RENNEN UM DEN ZWEITEN PLATZ
Kurz vor Perus Präsidentschaftswahl ist noch vollkommen unklar, wer neben Keiko Fujimori in die Stichwahl einzieht.
Zehn Tage vor den peruanischen Präsidentschaftswahlen steht die neoliberal-konservative Politikerin Keiko Fujimori laut Umfragen mit 30 Prozent Zustimmung einsam an der Spitze der Kandidat*innen. Dabei sah sich die Tochter des Ex-Diktators und inhaftierten Straftäters Alberto Fujimori zwischenzeitlich dem Vorwurf des Stimmenkaufs ausgesetzt. Auf einem Breakdance-Wettbewerb, den die ihrer Partei Volkskraft (Fuerza Popular – FP) nahestehende Jugendorganisation Factor K ausrichtete, soll sie dem Sieger einen Umschlag mit dem Preisgeld überreicht haben. Das Problem: Der Wettbewerb war eine Wahlkampfveranstaltung von Fujimoris Partei, und Geldübergaben an potentielle Wähler*innen verstoßen gegen das peruanische Wahlgesetz.
Doch die oberste Wahlbehörde sah das anders. Es sei nicht klar, dass Fujimori selbst den Umschlag übergeben habe. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, wie ein Preisgeld direkt dazu führen solle, dass Menschen Fujimoris Partei wählen. Gegen den Entschluss formte sich noch am selben Abend Protest vor der Wahlbehörde in Lima, wo schon Tage vorher Tausende Fujimori-Gegner*innen ihren Ausschluss gefordert hatten. Die Entscheidung des Wahlgerichts wird nun in zweiter Instanz verhandelt. Wird Keiko Fujimori nicht noch von den Wahlen ausgeschlossen, ist ihr Einzug in die Stichwahl im Mai sicher.
Für viele Peruaner*innen ist die Entscheidung der Wahlbehörde allein deshalb nicht nachvollziehbar, weil diese eine Woche zuvor bereits zwei Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen hatte – einen davon aus ähnlichen Gründen. Dem Kandidaten César Acuña von der Allianz für den Fortschritt (Alianza para el Progreso), der unter anderem wegen Plagiatsvorwürfen in der Kritik steht, wirft die Behörde vor, bis zu 10.000 Nuevos Soles (ca. 2.600 Euro) an Markthändler*innen und einen Jugendlichen verschenkt zu haben. Richard Acuña, César Acuñas Sohn und Sprecher seiner Partei, versuchte den Vater zu verteidigen: Die Geldgeschenke seien eine „humanitäre Hilfe“ für Bedürftige gewesen. Geglaubt hat das niemand, vor allem weil Acuña sich in der Vergangenheit immer wieder wegen Korruption verantworten musste.
Gleichzeitig bestätigte die Wahlbehörde den Ausschluss des Kandidaten Julio Guzmán. Er und seine liberale Partei Alle für Peru (Todos por el Perú) sollen Verfahrensfehler bei der Registrierung für die Wahlen begangen haben. Guzmán war innerhalb weniger Wochen vom Außenseiter zum ernsthaften Kandidaten für die Stichwahlen aufgestiegen. Über ein klar definiertes Programm verfügte er nicht, doch als Neuling in der Kandidat*innenszene musste er sich bislang nicht mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit auseinandersetzen. Zum Zeitpunkt des Ausschlusses kamen Guzmán (knapp 20 Prozent) und Acuña (etwa sechs Prozent) in den Umfragen auf etwa ein Viertel der potentiellen Stimmen.
Vor ihrer Entscheidung zu Keiko Fujimori stand die Wahlbehörde gewissermaßen vor einem Dilemma. Ihr Fall erinnert an Acuña – mit der Ausnahme, dass Fujimori nicht selbst die Übergabe des Umschlags nachgewiesen werden kann. Laut Gesetz kann ein*e Kandidat*in aber auch dann ausgeschlossen werden, wenn ein*e Dritte*r im Namen der Partei Geld übergibt. Bei einem Ausschluss Fujimoris, hätte aber insgesamt über die Hälfte der Wähler*innen ohne Kandidat*in dagestanden. Das ist ein Szenario, das etliche peruanische Journalist*innen als undemokratisch bezeichnen. Sie werfen der Behörde, die sich eigentlich neutral zu verhalten hat, Einflussnahme vor.
Vom Ausschluss Acuñas und Guzmáns haben indes die weniger aussichtsreichen Kandidat*innen profitiert. Einer von ihnen ist Alfredo Barnechea, der vor wenigen Wochen in den Umfragen noch unter zwei Prozent lag. Barnechea, Spitzenkandidat der progressiven Partei Volksaktion (Acción Popular), hat in Harvard studiert und unter anderem als Journalist gearbeitet. In seinem Wahlprogramm wird er selten konkret, doch er tritt für einen größeren Eingriff des Staates in die Wirtschaftspolitik ein und verspricht Gesundheits- und Bildungsreformen, von denen vor allem die Ärmeren profitieren sollen.
Barnechea spricht sich weiter für legale Abtreibungen und die gleichgeschlechtliche Ehe aus – ebenso wie Verónika Mendoza, Spitzenkandidatin der Breiten Front (Frente Amplio – FA), eines Bündnisses linker Parteien und Bewegungen. Das ist wiederum der katholischen Kirche in Peru ein Dorn im Auge, weshalb sie sich jüngst in den Wahlkampf einmischte. Der Erzbischof der Großstadt Arequipa im Süden Perus, Javier del Río Alba, sagte in seiner Osterpredigt: „Ein Katholik kann diese beiden nicht wählen, das ist Sünde.“
Barnechea und Mendoza teilen sich mit jeweils elf Prozent momentan den dritten Platz in den Umfragen. Je nach Umfrageinstitut liegt die eine oder der andere knapp vorn. Mendoza warb in den vergangenen Wochen für einen progressiven Kurs, der die Rechte von Minderheiten und Sozialreformen in den Blick nimmt. Im Parteiprogramm ist das Buen Vivir (Gutes Leben) als Konzept verankert, wie es auch in Ecuador und Bolivien in der Verfassung steht. Auf einer Veranstaltung zum Tierschutz bekräftigte Mendoza dieses Bekenntnis: „Ich hoffe, dass wir Menschen immer besser verstehen, dass wir nur ein weiteres Element im Ökosystem sind“, sagte sie.
Unterdessen versuchen verschiedene Seiten, die Frente Amplio zu diskreditieren. In der Fernsehsendung Sin Medias Tintas sprach der Journalist Aldo Mariátegui die Kandidatin Verónika Mendoza auf Französisch an, um sie auf ihre doppelte Staatsbürgerschaft hinzuweisen. Mendoza antwortete auf Quechua. Die Kongresskandidatin für die Frente Amplio, Jovana Villanueva, musste ihre Kandidatur zurückziehen, als bekannt wurde, dass sie bereits wegen Verstößen gegen das Drogengesetz bestraft wurde.
Auch Abel Gilvonio, FA-Parlamentskandidat für Lima sieht sich wachsendem medialem Druck ausgesetzt. Seine Tante und sein Vater waren Mitglieder der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) und wurden wegen Terrorismus zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die MRTA war eine Untergrundbewegung in Peru, die in den Achtziger Jahren für die Verbesserung der sozialen Lage vor allem der indigenen Bevölkerung kämpfte und dabei auch Gewalt anwendete. Gilvonio distanzierte sich öffentlich von den Taten seiner Familienangehörigen: „Ich bin in die Politik gegangen, um den Frieden und die Demokratie zu verteidigen“, sagte er. „Das ist der Unterschied zwischen mir und meinem Vater beziehungsweise meiner Tante.“
Die spannende und entscheidende Frage zehn Tage vor der ersten Wahlrunde lautet: Wer zieht neben Keiko Fujimori in die zweite Runde ein? Auf dem zweiten Platz steht mit 15 Prozent Zustimmung momentan der neoliberale Pedro Pablo Kuczynski von der Partei Peruaner für den Wandel (PPK), der – ähnlich wie viele andere Kandidat*innen – einen harten Kurs gegen Kriminalität fordert und sich für die wirtschaftliche Öffnung des Landes einsetzt. Barnechea und Mendoza haben in den vergangenen Monaten allerdings deutlich aufgeholt. Und eines ist klar: Wer auch immer in der Stichwahl gegen Fujimori im Mai antritt, hat gute Chancen Präsident*in zu werden. Denn trotz ihres Spitzenplatzes in den Umfragen bleibt Keiko Fujimori im Land äußert umstritten, weil sie sich nicht hinreichend von der Diktatur ihres Vaters distanziert. Alberto Fujimori wurde wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren und wegen Korruption zu acht weiteren Jahren Haft verurteilt. Keiko Fujimori bestreitet, dass sich ihr Vater überhaupt strafbar gemacht hat.