften zurückkehren und liefen Gefahr, von irgendeinem PRI-Mitglied wiedererkannt zu werden, das sie im Fernsehen gesehen hatte. Uns selbst war es ziemlich egal, da wir davon ausgingen, dass die sowieso bald wissen, wer wir sind. Wir mussten sie allerdings anziehen, um mit gutem Beispiel voranzugehen.“
„Macht die Sturmmütze denn heute noch einen Sinn?“
„Ja, denn sie ist zu einem Symbol geworden. Ursprünglich war das rote Halstuch unser Symbol. Es sollte unser Erkennungszeichen werden. Heute ist die Sturmmütze unser Erkennungsmerkmal. Und dann gab es ja auch noch dieses ganze Hin und Her, dass wir sie ausziehen und unser wahres Gesicht zeigen sollten. Worauf wir sagten: ‚Gut, wir werden sie abnehmen, wenn auch ihr Politiker euer wahres Gesicht zeigt.’ Auf diese Weise wurde sie zu einem Symbol und deshalb haben wir sie immer noch auf. Und ich ziehe sie auch deshalb nicht ab, weil sonst mein Sexappeal flöten gehen würde, wie du dazu sagst“, versetzte er, worauf wir beide lachten.
Auszug aus:
Subcomandante Marcos Kassensturz
Mit freundlicher Genehmigung
des Nautilus Verlags


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