El Salvador | Nummer 310 - April 2000

Romero Vive

El Salvador begeht den 20. Jahrestag der Ermordung von Erzbischof Romero

Keine Figur spaltet die salvadorianische Gesellschaft nach wie vor so sehr wie der Erzbischof von San Salvador, der 1980 von einem bezahlten Killer während einer Messe ermordet worden war. Für die einen ist er schon lange San Romero de América, für die anderen immer noch ein Agitator und Kommunist. Aber es gibt auch erste zaghafte Versuche der offiziellen Anerkennung. In San Salvador wurde eine Straße nach Romero benannt und das salvadorianische Parlament hat Romeros pastorale Arbeit anerkannt.

Markus Müller

Wahrheiten existieren nicht, sondern sie müssen durchgesetzt werden, hat Brecht einmal sinngemäß geschrieben. Um einige wird gerungen und gestritten, andere werden per Dekret festgestetzt. In El Salvador gibt es eine Wahrheit, die ganz besonders schwierig durchzusetzen ist, nämlich die Wahrheit um die Umstände der Ermordung des Erzbischofes von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero, am 24. März 1980 durch einen bezahlten Killer.
Die beiden großen Tageszeitungen San Salvadors, der Diario de Hoy und die Prensa Gráfica, bemühen sich darum, die Berichterstattung zum 20. Todestag möglichst auf Sparflamme zu halten. Letztere schreibt, Romero sei durch einen Scharfschützen erschossen worden, gerichtlich seien die Verantwortlichen jedoch nie gefunden worden. Diese Version findet sich auch in den Schulbüchern zur salvadorianischen Geschichte wieder, die Mitte der neunziger Jahre vom Erziehungsministerium herausgegeben wurden. Der Diario de Hoy, der Romero zu Lebzeiten als Marxnulfo Romero diffamierte, schweigt sich über Romero fast ganz aus, und berichtet lediglich über das im Zusammenhang mit den Feierlichkeriten zu erwartende Verkehrschaos.
Dabei lässt die UN-Wahrheitskommission zur Untersuchung der in El Salvador während des Bürgerkrieges (1980-1992) begangenen Menschenrechtverletzungen keine Zweifel an der Identität des Aufraggebers: “Es gibt vollständige Beweise dafür, dass Ex-Major D’Aubuisson den Befehl gab, den Erzbischof zu ermorden und Mitglieder seines Sicherheitsdienstes damit beauftragte…”. Auf die Frage, warum der Journalist der Prensa Gráfica dies nicht einmal erwähnte, meint dieser: “Wir wollen keine alten Wunden aufbrechen, denn El Salvador befindet sich in einem Versöhnungsprozess”, und über den will der Journalist Zelada eigentlich berichten.
Denn zum ersten Mal hat das salvadorianische Parlament mit immerhin 73 von 84 Stimmen die Arbeit Romeros anerkannt. Dieser habe sich “als Priester für Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie und Frieden eingesetzt”, heißt es in dem Dokument, das von Abgeordneten der FMLN angestoßen, aber zusammen mit Abgeordneten der Regierungspartei ARENA verfasst wurde. Trotz des wenig kompromittierenden Textes enthielten sich dennoch drei ARENA-Abgeordnete bei der Abstimmung. Dies zeigt, wie tief der Stachel Romero vor allem bei ARENA noch immer sitzt. Schließlich war der 1992 verstorbene Roberto D’Aubuisson nicht irgendein Ex-Major, sondern der Gründer der seit 1989 regierenden ARENA und gleichzeitig deren Máximo Líder. Noch heute prangt in jedem Parteibüro von ARENA ein Porträt des paranoid-antikommunistischen Ex-Majors. Angesichts dieser Umstände ist die Anerkennung Romeros durch den größten Teil der ARENA-Fraktion tatsächlich ein Ereignis – selbst dann, wenn der Sohn des 1992 verstorbenen Ex-Majors darauf hofft, diese Erklärung könne dazu beitragen, “die Vergangenheit zu vergessen”.
Der alte und neue Bürgermeister San Salvadors, Héctor Silva von der FMLN, bemüht sich intensiver um die Figur des ermordeten Erzbischofs und war bei den Feierlichkeiten regelmäßig anwesend. Er erklärte Romero zum verdienten Sohn der Stadt und benannte eine Straße im Zentrum der Hauptstadt nach dem Märtyrer.
Solche symbolischen Anerkennungen sind sicherlich wichtig. Sie zeigen einerseits, welche historischen Persönlichkeiten einer Gesellschaft als Vorbilder dienen sollen. Hier tut Veränderung in El Salvador sicherlich not. Andererseits wird deutlich, dass zumindest eine gewisse Entkrampfung von Teilen der Rechten stattgefunden hat.
Symbolische Akte dieser Art können jedoch auch trügerisch sein. Plötzlich wird ein Mensch zum Mythos, und wer will, darf sich nach Herzenslust bedienen. Die konkreten Handlungen und Entscheidungen sowie die historischen Umstände seiner Ermordung geraten dabei aus dem Blickfeld.

Politik Gottes

Soweit scheint es, zumindest jetzt, noch nicht zu sein. Denn Romero verursacht noch heute die polemischsten Diskussionen. Der Jesuitenpriester und Befreiungstheologe Jon Sobrino, der 1989 nur zufällig dem Massaker entkam, bei dem sechs seiner Kollegen ermordet wurden, muss sich sichtlich am Riemen reissen, als er in einem Fernsehinterview dem Zuschauer antwortet, der Romero beschuldigt, dieser sei polemisch und politisch gewesen, hätte sich von der Linken benutzen lassen, hätte nicht den Frieden sondern den Krieg gepredigt und hätte sich außerdem nicht für alle Christen gleich, sondern nur für die Armen eingesetzt.
Sobrinos Antwort: “Jesus war polemisch und ist deswegen ans Kreuz geschlagen worden, und auch Romero hat viel Politik gemacht. Er wollte die Gesellschaft verändern, und das ist die Politik Gottes.”
Aber nicht alle Geistlichen sprechen eine solch deutliche Sprache wie Sobrino. Die konservative Amtskirche stellt Romero vor allem als einen Mann des Glaubens dar, der in engstem Kontakt mit Gott stand. Dass die von Romero getroffene “Option für die Armen” zugleich eine Entscheidung gegen die Oligarchie und den Repressionsapparat impliziert, und damit eine Entscheidung ist, wie sie politischer nicht sein könnte, diese Tatsache wird meist zu umgehen versucht.
Monseñor Uriostes, Hauptorganisator der Feierlichkeiten des Bistums San Salvador, schlägt einen deutlich anderen Ton an als Sobrino. Er findet es “schlecht”, wenn die Linke Romero für sich in Anspruch nimmt, und verspricht für diejenigen zu beten, die Romeros Option für die Armen kritisieren und diffamieren. Uriostes selbst war ein enger vertrauter Romeros und teilt nach eigenen Angaben mit ihm die Option für die Armen. Dennoch hält er sich mit politisch kompromittierenden Aussagen äußerst zurück. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es sich bei seinem direkten Vorgesetzten, dem Erzbischof von San Salvador, Fernando Saenz Lacalle, um einen ausgesprochen konservativen Kleriker handelt, der als ehemaliger Militärbischof eine offensichtlich andere Entscheidung getroffen hat als Romero. Außerdem soll ein weniger politisch als vielmehr religiöser Monseñor Romero präsentiert werden, um ihn für das eingeleitete Kanonisierungsverfahren flott zu machen. In diesem Sinne empfahl ihn auch Saenz Lacalle in seiner Predigt am 20. Todestag in der Kathedrale von San Salvador dem Papst. Kein Wort jedoch über Romeros harsche und äußerst konkrete Kritik am politischen System des El Salvador der siebziger Jahre und an der Oligarchie. Kein Wort auch über Romeros Kritik an der politischen Rechten, die er mit sozialer Ungerechtigkeit gleichsetzte. Die ZuhöhrerInnen quittierten die Predigt Saenz Lacalles mit mäßigem Beifall.

San Romero de América

Es gibt noch eine ganz andere Version Romeros als die des salvadorianischen Kirchenobersten. Sie ist auf der Straße anzutreffen, bei dem Kerzenmarsch zur Kathedrale am Abend des 24. März mit 20.000 Menschen, bei den vielen Veranstaltungen, in denen über das Denken und die pastorale Arbeit Romeros reflektiert wird, oder bei der Verlagsvereinigung Equipo Maíz, die seit Jahren versucht, den politischen, polemischen und populären Romero in einer Vielzahl didaktischer Veröffentlichungen zu erhalten.
Auch bei einer Abendmalfeier in der Kapelle des Hospitals der “Göttlichen Vorsehung”, in der Romero ermordet wurde, wurde ein anderer Ton angeschlagen. Auf der Feier, die von dem chiapanekischen Bischof Samuel Ruiz geleitet wurde, kam auch eine weltliche Zeitzeugin mit einer flammenden Rede gegen die neoliberale Politik der Regierung zu Wort, die von den Zuhörern begeistert aufgenommen wurde. Ruiz hat keine Berührungsängste mit der Politik. In einer Veranstaltung zwei Tage vorher hatte der “Bischof der Indígenas” darauf hingewiesen, dass Kirche und Religion kein Monopol auf den Begriff des Märtyrers erheben können, sondern dass es auch “Märtyrer der Gerechtigkeit” gebe. Romero sei ein Märtyrer der Kirche und der Gerechtigkeit gewesen. Ob Romero von Rom nun heilig gesprochen wird, ist letztlich zweitrangig. Die 20.000, die am 24. März durch die Straßen von San Salvador zogen, haben ihn bereits kanonisiert: Für sie ist er San Romero de América

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