Honduras | Nummer 559 – Januar 2021

PRIVATES PARADIES

Auf der honduranischen Karibikinsel Roatán entsteht eine der weltweit ersten Sonderzonen

In sogenannten Sonderzonen für Entwicklung und Beschäftigung (ZEDE) übernehmen Privatunternehmen hoheitliche Aufgaben. Sie sind dem honduranischen Gesetz nach weitgehend autonome, von Investor*innen verwaltete Enklaven. Diese Sonderzonen folgen einer Ideologie der vollständigen Entstaatlichung, die rechtslibertäre Kreise weltweit vorantreiben. Das Pilotprojekt namens Próspera auf Roatán zeigt, dass Mitsprache und Interessen der lokalen indigenen Bevölkerung dabei außenvor bleiben.

Von Jutta Blume

„Sie haben uns zu keinem Zeitpunkt über die ZEDE Próspera konsultiert. Sie sprachen nur von einem Tourismuskomplex mit dem Namen North Bay, wo die Anwohner*innen aus der Gemeinde als Erste Arbeit finden würden. Aber als sie mit dem Bau des Projektes begannen, mussten wir vor dessen Einfahrt protestieren, damit die Leute von hier Arbeit bekamen“, erklärt Luisa Connor.

Luisa Connor ist Gemeinderatsvorsitzende von Crawfish Rock, ein Fischerdorf mit knapp 1.000 Einwohner*innen an der Nordküste der Insel Roatán. Connors Familie lebt wie die meisten seit Generationen hier. „Wir leben hier völlig vergessen von der Zentralregierung, aber es geht uns gut und wir sind zufrieden. Wir verlangen nichts von der Regierung, aber wir sind auch nicht damit einverstanden, dass man uns das wenige wegnehmen will, was wir haben“, so Connor. Seit die Einwohner*innen von Crawfish Rock, aber auch von anderen Orten auf Roatán verstanden haben, welche Art von Projekt auf der Insel entsteht, befürchten sie Enteignung und Vertreibung.

Zunächst hielten Crawfish Rocks Einwohner*innen North Bay (später in Próspera umbenannt) für einen weiteren touristischen Komplex, auf der Karibikinsel Roatán nichts Ungewöhnliches. Als Sonderzone für Entwicklung und Beschäftigung (ZEDE) ist Próspera jedoch in jeder Hinsicht ein neues politisch-ökonomisches Konstrukt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Schaffung der Sonderzonen wurden im September 2013 vom Parlament beschlossen, rund ein Jahr nachdem ein ähnliches Vorgängerprojekt vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt worden war. Da dies nicht im Sinne der Regierung war, wurden in Folge vier von fünf Richter*innen des Obersten Gerichtshofs ersetzt.

Die ZEDE sind, wie auch das vorherige, als Ciudades Modelos („Modellstädte“) bekannte Konstrukt, als halbautonome Investor*innen-Enklaven im Staat zu betrachten. Sie haben den Status von Rechtspersönlichkeiten und sind mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, zum Beispiel bezüglich der Gestaltung von Steuern, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialsystemen. Zudem können die ZEDE ihre eigenen Gerichte und eigenen Sicherheitskräfte einsetzen. Befürchtungen, dass ein konkretes Gebiet in Honduras zur ZEDE deklariert würde, hat es in den vergangenen Jahren schon mehrfach gegeben. Eine Zeitlang war der Ort Amapala an der Pazifikküste im Gespräch. Nun scheinen die Befürchtungen aber auf Roatán zum ersten Mal wahr zu werden. Hier haben seit dem Sommer erste Bauarbeiten begonnen.

Vier von fünf Richter*innen des Obersten Gerichtshofs wurden ersetzt

Die Sonderzonen werden von Unternehmen gemanagt, im Fall von Próspera auf Roátan ist das das im US-Staat Delaware ansässige Unternehmen Honduras Próspera LLC mit dem Geschäftsführer Erick Brimen. Die Regeln der ZEDE – Charta genannt – werden vom Unternehmen selbst, beziehungsweise einem von ihm bestimmten „Technischen Sekretär“ und einem „Council“ aufgestellt und von einem Komitee für die Übernahme der besten Praktiken (CAMP) genehmigt. Letzteres ist ebenso wenig demokratisch legitimiert wie die Verwaltungsorgane der ZEDE. Das CAMP wurde vom honduranischen Präsidenten ernannt und besteht aus Personen aus dem In- und Ausland, die ebenfalls neoliberalen bis rechtslibertären Thinktanks angehören, unter ihnen die Vizepräsidentin der österreichischen Nationalbank, ehemalige FPÖ-Politikerin und Leiterin des Hayek-Instituts Barbara Kolm.

Mitbestimmung der lokalen Bevölkerung ist nicht beabsichtigt, denn die ZEDE folgen maßgeblich der Idee, Gesellschaft ließe sich besser über Marktkräfte organisieren denn über demokratische Teilhabe. Die Anthropologin Beth Geglia, die intensiv zu den ZEDE recherchiert hat, bezeichnet das politische Umfeld als „Start-up-City-Bewegung“. „In dieser Ideologie wird Regierungsführung selbst zu einer Industrie, Territorialität wird Marktbegriffen entsprechend umgestaltet. Nationalstaatliche Souveränität gilt als ein Kapital, das als Konzession an private Akteure vergeben werden kann. Regierung ist ein Service, der von einer privaten Körperschaft angeboten wird und nicht eine kollektive, von den Bürger*innen gestaltete Konstruktion. Bürger*innen werden zu Konsument*innen dieses Service und können theoretisch ‚mit ihren Füßen abstimmen‘“, erklärt Geglia. An dem Punkt, wo Territorien bereits bewohnt sind, lässt sich die vorhandene Bevölkerung allerdings schlecht in dieses Konzept einfügen. Denn wenn diese mit den Füßen abstimmt, ist das mit Vertreibung gleichzusetzen. Schon allein die Expansionspläne von Próspera, die auf der Projektseite im Internet als eine dreistufige Entwicklung präsentiert werden, werfen die Frage auf, woher all dieses Land kommen soll, wenn nicht von den Menschen, die es heute bewohnen und bewirtschaften. Die räumliche Entwicklung ist in drei Phasen geplant, in einer ersten soll auf 23,5 Hektar das Dorf Próspera mit ersten Wohnungen entstehen – hölzerne Luxusbauten, entworfen vom Londoner Architekturbüro Zaha Hadid, die auf den Bildern quasi organisch ins Meer zu fließen scheinen. Die Grundstücke für Próspera Village sind laut Projektseite bereits an die ZEDE transferiert worden. In einer zweiten und dritten Phase soll sich Próspera dann zu einer Stadt entwickeln, die neben Wohngebieten touristische Ressorts, Bildungseinrichtungen, ein Krankenhaus und Handelszentren umfassen soll. Zu dem Zeitrahmen und der geplanten Fläche der weiteren Expansion ist auf der Seite nichts zu lesen. Nach Informationen der Gemeinderatsvorsitzenden Luisa Connor sowie der Vizevorsitzenden Venessa Cardenas umfasst der Masterplan für Próspera 303 Hektar. „Woher wollen sie die weiteren Grundstücke nehmen?“ fragt Venessa Cardenas. „Wir werden ihnen unser Land nicht verkaufen.“

Das politische Umfeld gleicht einer „Start-up-City-Bewegung“

Auf dem Masterplan von Próspera sei die Gemeinde Crawfish Rock derzeit nicht mehr verzeichnet. Doch selbst wenn Prósperas Geschäftsführer Erick Brimen heute versichern würde, dass niemand enteignet werden solle, könnte das schon in ein paar Jahren anders aussehen. „Sie haben ein Gesetz, das ihnen das Privileg gibt, mein Land zu enteignen, wenn sie es brauchen. Und ihrem Plan zufolge werden sie es brauchen“, so Cardenas. Dabei könnte der honduranische Staat im Interesse der Investor*innen auftreten, sagt die Anthropologin Beth Geglia: „Das Recht zu enteignen wird Staaten normalerweise vorbehalten, wenn es um Dinge geht, die dem öffentlichen Wohl dienen. Im Gesetz über die ZEDE selbst wird alles, was mit der Entwicklung der ZEDE in Zusammenhang steht, zum öffentlichen Wohl erklärt und das beinhaltet die Expansion der ZEDE. (…) Selbst wenn die honduranische Regierung jetzt erklärt, keine Enteignungen vornehmen zu wollen, gibt es keine Garantie, dass sie das im weiteren Verlauf nicht tun wird.“

Und auch Erick Brimen macht in Bezug auf mögliche Enteignungen widersprüchliche Aussagen. Versicherte er zunächst, niemanden enteignen zu wollen, war er im September 2020 in Crawfish Rock mit den Worten zu hören: „Der honduranische Staat kann über die ZEDE als Mittler die Enteignung anordnen.“ Gegen internationales Recht würde dies allemal verstoßen, wie es auch schon die Konstitution der ZEDE auf Roatán tut. Die Einwohner*innen von Crawfish Rock gelten als Black Indigenous People of Color (BIPoC) – und genießen laut ILO-Konvention 169 besonderen Schutz und besondere Rechte. Dazu gehört das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung, wenn es um Projekte geht, die ihre Territorien und Lebensgrundlagen betreffen. „Sie wussten, dass dies eine indigene Gemeinde ist, und dass sie uns hätten vorher konsultieren müssen, aber sie haben es nicht getan. Die Regierung hat ein Projekt in unserer Gemeinde genehmigt, mit dem Wissen, dass dies eine indigene Gemeinde ist, und sie hat uns nicht einmal darüber informiert“, sagt Cardenas. Um sich besser gegen die Pläne der Regierung und der Investor*innen zur Wehr setzen zu können, haben mehrere Gemeinden von Roatán und zivilgesellschaftliche Organisationen den Runden Tisch zur Verteidigung der Territorien der Islas de Bahía gegründet. Dieser fordert in einer öffentlichen Erklärung unter anderem eine Intervention gegen die ZEDE Próspera sowie eine öffentliche Untersuchung, wie es zu deren Genehmigung gekommen ist. Außerdem wird Aufklärung darüber gefordert, ob und wie viele weitere ZEDE auf den Islas de Bahía genehmigt worden sind.

„Unsere Gemeinde steht nicht zum Verkauf“

Die Frage nach weiteren ZEDE kommt nicht von ungefähr. Die Internetseite von Próspera bezeichnet die ZEDE auf Roatán als einen „hub“, einen Knotenpunkt in einem Netzwerk. Ein zweiter solcher Knotenpunkt könnte in der Küstenstadt La Ceiba entstehen, zumindest wenn man einer Darstellung der TUM International GmbH folgt. Die TUM International GmbH, eine Ausgründung der Technischen Universität München, und ihr Tochterunternehmen Insite Bavaria sind Partnerunternehmen des Próspera-Projekts. So lud die TUM International im Juni 2019 zu einer internationalen Investorenkonferenz über den St. Isidore Prosperity Hub nach München ein. Dieser soll nach Darstellung der TUM International auf Roatán wie auch in La Ceiba entstehen. Über feststehende und potenzielle Investor*innen der ZEDE, deren Kosten in die Milliarden gehen dürften, lassen sich indes kaum Informationen herausfinden. Diese Intransparenz scheint gewollt zu sein, erschwert sie doch gezielte Protestaktionen.

Für Luisa Connor bleibt derweil klar: „Unsere Gemeinde steht nicht zum Verkauf, die Insel steht nicht zum Verkauf und die honduranische Souveränität steht auch nicht zum Verkauf.“


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