Brasilien | Nummer 348 - Juni 2003

Nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Vera Soares über feministische Aktivistinnen und machistische Positionen in der brasilianischen Arbeiterpartei (PT)

Seit über zehn Jahren gibt es sie in derzeit 41 von über 300 Stadtverwaltungen der Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT): Die „Coordenadorias“ oder „Assessorias dos Direitos da Mulher“, zu deutsch: städtische Abteilungen für die Geschlechtergleichstellung.
Die politischen Aktionsfelder dieser speziellen Koordinationsstellen sind angesichts anhaltender Geschlechterungleichheiten in der brasilianischen Gesellschaft sehr vielseitig. Sie reichen von der Diskussion über die Einrichtung eines frauenfreundlichen Gesundheitsdienstes über die Gründung oder Unterstützung städtischer Frauenhäuser für Opfer häuslicher Gewalt bis hin zur Berufsausbildung von Kleinunternehmerinnen.
Aber der politische und finanzielle Spielraum der Koordinationsstellen, die die PT-Stadtverwaltungen bei ihren Entscheidungen beraten und im Sinne von mehr Geschlechtergleichheit beeinflussen sollen, ist oft prekär und abhängig vom Gutdünken Einzelner. “So wie der Orçamento Participativo (Partizipativer Haushaltsplan) und andere Politikbereiche müsste die Frauenpolitik ein Meilenstein der PT-Regierungen sein. Ist sie aber nicht. Das ist besorgniserregend und schwer wiegend“, meint José Dirceu, Mitglied der PT. Anfang 2003 und mit Antritt der Regierung Lula wurde eine neue Gleichstellungsabteilung auf Bundesebene gegründet, die „Secretaria Especial de Políticas para as Mulheres“. Vera Soares ist seit Gründung der PT Anfang der 80er Jahre Parteimitglied und hat als aktive Feministin die Diskussionen in der Partei um die Frage der Geschlechtergleichstellung maßgeblich beeinflusst.

Bettina Boeckle

Parteien wird oft vorgeworfen, sie seien männlich dominiert. Wie sieht es in der PT aus?

Ich glaube, dass Institutionen generell ungleiche Verhältnisse zwischen Frauen und Männern reproduzieren. Und mit den Parteien ist das nicht anders. Vielleicht ist der Vorwurf an die Parteien diesbezüglich besonders groß. Parteien sind machistisch, Gewerkschaften sind machistisch, die Schulen sind machistisch in der Hinsicht, dass sie die gesellschaftlichen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern reproduzieren. Denn dies sind die Institutionen, die in der Gesellschaft existieren. Und in der PT gibt es, wie in jeder anderen gesellschaftlichen Institution auch, eine solche Reproduktion.

Vom Feminismus in der PT zu sprechen, bedeutet das, von einer konfliktreichen Beziehung zu sprechen? Wie wird die Tatsache der gesellschaftlichen Ungleichheit zwischen Frauen und Männern heute in der Partei thematisiert?

Ich glaube, dass innerhalb der Partei Machtbeziehungen ein Thema sind. Das ist das, was der Feminismus in die PT hinein trägt, wenn er die gesellschaftlichen Ungleichheiten kritisiert. Oder anders herum: Um die Gesellschaft zu verstehen, muss man diese Dimensionen diskutieren. Und es ist eine Frage, die jeden Tag neu gestellt werden muss.
Zum Beispiel ist die Quotenregelung von 30Prozent in der PT ein Zeichen dafür, dass die Frauen an der Politik aktiv teilnehmen und politische Macht für sich beanspruchen. Und diese muss unter verschiedenen Segmenten der Partei aufgeteilt werden. In diesem Sinn können wir als weibliche Mitglieder der Partei sagen, dass dieser Bereich von uns erobert wurde.
Aber wenn man diese Debatte nicht aufrecht erhält, warum zum Beispiel die Quotenregelung existiert, wird die Grundsatzdiskussion über Geschlechtergleichheit zu einer verwaltungstechnischen Banalität. Allein die Tatsache, dass in der PT eine Quotenregelung existiert, dass die Diskriminierung von Frauen ein Thema in der Partei ist, bedeutet noch lange nicht, dass diese Diskussion automatisch geführt würde. Beispielsweise könnte das Projekt „Fome Zero” als konservativ bezeichnet werden bezüglich der Reproduktion von Geschlechterrollen. Wenn die Coupons für bestimmte Hilfeleistungen nur an Frauen verteilt werden, weil diese als Hausfrauen damit angeblich verantwortungsbewusster umgehen, wird dies die geschlechtsspezifisiche Arbeitsteilung, die in vielen brasilianischen Familien existiert, unterstützen. Diese Debatte kam aber bei der Entstehung des Programmes nicht auf. Sie wird erst jetzt geführt.

Was war Deine Aufgabe bei der Einrichtung des von Lula neu gegründeten nationalen Frauensekretariates?

Ich habe in der Transitionsphase bei der Zusammenstellung der neuen Regierung mitgearbeitet. Ich war in Brasília, um Politik für Frauen mit zu diskutieren und auszuarbeiten. Noch vor ein paar Jahren wäre dies eine Besonderheit gewesen. Viele derjenigen, die in der Transitionsphase mit mir zusammengearbeitet haben und aus dem Verwaltungsbereich kamen, fragten nicht verwundert nach, dass es eine Quotenregelung gibt, dass es ein Frauensekretariat in der Regierung Lula geben sollte etc. Ich denke, das hat sowohl mit dem politischen Kampf der Feministinnen innerhalb der PT zu tun, als auch mit dem Prozess, der in der Gesellschaft durch den Einfluss der Frauenbewegungen stattfindet.

Was sind die Aufgaben des neuen Frauensekretariates?

Meine Parteikolleginnen und ich haben schon während des Wahlkampfes eine solche Institution auf Bundesebene vorgeschlagen. Unser ursprünglicher Vorschlag war ein Frauenministerium. Am Ende des Wahlkampfes wurde dann die Einrichtung einer Frauenabteilung vorgeschlagen, die direkt an die Regierung Lula angegliedert werden soll. Der Name, den wir vorgeschlagen haben, ist geblieben: „Secretaria Especial de Políticas para as Mulheres”. „Especial“ (Speziell) deswegen, weil die Abteilung somit Teil des obersten Verwaltungsapparates ist und bei allen wichtigen Sitzungen und Entscheidungen miteinbezogen werden muss. Und „Políticas”, weil es um verschiedenste Politikbereiche und Dimensionen geht, die den Alltag von Frauen und deren Diversität betreffen: die indigenen, die schwarzen, die weißen Frauen.
Und was den Haushalt dieser Abteilung betrifft, den habe ich auch mit ausgehandelt. Es gab sehr wenig finanziellen Spielraum in den Haushaltsdiskussionen – auch weil die Abteilung ganz neu eingerichtet wurde. Anfangs waren drei Millionen Reais jährlich vorgesehen, am Ende konnten wir 28 Millionen erreichen. Das ist eines der kleinsten Budgets im Bundeshaushalt, die es überhaupt gibt.
Die Aufgabe des Frauensekretariates wird sein, die Kategorie Geschlecht in verschiedenste Aktionen und Programme der Regierung und ihrer Ministerien miteinzubeziehen, auch wenn das Sekretariat keine ausdrücklich exekutive Funktion besitzt.
Meiner Ansicht nach muss die Frauenabteilung vor allem im öffentlichen Bildungsbereich aktiv werden, sowohl innerhalb des Systems –also unter den Erziehenden thematisieren, was ungleiche Geschlechterbeziehungen sind – als auch nach außen arbeiten, indem öffentliche Kampagnen in der Bevölkerung gestartet werden. Zum Beispiel ist eine Kampagne über Gewalt unbedingt notwendig.

Wie sind die Gleichstelllungsabteilungen in den PT-Stadtverwaltungen entstanden?

Seit der ersten Wahlkampagne der PT Anfang der 80er gab es immer Frauen, die die Einrichtung einer Regierungsinstitution für die Belange der Frauen forderten. Die PT selbst schlägt auch Mechanismen zur Beteiligung der Bevölkerung und somit zur Demokratisierung des Staatsapparates vor. Das können zum Beispiel Organe zur Beratung oder Vertretung gesellschaftlicher Interessen sein.
Aus unserer Sicht, also aus Sicht der aktiven Feministinnen in der PT, wollten wir zwei Dimensionen auseinander halten: Einmal die Möglichkeit der Beteiligung und die Demokratisierung des Staatsapparates. Zum anderen die Möglichkeit der Intervention auf der Ebene der Exekutive in Form der Gleichstellungsabteilungen.
Wir haben immer Frauensekretariate auf städtischer und bundesstaatlicher Ebene vorgeschlagen und jetzt ein solches auf föderaler Ebene erreicht. In einigen Städten, die von der PT regiert werden und in denen eine aktive Frauenbewegung existiert, wurden Gleichstellungsabteilungen auf Erwirken derselben eingerichtet, die in verschiedener Art und Weise verwaltungstechnisch mit dem Regierungsapparat zusammenhängen. Wie viel politischen Spielraum und Einfluss diese Gleichstellungsabteilungen tatsächlich haben, ist von Fall zu Fall unterschiedlich und hängt stark vom politischen Druck der Feministinnen in der Partei ab, den diese auf die PT-Regierungen ausüben. Für die Einrichtung der städtischen Gleichstellungsabteilungen gibt es keine föderale Gesetzgebung. Sie sind von der PT eingerichtete Organe und existieren nicht in Städten, die von anderen Parteien regiert werden.

Existiert in der PT eine Diskussion auf höherer Ebene über Neugründungen städtischer Gleichstellungsabteilungen?

Das Frauensekretariat auf föderaler Ebene bereitet im Rahmen des Wahlkampfes immer ein Papier vor, das an die Frauenbewegungen der einzelnen Städte gerichtet ist und diese auffordert, in der Kampagne eigene Vorschläge einzubringen. Denn wenn diese Frauen oder Feministinnen nicht schon während dieser Phase präsent sind, ist es nachher sehr schwierig, die Einrichtung von Gleichstellungsabteilungen zu erreichen. Man muss bereits im Zusammenhang mit dem oder der KanditatIn während des Wahlkampfes etwas Ähnliches fordern, um danach bei den Regierungsverhandlungen gleichstellungspolitische Vorschläge machen zu können. Und das funktioniert nur über die Bevölkerungsteile, die in der Stadt politisch aktiv sind.
Wenn es diesen politischen Druck von unten nicht gibt, wird es auch keine Gleichstellungsabteilung auf exekutiver Ebene geben.
Meiner Meinung nach ist es auch Aufgabe des nationalen Frauensekretariates, Frauen auf städtischer Ebene ein Jahr vor den Wahlen der Stadtverwaltungen aufzufordern, gleichstellungspolitische Vorschläge und Ideen für entsprechende Instrumente zu entwickeln. Im zweiten Halbjahr 2003 müsste zum Beispiel. das nationale Frauensekretariat zusammen mit den Bundesstaaten eine solche Kampagne zur Bildung eines Diskussionsnetzwerkes machen. Da könnten zum Beispiel. Seminare und Kurse organisiert werden, die diese Diskussion anregen.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren