Chile | Nummer 486 - Dezember 2014

„Nur über meine Leiche!“

Interview mit Juana Cuante über den andauernden Kampf der Mapuche im Süden Chiles gegen Wasserkraft und für Gerechtigkeit

Juana Cuante ist eine Lonko, eine Mapucheautorität, in der indigenen Gemeinde Pitriuco. Ein Gespräch über das geplante Wasserkraftwerk am Pilmaiquén-Fluss und den Widerstand dagegen, sowie über die Forderungen der Mapuche nach Land und den Prozess der Entkolonalisierung.

Interview: David Rojas-Kienzle

Was hat es mit dem Wasserkraftwerk am Pilmaiquén-Fluss auf sich?
In das Mapucheterritorium, aus dem ich stamme, fallen heute verschiedene transnationale Firmen ein. Unter ihnen die Pilmaiquén S.A., die vier Staudammprojekte am selben Fluss in Planung hat, von denen eins ein heiliges Territorium der Mapuche bedroht. Diese Invasion wird vom chilenischen Staat verschwiegen. Ich bin Repräsentantin derjenigen, die von diesem Projekt betroffen sind. Wir wollen, dass diese Vorgänge öffentlich werden und dass eine politische Lösung für dieses Problem gefunden wird.

Das Recht indigener Gemeinden, vor der Genehmigung eines solchen Projektes konsultiert zu werden, wurde also nicht respektiert?
Nein, die indigenen Gemeinden wurden bei der Genehmigung nicht konsultiert, wie es eigentlich hätte getan werden sollen. Wir waren die letzten, die Wind von diesem Projekt bekommen haben. Es wird so getan, als gebe es keine indigenen Gemeinden auf dem Gebiet. Die CONADI, eine öffentliche Institution, die eigentlich die Aufgabe hat, die Interessen der Indigenen zu vertreten, geht in Gemeinden wie Ilihue, Reinahue oder Llanquihue, wo es traditionelle indigene Autoritäten gibt, und bestimmt Vertreter, die nicht von den Gemeinden bestimmt wurden. Dadurch soll die Mapuchebevölkerung gespalten werden.
Die CONADI setzt sich für die Unternehmen ein, was nicht so sein sollte. Dabei wird die Organisation in ihrem Handeln durch die bestehende Verfassung der Diktatur behindert. Unsere indigenen Autoritäten in den Gemeinden werden weder konsultiert noch respektiert.

Und im Moment organisieren Sie sich gegen diese Wasserkraftprojekte?
Wir sind schon organisiert! Diese Projekte laufen schon seit langem und wir haben es geschafft, dass die Firma acht Jahre lang nicht bauen konnte. Jetzt sind wir in einer finalen Etappe, zwischen September und Januar wird gebaut. Was heute auf dem Spiel steht, ist die Spiritualität der Mapuche. Unser Land und unsere spirituellen Stätten werden überfallen. Das Problem ist, dass dieses Entwicklungsmodell weder für uns Menschen noch für die Umwelt gesund ist, sondern selbstzerstörerisch und individualistisch. Und dieses Modell wird mit Hilfe von Repression gegen alle Widerstände durchgesetzt. Was wir fordern, ist Gerechtigkeit für die indigenen Völker, aber auch, dass einfach die Gesetze angewendet werden.

Welche Repression hat es schon gegeben?
Es gibt Hausdurchsuchungen, Kinder werden festgenommen und in Handschellen gesteckt, Frauen und alte Leute werden verprügelt, Leute werden von Projektilen der Polizei verletzt. Sie suchen Waffen, wo es keine gibt. Leute werden ungerechtfertigterweise angeklagt, wie der Machi Celestino Córdova, eine spirituelle Autorität, der als Terrorist verurteilt wird, weil er angeblich ein Ehepaar, Großgrundbesitzer, ermordet haben soll, was aber nicht bewiesen werden kann. Sie haben Gemeinden angegriffen und besetzt. Leute mussten über Monate im Freien leben, sich von Beeren ernähren, weil sie, wenn sie zu ihren Häusern zurückgegangen sind, verprügelt wurden. Die Proteste der Mapuche werden kriminalisiert, die Forderungen nach Land werden kriminalisiert. Was würde denn passieren, wenn alle Leute wüssten, dass wir Gerechtigkeit fordern und dass sich die Situation unseres Territoriums klärt? Man muss sich das vorstellen: Erst überfallen sie dein Haus und hinterher wollen sie dir dein eigenes Haus verkaufen! Für uns ist das respektlos. Wir hatten unendliche Geduld, aber das geht nicht mehr.

Warum ist es so wichtig, diese heiligen Orte zu beschützen?
Zum einen, weil es fast keine mehr gibt. Zum anderen wissen wir, was die Folgen sind, wenn es diese Orte nicht mehr gibt: Depression und Loslösung von deiner Kultur. Und mit dem Verschwinden der Kultur verlieren wir auch unsere Spiritualität. Sie ist das Wichtigste, was wir haben. Ohne Spiritualität gibt es keine Identität. Und das verteidigen wir: Die Identität von uns Mapuche. Und diese ist ist mit den spirituellen Stätten verbunden. Es ist eine andere Form uns zu verteidigen, Widerstand zu leisten. Wir haben die Pacificación (die militärische Eroberung des Mapucheterritoriums durch den chilenischen Staat zwischen 1861 und 1883; Anm. d. Red.), die Missionierung durch die katholische Kirche ausgehalten. Aber heute dekolonisieren sie und diese Dekolonisierung braucht Territorium.

Was ist dafür noch notwendig?
Schulen! Die Schule hat nie aufgehört zu kolonisieren. Es gibt keine Mapucheschulen. Es gibt keine interkulturelle Bildung. Und wenn von interkultureller Bildung gesprochen wird, ist damit gemeint, dass die chilenische Gesellschaft die Mapuche assimiliert. Der Staat meint, den Mapuche sagen zu können, wie ein Mapuche zu sein hat und ob du Mapuche bist oder nicht. In den Mapuchegemeinden gibt es nur chilenische Schulen und der Staat forciert das weiter, weil er kein Interesse daran hat, dass wir uns unsere eigene Kultur beibringen und erkennen wer wir sind, denn dann hätte er ein noch größeres Problem als er es jetzt schon hat. .

Denken Sie, dass sich die Situation für die Mapuche verändern wird?
Ja, auf jeden Fall, ob im Guten oder im Schlechten, weiß ich nicht. Aber ich denke, dass wir gegen das Wasserkraftwerk gewinnen werden, daran habe ich immer geglaubt. Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass sie es bauen werden. Nur über meine Leiche! (lacht) Und von da an werden wir Schritt für Schritt weiter arbeiten. Aber dafür brauchen wir auch die Unterstützung derjenigen, die keine Mapuche sind.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren