Honduras | Nummer 442 - April 2011

Rückwärts Marsch – Drei Schritte nach Rechts

Der politische Backlash unter Präsident Porfirio Lobo Sosa

Die durch zweifelhafte Wahlen im November 2009 an die Macht gelangte Regierung von Lobo Sosa bläst zum Generalangriff auf Sozialstandards, belebt die Privatisierungsvorhaben neu und eröffnet den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes. Diese reaktionäre Politik der PutschistInnen-Regierung verschärft die soziale Polarisierung. Der Widerstand dagegen hat mit harter Repression zu kämpfen und wird zum Ziel straffreier Morde, Entführungen und Sabotagen. Nichtsdestotrotz wählt die Europäische Union Lobo Sosa als engen Partner in der Region.

Fabian Unterberger

Porfirio Lobo Sosa präsentiert sich gerne als Präsident der nationalen Versöhnung. Sein Kabinett taufte er pathetisch „Regierung der nationalen Einheit“. Doch schon in der Interpretation der Wahlen vom November 2009 gibt es zwei völlig verschiedene Perspektiven im Land. Während Lobo sich durch eine stabile Mehrheit gestützt sieht, spricht die Opposition von Wahlbetrug. Die Wahlbeteiligung erreichte laut Regierung einen historischen Höchststand von 80 Prozent, während die Opposition, die zum Wahlboykott aufrief, höchstens von 40 Prozent ausgeht. Obwohl keine unabhängige Wahlbeobachtung stattfand, wurde in nationalen Medien von zahlreichen Unregelmäßigkeiten berichtet. Ganz zu schweigen von den militarisierten Verhältnissen, unter denen die Wahl stattfand.
Den zweifelhaften Umständen der Wahl zum Trotz sind mittlerweile jedoch drei Dinge manifest: Lobo ist seit über einem Jahr Präsident von Honduras, regiert ein Land, das zutiefst gespalten ist und schafft es doch, international an Boden zu gewinnen. Die Polarisierung in Honduras rührt nicht ausschließlich vom Putsch her, sondern gründet sich auch auf der neoliberalen Offensive, welche die Regierung Lobo in ihrem einjährigen Bestehen ausgezeichnet hat. In ihr findet eben die Politik, die unter den Vorgängern Zelayas die massiven sozialen Proteste der 1990er auf den Plan brachte, ihre Fortsetzung. Zelaya brach in weiten Teilen mit der neoliberalen Agenda seiner Vorgänger und kooperierte mit den sozialen Bewegungen. Demgegenüber scheint Lobo von der Nationalpartei Honduras (PNH), der konservativsten Kraft des Landes, darum bemüht, diese lästige Erinnerung so schnell als möglich auszulöschen.
Eine erste Offensive der Regierung richtete sich gegen die LehrerInnengewerkschaft „Föderation der Lehrerorganisationen Honduras“ (FOMH). Der von ihr 1997 erkämpfte Mindestlohn wurde gestrichen, seit Lobos Amtsantritt sind 6.000 Grund- und MittelschullehrerInnen gänzlich ohne Bezahlung geblieben.
Der Abbau von Sozialstandards in einem Land, in dem ohnehin schon über die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt, macht auch vor der Maquila-Industrie nicht halt. Ein neues Stundenarbeitsgesetz zeichnet dafür verantwortlich, dass regulär Beschäftigte massenhaft ihre Anstellung verlieren und durch StundenarbeiterInnen ersetzt werden, die weder Anspruch auf Versicherung noch auf Urlaub haben.
Die von Zelaya gestoppten Privatisierungsvorhaben im Energie-, Telekommunikations- und Infrastrukturbereich hat Lobo wieder aufgenommen. Das Wasserkraftwerk „José Cecilio del Valle“, das 120.000 Menschen in über 90 Gemeinden im Süden Honduras versorgt, wurde an ein italienisches Konsortium verkauft. Die vollständige Privatisierung von Hondutel, dem staatlichen Telekommunikationsunternehmen, ist nach einer strategischen Allianz mit dem amerikanischen Anbieter Latincom im Januar 2011 nur noch eine Frage der Zeit. Ganz oben auf der Privatisierungsliste steht auch der staatliche Energiekonzern ENEE.
Doch nicht nur Staatsbetriebe bringt Lobo unter den Hammer. Auch natürliche Ressourcen werden unter seiner Regierung zum Verkaufsschlager. Ein neues Wassergesetz, beschlossen schon im August 2009 unter dem Putschpräsidenten Roberto Micheletti, ermöglicht heute die Konzessionierung von Flüssen an ausländische Unternehmen. Bis April 2010 genehmigte die Regierung 47 derartige Projekte, 250 weitere befinden sich in Planung. Teilweise mit hohen finanziellen Hilfen von USAID, welches die von den Konsortien getragenen Projekte mitfinanziert, werden an den Flussläufen Wasserkraftwerke errichtet. Da Honduras jetzt schon mehr Energie produziert als es selbst konsumiert, erläutert Berta Cáceres, Koordinatorin der Indigenenorganisation COPINH, solle mit dem erzeugten Strom vor allem der krisengebeutelte US-Markt beliefert werden. Profite um die 40 Milliarden US-Dollar werden in den nächsten 30 Jahren aus der Energiegewinnung erwartet. Der Fluss Río Negro, an dessen Lauf drei Dörfer liegen, und der die Lebensgrundlage deren BewohnerInnen darstellt, wird so zum profitträchtigen Schnäppchen.
„Das Resultat des Putsches ist ein noch nie da gewesener Ausverkauf der natürlichen Ressourcen von Honduras“, resümiert Berta Cáceres. Dieser macht auch vor den honduranischen Wäldern nicht halt. Ganze Waldstriche werden auf ihre Kapazität vermessen, Kohlendioxid zu absorbieren. Anschließend werden sie parzelliert und an ausländische Konzerne verleast, die dadurch an neue Kohlendioxid-Emissionszertifikate gelangen. Die lokale Bevölkerung hingegen wird durch die Konzessionierung der Wälder an private Unternehmen von deren Nutzung ausgeschlossen.
Den Gipfel des Ausverkaufs des Landes stellt aber das im Januar 2011 beschlossene Projekt der so genannten Charter-City („Ciudad Modelo“) im Norden von Honduras dar. Nach den hierfür erforderlichen Verfassungsänderungen werden in „Speziellen Entwicklungszonen“ die honduranischen Gesetze weitgehend außer Kraft gesetzt. In diesen autonomen Städten mit eigener Legislatur sollen ausländische InvestorInnen direkt am Gesetzgebungsprozess beteiligt werden. Die „investorenfreundlichen“, den chinesischen „Sonderproduktionszonen“ nicht unähnlichen Autonomiegebiete sollen auch Freihandelsabkommen mit anderen Staaten abschließen können.
Unterdessen eskaliert die Regierung den Landkonflikt im Tal von Bajo Aguán im Nordosten Honduras. Seit dem Inkrafttreten des „Modernisierungsgesetzes für den Agrarsektor“, das den Verkauf von staatlichem und Genossenschaftsland erlaubte, ist dort ein rasanter Landkonzentrationsprozess im Gang. Mittlerweile verfügt in Honduras ein Prozent der Bevölkerung über 33 Prozent des fruchtbaren Bodens. BäuerInnenorganisationen fordern heute die Grundstücke zurück, die in ihren Augen illegal und unter Verletzung des Landgesetzes von 1972 verkauft wurden. Dem begegnen die GroßgrundbesitzerInnen wie Miguél Facussé wiederum mit dem Einsatz von paramilitärischen Milizen, die für zahlreiche Massaker in der Region verantwortlich gemacht werden. Lobo entsendete zusätzlich Militär und verhängte den Ausnahmezustand über Gebiete, in denen gerade protestiert wurde. Die Grenzen zwischen Miliz und Soldat sind dabei häufig fließend. Gleichzeitig kommt die Regierung schon unterzeichneten Abkommen zur Titulierung von Land, für das die Kooperativen Besitzansprüche geltend machen konnten, nicht nach. Auch das 2008 noch unter Zelaya verabschiedete Dekret 18-2008 ließ Lobo außer Kraft setzen. Es garantierte den Bauern und Bäuerinnen die Ausstellung von Besitzurkunden, sofern sie nachweisen konnten, das Land seit mindestens zehn Jahren bestellt zu haben.
Während heute 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung in Armut leben, setzt Lobo Sosa auf den Anbau von Palmöl für den Export. „Was in Honduras forciert wird, ist das alte neoliberale Konzept der Produktion für den Export bei gleichzeitigem Import von Nahrungsmitteln aus dem Ausland.“, resümiert Gilberto Ríos von der Nichtregierungsorganisation FIAN, die sich für das Menschenrecht auf Nahrung einsetzt.
Es sind diese sozialen Verhältnisse, die Honduras seit dem formellen Ende der Militärdiktatur 1982 gespalten haben. Laut einer aktuellen Studie des unabhängigen Forschungsinstituts CESPAD haben 71 Prozent der HonduranerInnen kein Vertrauen in die Demokratie in ihrem Land. Ein Drittel der Befragten unterstützt direkt die Widerstandsbewegung FNRP. Angesichts der Unerträglichkeit der Verhältnisse befürworten 55 Prozent der Bevölkerung das von der FNRP verfochtene Anliegen einer Verfassunggebenden Versammlung und einer „Neugründung“ Honduras‘.
Die Regierung von Pepe Lobo erkennt die FNRP aber nicht als politischen Akteur an. Seit Amtsantritt Lobos hat die Repression massiv zugenommen. Allein im ersten Halbjahr von Januar bis August 2010 registrierte die renommierte honduranische Menschenrechtsorganisation COFADEH (Komitee der Angehörigen der Verhafteten und Verschwundenen in Honduras) über 100 politische Morde. Dazu kamen mehr als 1.000 politisch motivierte Menschenrechtsverletzungen. Die Koordinatorin der Organisation, Bertha Oliva, ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Versöhnungsdiskurs von Porfirio Lobo als das zu erkennen, was er sei: eine Lüge. „Ich bin es leid zu sehen, wie hier verfolgt, gemordet, unterdrückt und gleichzeitig gelogen wird“, beklagt Oliva.
Im April 2010 erklärten die „Reporter ohne Grenzen“ Honduras zum gefährlichsten Land für JournalistInnen weltweit. Nicht ohne Grund: Als Anfang 2011 der Zeitungsjournalist Henry Suazo von Unbekannten erschossen wurde, erhöhte sich die Zahl der 2010 ermordeten JournalistInnen auf elf. In einem solchen Klima fallen Morddrohungen, wie sie etwa Esdras Amado López, Direktor vom Fernsehsender Canal 36 im Januar 2011 von einem Militär erhielt, auf fruchtbaren Boden. Hinzu kommt, dass von den registrierten Mordfällen bisher nur ein einziger aufgeklärt wurde. Dieses Klima der Straflosigkeit und der Angst hat mit Demokratie nichts zu tun. Oscar Mendoza, Sekretär der Basisorganisation PRO, ist alarmiert: „Was wir hier erleben, ist die ‚Kolumbianisierung‘ des Konflikts in Honduras.“
Honduras, das seit dem Putsch aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ausgeschlossen ist, konnte anfangs nur auf die Unterstützung Kolumbiens, Perus und Panamas zählen. Mittlerweile aber haben die meisten westlichen Regierungen ihre Beziehungen zur Putschregierung normalisiert. In der EU brechen vor allem Spanien und Deutschland die Lanze für Lobo. Der Aufsichtsratvorsitzende der deutschen Entwicklungshilfeagentur GIZ, Hans-Jürgen Beerfeltz, meint: „Die Regierung von Präsident Lobo bedeutet für uns einen positiven Wandel im Land“. Gloria Oqueli, Ex-Päsidentin des zentralamerikanischen Parlaments, stellt demgegenüber fest: „Die EU macht sich zur Komplizin der Barbarei in Honduras.“


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