Mexiko | Nummer 473 - November 2013

Sand im Getriebe

Widerstand gegen Windkraftprojekte hält trotz ermordeter Aktivist_innen an

Gigantische Windkraftprojekte zerrütten die indigenen Küstengemeinden im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Jüngstes Beispiel ist die Konfliktentwicklung um den Windpark Bii Hioxho in Juchitán. Die Gewalt gegen die Projektgegner_innen reißt nicht ab.

Philipp Gerber

„Zwei mal haben sie Héctor Regalado bedroht und aufgefordert, die Seite zu wechseln, sich wie einige seiner Freunde und sein eigener Vater in den Sold von Gas Natural Fenosa zu stellen. Doch Héctor weigerte sich und blieb an der Seite des Volkes, wenn er auch seine Präsenz an unserer Barrikade vorsichtshalber reduzierte. Beim dritten Mal kündigten sie an, dass sie ihn ermorden würden“, erzählt Mariano Lopez Gómez. Er ist Sprecher der Volksversammlung von Juchitán (APPJ), die den Widerstand gegen das Windkraftprojekt der spanischen Firma Gas Natural Fenosa (kurz: Fenosa) koordiniert. Eine Woche nach der dritten Morddrohung, am 21. Juli 2013, lauerten die Mörder Héctor Regalado Jiménez auf einem Quartiersfest auf. Uniformierte der Hilfspolizei PABIC, die für den Schutz von Unternehmen eingesetzt wird, und zivile Pistoleros feuerten auf ihn; sechs Kugeln trafen ihn, im Handgemenge wurde auch ein Polizist verletzt. Nach zehntägiger Agonie verstarb Héctor am 1. August.
Keines der zahlreichen umstrittenen Windkraftprojekte im Isthmus von Tehuantepec hat soviel Leid verursacht wie der Bii Hioxho genannte Park von Fenosa (siehe LN 456 und 467). Seit März 2013 machte die APPJ rund ein Dutzend Übergriffe auf ihre Aktivist_innen bekannt, darunter mehrere mit Schusswaffeneinsatz. Fenosa ihrerseits dementiert regelmäßig jegliche Verbindung zu den Gewalttaten. Bii Hioxho, „alter Wind“ auf zapotekisch, soll auf einem Areal von 2.000 Hektar mit 117 von der spanischen Firma Gamesa gestellten Windrädern 234 Megawatt Strom produzieren. Damit wäre er der zweitgrößte Windpark Lateinamerikas. Ursprünglich sollte der Park Mitte 2014 ans Netz gehen, doch aufgrund des Widerstands wird in drei Schichten gebaut, um bereits bis Ende 2013 Tatsachen zu schaffen.
Seit 2007 begann Fenosa Pachtverträge abzuschließen, wie in den armen Regionen Mexikos üblich mit falschen Versprechen; zum Beispiel, dass die Vertragspartner_innen an Gewinnen beteiligt würden oder ihre Kinder auf Kosten der Firma im Ausland studieren können, kurz, dass sie im Handumdrehen zu Millionären würden. Die realen Zahlen in den Verträgen sagten etwas anderes: Umgerechnet acht Euro pro Hektar und Jahr beträgt die Pachtzahlung, plus eine einmalige Zahlung von umgerechnet 200 Euro bei Vertragsabschluss. Die Projektgegner_innen werfen zudem Lokalpolitiker_innen verschiedener Couleur vor, im Vorfeld des Projekts illegal Gemeinde-Ländereien privatisiert zu haben. „Die wertvollen Kommunaltitel wurden eingetauscht gegen neue, notariell beglaubigte private Landtitel“, beklagt Mariano López im Gespräch. Der überregional für seine skandalösen Rechtsverdrehungen bekannte Notariat Jorge Winkler zeichne dafür verantwortlich.
Im Februar 2013 begann Fenosa mit den Bauarbeiten am Ufer der Lagune südlich von Juchitán. Die sozialen Auseinandersetzungen um die Windkraftprojekte im Isthmus von Tehuantepec konzentrierten sich damals auf ein noch monströseres Projekt namens San Dionisio, das auf der Landzunge innerhalb der Lagune geplant war. Der Baubeginn wurde jedoch durch den entschlossenen Widerstand der lokalen Gemeinden verhindert (siehe LN 467). Im Zuge der Mobilisierungen begann sich auch in Juchitán selbst die Bevölkerung zu organisieren. In dem armen Fischerviertel Siebte Sektion informierte das Gemeinderadio Totope über die üblen Tricks der Investor_innen. Ab Ende Februar blockierten die Anwohner_innen den Zufahrtsweg zu Playa Vicente und damit zur Lagune für die Bauarbeiten von Fenosa. Der Konflikt eskalierte erstmals an Ostern: Ein Versuch der Polizei, die von der Opposition konfiszierten Baufahrzeuge zu erobern, misslang: in einer heftigen Auseinandersetzung wurden dutzende Personen auf beiden Seiten verletzt, darunter zwei Polizisten schwer.
Die Regierung Oaxacas, geführt von Gouverneur Gabino Cué, torpedierte tags darauf eine Verhandlungsrunde, indem sie Radio Totope räumte, in den folgenden Tagen kam es zu zahlreichen Festnahmen und Haftbefehlen. Gleichzeitig mit der Verhaftung des Verhandlungsführers und Sprechers der APPJ, Mariano López Gómez, am 2. April wurde auch das Büro der Menschenrechtsorganisation CODIGO DH in Oaxaca-Stadt nächtens von Unbekannten durchsucht. CODIGO DH begleitet bedrohte Menschenrechtsaktivist_innen im Isthmus juristisch sowie psychologisch und dokumentierte bei Besuchen vor Ort diverse Übergriffe. „Seit mehreren Monaten wird in Oaxaca ein Klima der Verfolgung gegenüber Menschenrechtsverteidigern auf Gemeindeebene geschürt, welche wir begleiten. Einige davon wurden kürzlich verhaftet“, beklagte CODIGO DH in einem Protestschreiben anlässlich des Einbruchs in ihrem Büro. Aufgrund des öffentlichen Drucks musste Mariano López nach Tagesfrist freigelassen werden.
Doch eine echte Verhandlungslösung scheiterte weiterhin am fehlenden politischen Willen der Regierung Cué. Auch eine weitere Verhandlungsrunde im August unter Vermittlung des prominenten Priesters Alejandro Solalinde brachte keine Ergebnisse. Währenddessen trieb Fenosa über einen Alternativzugang die Bauarbeiten weiter voran.
Trotz der Gewalteskalationen der letzten Monate macht die APPJ weiterhin die illegalen Grundlagen von Bii Hioxho und die negativen Auswirkungen des Großprojekts auf die Bevölkerung publik. So würden verschiedene rituelle Orte der Zapoteken an der Lagune zerstört werden und lokale Heilerinnen könnten ihre dort wachsenden Pflanzen nicht mehr ernten. Mehrere Landbesitzer_innen, welche ihr Land nicht an Fenosa verpachtet haben, seien von Bewaffneten am Betreten ihrer Ländereien gehindert worden. Anlässlich der starken Regenfälle im September dokumentierte die APPJ auch die Überschwemmung zahlreicher Ackerflächen, da die Bauarbeiten den natürlichen Abfluss der Regenmassen verhinderten.
Macht denn der Widerstand angesichts des fortschreitenden Baus überhaupt noch Sinn? „Ja, denn wir sagen der Gesellschaft von Juchitán, dass wir trotz allem aufrecht bleiben. Viele Leute, darunter einfache Fischer, Bauern, Hausfrauen haben in uns vertraut. Wir werden unsere Rechte weiterhin verteidigen“, antwortet Mariano López. Sara Mendez, Koordinatorin von CODIGO DH, fügt hinzu: „Der Widerstand ist vor allem symbolisch wichtig: Dass einige arme Fischer es wagen, das Verhalten dieser internationalen Firma so grundsätzlich in Frage zu stellen, schmerzt diese sehr“. So wird die Blockade gegen Fenosa am Zugang zu Playa Vicente weiter aufrecht erhalten. Auch das Radio Totope erholt sich vom Repressionsschlag und feierte im September seine Wiedereröffnung. Dessen Mitarbeiter Carlos Sancho betont, dass die Radioarbeit seit 2006 hilft, die zapotekische Kultur zu regenerieren und das Bewusstsein in der Bevölkerung „über den historischen Kampf der indigenen Völker des Isthmus gegen die Versuche der Enteignung und der Projekte der Kolonisierung“ zu schärfen. Das letzte Wort im jüngsten Konflikt um die „grüne“ Energie im Isthmus von Oaxaca ist noch nicht gesprochen.

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