Profiteure oder Sprachrohre?
Indigene Repräsentation im peruanischen Amazonasgebiet und bei der UNO
Rößler zeichnet sowohl die Entstehungsgeschichte indigener Organisationen und deren Repräsentation auf internationaler Ebene seit den späten 1960er Jahren als auch die Entwicklung entsprechender Gesetzgebungen zum Schutz indigener Völker nach. Anschließend geht sie detailliert auf das Ständige Forum bei der UNO ein. Drei Jahre lang – von 2002 bis 2005 – hat die Forscherin diesem jährlichen, jeweils zweiwöchigen Treffen von RegierungsakteurInnen, NGO-VertreterInnen sowie RepräsentantInnen indigener Organisationen aus der ganzen Welt beigewohnt.
Rößlers Arbeit zeichnet sich durch ihren kritischen Blick auf das Forum aus, denn die Ethnologin stößt immer wieder auf der Institution innewohnende Widersprüche. Sie schildert die strukturellen Schwierigkeiten mit denen sich indigene RepräsentantInnen konfrontiert sehen, wenn sie die Brücke von lokaler Indigenenpolitik und internationaler UN-Politik schlagen wollen: So müssen sie sich Fachwissen über die UN-Strukturen sowie ein spezifisches Verhalten aneignen, um sich im Organismus überhaupt erfolgreich bewegen zu können. Doch geschieht dies oft um den Preis einer Entfremdung von der eigenen Basis, denn haben sie diese Fähigkeiten erlernt, geraten sie oft mit den BewohnerInnen ihrer Heimatgemeinden in Konflikt, weil sie von diesen dann vermehrt als Profiteure der indigenen Sache und nicht mehr als ihre Sprachrohre wahrgenommen werden. Auch zwischen den VertreterInnen kommt es zu Divergenzen bei der Ausübung ihres Amtes, was eine durchsetzungsstarke Repräsentation auf internationaler Ebene zusätzlich erschwert. Rößler fokussiert ihre Forschung daher auf die markante Frage: Wer repräsentiert eigentlich wen und wodurch ist diese Repräsentation legitimiert?
Stark in der Kritik steht – das geht aus den Gesprächen mit indigenen ForumsteilnehmerInnen hervor – die Art und Weise der Themensetzung, die ausschließlich den Federn der OrganisatorInnen des Forums von der UNO entspringt. Während für die IndigenenvertreterInnen eine selbstbestimmte Entwicklung und Landfragen die Hauptpunkte darstellen, werden im Programm des Forums Themen wie Biodiversität und kulturellen Aspekten ein hoher Stellenwert beigemessen. Dadurch, so wird von indigener und wissenschaftlicher Seite kritisiert, komme es vermehrt zu einer Entpolitisierung indigener Themen, was wiederum auf die Agenda indigener Organisationen zurückwirkt und diese immer weiter aus der politischen Sphäre entferne.
Rößler sieht die Gefahr, dass sich das Forum immer mehr von der sozialen Realität indigener Völker abkoppelt und zum Selbstzweck wird. Um das Forum aus seiner Rolle eines „relativ autonome[n] Mikrokosmos“ zu lösen, fordert sie, mit realitätsgetreueren Ansätzen zu arbeiten. Außerdem müssten den jährlichen Treffen endlich auch konkrete Maßnahmen folgen. Bisher verfügt das Forum innerhalb der UNO nur über die Kompetenz, Empfehlungen abzugeben, welche für die UNO jedoch völlig unverbindlich sind.
Im letzten Teil des Buches untersucht Rößler die Strukturen indigener Zusammenschlüsse von Tiefland-Indígenas in den 1970er Jahren am Amazonas, genauer gesagt, in der peruanischen Amazonasebene. Die Autorin stellt zunächst deren Beziehung zum Kolonial- beziehungsweise Nationalstaat Peru dar und beschreibt dann ausführlich Struktur, Ziele und Vorgehensweise verschiedener indigener Organisationen. Ihre Erkenntnisse dazu hat die Forscherin durch Beobachtung und in Gesprächen während ihrer Besuche in verschiedenen Gemeinden der Ashánika, Huitoto und Cocama-Cocamilla-Indígenas gewonnen.
Dabei trifft Rößler auf die gleichen Problemmuster, mit welchen die indigenen Bewegungen auch innerhalb des UN-Forums zu kämpfen haben. Die Schwierigkeiten bei der Repräsentation erklärt Rößler vor allem mit der segmentären Gesellschaftsordnung dieser Ethnien, die sich immer wieder gegen Zentralisierungsbestrebungen durchsetze. So handle es sich dabei eher um flexible Netzwerke, die je nach Situation mal stärker und mal schwächer sind, als um stabile Gefüge mit gleich bleibender Relevanz.
Rößlers Untersuchungen auf der Mikroebene bestätigen auch die Widersprüche, denen sich die RepräsentantInnen in ihrer Amtsausübung ausgesetzt sind: Während nationale und internationale Präsenz das Misstrauen der Gemeinde fördern, sind diese notwendig, um mit NGOs und möglichen ProjektunterstützerInnen in Kontakt zu kommen. Außerdem sind die Geldzuflüsse dieser AkteurInnen nötig, um die hohen Erwartungen der Gemeinde nicht zu enttäuschen. Dabei ist es für das soziale Prestige eines Indigenenvertreters vor allem wichtig, „großzügig“ zu sein, denn das Geld erlaubt ihm die Unterstützung einzelner BittstellerInnen und bringt ihm das nötige Wohlwollen der Mitglieder seiner Gemeinde. Diese Vergabepolitik verstößt wiederum gegen die Prinzipien der meisten europäischen und amerikanischen Geldgeber.
Die Dissertation von Maren Rößler ist äußerst lesenswert für alle, die sich für indigene Bewegungen an sich sowie deren Repräsentation auf internationaler Ebene interessieren. Die Autorin stellt die Sachverhalte klar dar und räumt auch den nötigen historischen und sachthematischen Einführungen angemessenen Raum ein, was das Werk zu einer umfassenden Darstellung des Forums einerseits und der indigenen Bewegungen im peruanischen Tiefland andererseits macht. Dabei tritt Rößler stets mit einem kritischen Blick an ihre Themen heran, ohne sich davor zu scheuen, auch ihre eigene Position als europäische Forscherin im indigenen Umfeld zu hinterfragen.
Sandra Dütschler