Literatur | Nummer 284 - Februar 1998

Nerudas Ode an die Liebe

Große Lücke in der Übersetzung des Werkes des Nobelpreisträgers geschlossen

Auf die Frage, ob er denn selbst keine Gedichte schreibe, meinte der Subcomandante Marcos, das sei ihm zu heikel, schließlich läge zwischen großer Dichtung und Kitsch nur ein winziger Grat. Recht hat er! Gerade bei Liebesgedichten scheint dieser besonders eng zu sein. Und außerdem, was gäbe es nach Nerudas Liebessonetten über dieses Thema überhaupt
noch zu sagen?

Markus Müller

Einen „Dichter der Liebe“ hat Matilde Urrutia, Nerudas letzte Frau, den Nobelpreisträger von 1971 genannt, und selbst wenn sich dieses Thema in Form einer allgemeinen Liebe an die Menschheit (wenn auch nicht die gesamte, wie Mafalda sagen würde) durch das gesamte Werk des Meister zieht, so findet sie sich in den „Cien Sonetos de Amor“ (Hundert Liebessonette) doch in ihre konkreteste Form gegossen: In die Liebe des lyrischen Autoren-Ichs Neruda zu…
Matilde, ich nenn dich Pflanze, Stein oder Rebe,
du bist, was aus der Erde wächst und währt,
Wort in dessen Dehnung erwacht,
in dessen Hitze aufspringt das Licht der Limonen.

Matilde, nombre de planta o piedra o vino,
de lo que nace de la tierra y dura,
palabra en cuyo crecimiento amanece,
en cuyo estío estalla la luz de los limones.

Im Gegensatz zu den ebenfalls für Matilde geschriebenen, aber mit Rücksicht auf seine damalige Frau 1952 unter Pseudonym veröffentlichten leidenschaftlichen und unruhigen Versos del capitán (dt. Verse des Kapitäns), strahlen die Liebessonette eine Ruhe aus. Mit „großer Bescheidenheit“ habe Neruda diese „Sonette aus Holz“ gezimmert und ihnen den „Klang dieser opaken und reinen Substanz“ verliehen:
Ich lieb dich und weiß nicht wie noch wann und wo
ich lieb dich geradezu ohne Fragen noch Übermut
so lieb ich dich, weil anders ich nicht lieben kann.
Te amo sin saber cómo, ni cuándo, ni dónde,
te amo directamente sin problemas ni orgullo:
así te amo porque no sé amar de otra manera.

„Es sind die Metaphern der alltäglichen Schönheit,“ bemerkt der Herausgeber „(…) die der manische Sammler Neruda sich (…) in seine Behausung holt. Ins Wort gehoben, zeigen die Dinge ihre Transzendenz“:
Zu kurz die Zeit, daß ich preisen könnte dein Haar.
Jedes einzelne muß ich zählen und loben:
andere Liebende haben genug an dem, was sie sehen,
ich will einzig nur dein Haarkünstler sein

Solltest du vom Weg abkommen in deinem eigenen Haar,
vergiß mich nicht, denk an meine Liebe,
daß ich nicht verlorengehe ohne deine Mähne
In dieser Schattenwelt auf allen Wegen,
dunkel ist sie nur, und vergänglich sind die Schmerzen,
bis die Sonne erklimmt den Turm deines Haars.

Me falta tiempo para celebrar tus cabellos.
Uno por uno debo contarlos y alabarlos:
otros amantes quieren vivir con ciertos ojos,
yo sólo quiero ser tu peluquero.

Cuando tú te extravíes en tus propios cabellos,
no me olvides, acuérdate que te amo,
no me dejes perdido ir sin tu cabellera

por el mundo sombrio de todos los caminos
que sólo tiene sombra, transitorios dolores,
hasta que el sol sube a la torre de tu pelo

So könnte man nun fortfahren und sich an dem Balsam von Nerudas Worten laben, wäre da nicht die Pflicht des Rezensenten zur kritischen Betrachtung des Werkes…
Bis auf die Wahl des Titels „Hungrig bin ich, will deinen Mund“, der leider an Klaus Kinskis gar nicht erhabene Adaptation Villons „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ erinnert, ist dem Übersetzer und Herausgeber Fritz Rudolf Fries ein großartiger Wurf gelungen. Von den ursprünglich hundert Sonetten hat der Cortázar-Übersetzer Fries mit Bedacht 68 ausgewählt und hervorragend nachgedichtet, so daß auch die des spanischen nicht mächtigen Poesiebegeisterten ihre Freude haben können. Dem Nachwort sei vielleicht noch angemerkt, daß die kurz skizzierte Liebesgeschichte Nerudas mit Matilde auf Capri dem bekanntgewordenen und nach dem Roman „Mit brennender Geduld“ von Antonio Skármeta gedrehten italienischen Film „Il postino“ (dt. Der Postmann) die Rahmenhandlung lieferte.
Wer also dem tristen Alltag gerne auf Wolke sieben entfliehen möchte, hat hier ausreichend Gelegenheit.

Pablo Neruda: Hungrig bin ich, will deinen Mund. Liebessonette. spanisch/deutsch. Auswahl, Nachdichtung und Nachwort von Fritz Rudolf Fries Luchterhand-Verlag München 1997 25 DM (TB 2001, 8,50 Euro).

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