Lateinamerika | Nummer 312 - Juni 2000 | USA

Papiere für alle

Interview mit David Bacon, vom Labor Immigrant Organizers Network (LION), einem Netzwerk von eingewanderten Gewerkschaftern, aus Kalifornien.

Boris Kanzleiter

Der US-amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO hat beschlossen, eine Kampagne für die Legalisierung des Aufenthaltsstatus der etwa sechs Millionen Einwanderer ohne Papiere zu führen. Was fordert der AFL-CIO konkret?

Zunächst ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Veränderung der Position des AFL-CIO das Ergebnis des Drucks von unten ist. Eingewanderte Arbeiter bilden einen großen Teil der Mitgliedschaft wichtiger Gewerkschaften. Viele Gewerkschaften hängen in wachsendem Maße vom hohen Niveau des gewerkschaftlichen Bewusstseins und der Einsatzbereitschaft der eingewanderten Arbeiter ab, um neue Mitglieder und neue Betriebe zu organisieren. Gewerkschafter, die sich für Einwanderer innerhalb der Organisationen einsetzten, haben jahrelang dafür gekämpft, dass die Gewerkschaften Einwanderer organisieren und ihre Interessen verteidigen sollen, statt sie auszugrenzen.
Der AFL-CIO entwickelte so eine neue Position zur Einwanderung. Diese beinhaltet drei grundlegende Eckpfleiler: Erstens wird die Rücknahme eines Teils des Einwanderungsgesetzes von 1986 gefordert, das Unternehmen sanktioniert, welche Arbeiter ohne Papiere beschäftigten. Dieses Gesetz wurde damals vom AFL-CIO unterstützt, illegalisierte aber die Beschäftigung von Einwanderern ohne Papiere. Zweitens fordert der AFL-CIO ein neues Amnestieprogramm, durch das Einwanderer ohne Papiere einen legalen Status mit Arbeitserlaubnis bekommen sollen. Drittens soll ein neues Programm zur Aufklärung der Einwanderer über ihre Rechte aufgelegt werden.

Es ist noch nicht so lange her, dass der AFL-CIO Kampagnen gegen die Nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) führte, die einen deutlich rassistischen Unterton gegenüber Mexikanern enthielten. Was hat die Position des AFL-CIO verändert?

Einige Gewerkschaften führen Kampagnen gegen Nafta und betrachteten dabei mexikanische Arbeiter, sowohl in Mexiko als auch in den USA, als eine Konkurrenz um Jobs. Aber das war nicht die Position der Mehrheit der Einzelgewerkschaften im AFL-CIO und es war auch nicht die Position des Verbandes insgesamt.
Die Gewerkschaften, die sich am nachdrücklichsten gegen Nafta aussprachen, riefen auch dazu auf, eine engere Beziehung zwischen Arbeitern in Mexiko und den Gewerkschaften zu entwickeln, um sich gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Das vor allem, wenn diese Arbeiter von Unternehmen beschäftigt werden, die auch in den USA tätig sind. Von diesen Gewerkschaften gingen einige einen Schritt weiter und riefen zur Solidarität mit mexikanischen Arbeitern in den USA auf. Viele aktive Gewerkschafter stellten eine Verbindung her zwischen der US-Handelspolitik einerseits, welche Löhne und Arbeitsbedingungen in Mexiko verschlechtert, und andererseits der US-Einwanderungspolitik, die mexikanische Arbeiter kriminalisiert, wenn sie in die USA kommen, weil die Lebensumstände in Mexiko so hart geworden sind.
Die Verbindung zwischen der Handels- und Einwanderungspolitik der USA war sehr wichtig für die Anstrengungen die Einwanderungspolitik des AFL-CIO zu verändern. Aktivisten, welche versuchten, Solidarität unter Arbeitern auf beiden Seiten der Grenze herzustellen, setzten sich auch für die Veränderung der Einwanderungspolitik ein. Schließlich waren auch Organisationen der Einwanderer Teil des Versuchs die Politik zu verändern. Die Gewerkschaften, welche viele Einwanderer organisieren, entwickelten eine enge Arbeitsbeziehung mit diesen Organisationen, welche auf zwei Verpflichtungen basierte. Erstens, die Versuche der Einwanderer zur Bildung von Gewerkschaften zu unterstützen, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Zweitens, die Politik des AFL-CIO zu verändern, so dass die Arbeiterbewegung Einwanderungsgesetze und eine Politik unterstützen sollte, welche die Rechte der Einwanderer verteidigt, statt in ihnen Feinde zu sehen.

In einem Amnestieprogramm von 1986 wurde in den USA drei Millionen Einwanderern ohne Papiere ein legaler Aufenthaltsstatus eingeräumt. Gleichzeitig machte es die Regierung aber schwieriger für neue Einwanderer über die Grenze zu kommen. Zeichnet sich ein ähnliches Vorgehen der nächsten Regierung ab?

Der AFL-CIO hat zu diesem Punkt noch keine Position, obwohl er in seiner letzten Resolution feststellt, dass die Bewegung von Menschen über die Grenze nicht gestoppt werden kann, ohne die weltweiten wirtschaftlichen Ungleichheiten zu ändern, die Menschen dazu zwingen, ihre Herkunftsländer zu verlassen.
In LION diskutieren wir, wie wir uns eine Amnestie vorstellen. Wir wollen nicht nur die Legalisierung der Menschen, die bereits hier sind, während diejenigen, welche die Grenze morgen überqueren unter den selben Problemen leiden müssen, die die Menschen ohne Papiere heute bedrücken. Wir denken, es sollte einen Weg geben, wie die Einwanderer ihren Aufenthalt legalisieren können, nachdem sie hier angekommen sind. Der einzige Weg, die illegale Einwanderung zu vermindern ist, die Möglichkeiten die Grenze legal zu überqueren auszuweiten.

Interview: Boris Kanzleiter

Weitere Informationen zum Beschluss von AFL-CIO gibt es unter http://www.aflcio.org/home.htm


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