Berlinale

Schlangen, Bäume, Gender-Räume

Geschlechterspezifische Themen dominieren bei den lateinamerikanischen Kurzfilmen der 73. Berlinale

Auf verschiedene Sektionen des Festivals verteilt waren 2023 die Berlinale-Kurzfilme aus Lateinamerika. Dabei stand die Reflexion über Genderverhältnisse bei vielen Beiträgen im Mittelpunkt. Einer der Kurzfilme gewann dafür auch einen Preis.

Von Dominik Zimmer

Foto: Joanna Ramos

As Miçangas (Brasilien)

As Miçangas (Perlen) war 2023 der einzige lateinamerikanische Beitrag in der Berlinale-Kurzfilmsektion Shorts. Zwei junge Frauen fahren darin zu einem abgelegenen Ferienhaus im brasilianischen Hinterland. Dort gibt es keine Wasserversorgung, dafür offensichtlich recht große Schlangen. Doch davon lassen sich die beiden nicht ablenken, denn ihr Aufenthalt in der Einsamkeit hat einen Grund: Eine der beiden will eine medikamentöse Abtreibung durchführen und dafür möglichst ungestört sein.

Während der Film atmosphärisch mit guten schauspielerischen Leistungen und einigen schönen Einstellungen durchaus punkten kann, hat die Handlung wenig Überraschendes zu bieten. Und auch der angekündigte Auftritt von Starschauspielerin Karine Teles ist eher enttäuschend, da er sich auf ihre Stimme beschränkt: Zwei ins Telefon gesprochene Sätze sind alles, was von ihr zu hören ist.

As Miçangas, Brasilien 2023, Berlinale Shorts, 18 Minuten; Regie: Rafaela Camelo, Emanuel Lavor
LN-Bewertung: 3/5 Lamas

Foto: Renata Baracho

Infantaria (Brasilien)

Infantaria (Infanterie) spielt im brasilianischen Nordosten und gewann den Kurzfilm-Preis der Internationalen Jury in der Berlinale-Jugendfilmsektion Generation 14 Plus. Das auch zu Recht, denn der Film wirft ein Schlaglicht auf die unterschiedlichen Rollenbilder und Erwartungen, die Jungen, Mädchen und Erwachsene dort aus- und erfüllen. Ludmilla ist Gynäkologin, ihre Tochter Joana steht kurz vor ihrem 10. Geburtstag und der ersten Periode. Ihr Vater, ein Soldat, ist abwesend und trotzdem das Idol ihres älteren Bruders, der ihn im Fernsehen bei Militärparaden auszumachen versucht. Während die Familie voll in den Vorbereitungen für die Geburtstagsparty steckt, klopft die Teenagerin Verbena hilfesuchend an Ludmillas Tür.

Infantaria bleibt bei der Beschreibung der Geschlechterrollen nicht immer frei von Klischees, schafft es aber auch mehrfach, diese humorvoll-ironisch zu brechen. Durch die Beobachtung einer Kontinuität patriarchaler Rollenmuster in verschiedenen Altersstufen entsteht dabei das Porträt einer Gesellschaft, die bis zu einer gerechten Gleichstellung der Geschlechter noch einen weiten Weg vor sich hat.

Infantaria, Brasilien 2022, Generation 14Plus, 24 Minuten, Regie: Laís Santos Araújo
LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Foto: Elisa Barbosa

Antes de Madrid (Uruguay)

Micaela zieht mit ihren Eltern nach Spanien um. Sex mit ihrem Teenie-Freund Santiago hatte sie bislang noch nicht. Das soll sich nun ausgerechnet am Tag vor ihrer Abreise ändern. Besonders gut geplant haben die beiden die Sache allerdings nicht: Bis kurz vorher sind weder Kondome noch ein halbwegs gemütlicher Ort für die gewünschte Zusammenkunft organisiert. Dass das nicht gutgehen kann, ahnt man im uruguayischen Kurzfilm Antes de Madrid (Vor Madrid) relativ schnell. Aber wieso warten die Zwei eigentlich mit ihrem ersten Mal bis zur letzten Sekunde? Wer von beiden fühlt den Drang, dass es unbedingt vor der Reise und mit dieser Person noch passieren muss? Und wenn es doch so wichtig ist, warum hat trotzdem niemand ordentliche Vorbereitungen getroffen? Antes de Madrid krankt ein wenig an seiner doch arg konstruierten Ausgangssituation, die diese Fragen offen lässt. Und auch die komischen Situationen im Film sind meist recht vorhersehbar. Als Ausgleich bekommt man sympathisch-unbeholfene Hauptdarsteller*innen und eine rund zu Ende erzählte Handlung zu sehen.

Antes de Madrid, Uruguay 2022, Generation 14Plus, 20 Minuten; Regie: Ilén Juambeltz, Nicolás Botana
LN-Bewertung: 3/5 Lamas

Foto: Ana Vaz

A árvore (Brasilien)

Ein Straßenzug, ein Friedhof, eine Panorama-Ansicht von Rio de Janeiro. Eine Meeresküste, ein Flussufer am Amazonas. Diese Einstellungen werden in A árvore (Der Baum) mehrfach wiederholt. Darüber sind per Voiceover Gespräche von Ana Vaz, der Regisseurin, mit ihrem Vater, einem Musiker gelegt, der in Rio lebte und für seine Kompositionen mit der indigenen Bevölkerung im brasilianischen Bundesstaat Rondônia zusammengearbeitet hat. A árvore soll ein Film über ihn sein und bis zur Hälfte funktioniert das auch halbwegs. In den zweiten zehn Minuten wird allerdings nur noch kommentarlos immer derselbe Baum in wechselnden Jahreszeiten und klimatischen Bedingungen gezeigt. Was das damit zu tun hat, „den außergewöhnlichen Alltag des Lebens“ widerzuspiegeln, wie es nach eigener Aussage das Ziel der Regisseurin mit ihrem Film war, bleibt rätselhaft. Für die meisten Zuschauer*innen dürfte es einfach nur eintönig sein und mit großer Filmkunst nicht viel zu tun haben. Schade, denn Vaz hatte mit der exzellenten Kurzdoku Apiyemiyekî (2019) auf der Berlinale zuletzt auch schon ein viel aussagekräftigeres Werk vorgelegt.

A árvore, Spanien/Brasilien 2022, Forum Expanded, 21 Minuten, Regie: Ana Vaz
LN-Bewertung: 1/5 Lamas

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