Schlauer Fox oder Luftikus?
Der Allesversprecher Vicente Fox bricht die Herrschaft der PRI
Bill Clinton nannte Fox bei seinem Besuch in den USA einen Luftikus. Denn über dessen überraschenden Vorschlag, die Grenzen zwischen beiden Ländern zu öffnen und die Nafta zu einer Währungsunion zu erweitern, konnten seine nordamerikanischen Kollegen nur halb belustigt, halb empört den Kopf schütteln. Als mexikanische Journalisten daraufhin Fox‘ Rundreise als einen Reinfall bezeichneten, wurden sie von seinem Beauftragten für internationale Beziehungen Jorge Castañeda prompt als „ignorantes und schlecht informiertes Pack“ beschimpft, dem man sich „besser nicht anvertrauen sollte“. Diese Anekdote verrät zweierlei: erstens, dass sich Fox gerne überschätzt, und zweitens, dass die neuen Mächtigen des Landes eine fragwürdige Auffassung von Meinungs- und Pressefreiheit haben, die dem viel propagierten Beginn einer Ära der „Toleranz, Pluralität und Diversität“ widersprechen.
Repression und Diskriminierung
Vor allem auf regionaler Ebene ist von Toleranz heute weniger zu spüren denn je. Durch den Wahlsieg ermutigt, haben die Partei der Nationalen Aktion PAN und die ihr nahe stehenden erzkonservativen Kreise der katholischen Kirche wie Opus Dei, Legionäre Christi und Organisationen wie PROVIDA eine sexistische Kampagne gegen Homosexuelle und Frauen initiiert. Ausschlaggebend war eine Gesetzesänderung im nördlichen Bundesstaat Guanajuato Anfang August. Dort hatte die PAN-Mehrheit im Kongress beschlossen, Abtreibung auch im Falle einer Vergewaltigung mit bis zu acht Jahren Gefängnis zu bestrafen. Die Abtreibungsregelungen variieren in Mexiko von Bundesstaat zu Bundesstaat. Gegenwärtig gibt es drei Fälle in den Abtreibungen erlaubt sind: wenn die Gesundheit der Mutter oder des Embryos stark gefährdet ist, oder wenn die Frau vergewaltigt wurde. Guanajuato ist ausgerechnet der Bundesstaat, in dem Fox als Gouverneur Frauen das Tragen von Miniröcken in staatlichen Einrichtungen verboten hatte. Fox versichert nun zwar, die Abtreibungsregelung aus Guanajato nicht auf Bundesebene zu übernehmen, macht aber gleichzeitig deutlich, dass auch er für das „Recht auf Leben“ stehe.
Nachdem die Partei der Demokratischen Revolution PRD in Mexiko-Stadt den Bürgermeisterposten zwar wieder gewonnen, die Mehrheit im Abgeordnetenhaus aber an die PAN verloren hat, brachte die scheidende Bürgermeisterin Rosario Robles Ende August noch eine Gesetzesreform ein, die die legalen Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch in Mexiko-Stadt erweitern. Prompt meldeten sich Abtreibungsgegner zu Wort. So sagte ein PAN-Politiker vor Journalisten, dass die Anzahl von zehn Frauen, die in Mexiko laut Statistiken wöchentlich durch illegalisierte und schlecht durchgeführte Abtreibungen stürben, nicht alarmierend sei. Seitens der katholischen Kirche wird den Frauen nahe gelegt, Vergewaltigungen durch dezentere Kleidung vorzubeugen. Für den Fall einer Abtreibung wird ihnen mit Exkommunikation gedroht.
Auch der Fall Paulinas, eines dreizehnjährigen Mädchens, das durch eine Vergewaltigung schwanger geworden war, ist bezeichnend. Hier waren es der PAN-Politiker Carlos Astorga, die Staatsanwaltschaft (PAN) und die Kirche in Baja California, die zusammen mit PROVIDA und den Ärzten des örtlichen Krankenhauses das Mädchen gegen ihren Willen und die geltenden Gesetze zwangen, das Kind auszutragen. Bevor der Fall in die Medien kam, wollte Fox Astorga in die Gesundheitskommision seiner Regierung aufnehmen. Davon musste er zwar abrücken, doch die PAN zeichnete kürzlich die Ärzte aus, die sich weigerten, die Abtreibung vorzunehmen.
Im Bundesstaat Aguascalientes sind es zur Zeit die Homosexuellen, die öffentlich diskriminiert werden. Dort hat ein Mitglied der örtlichen Regierung ein Schild an einem Schwimmbad anbringen lassen, das „Hunden und Homosexuellen“ den Zutritt verbietet.
Die Repression macht auch vor KünstlerInnen nicht Halt. In Guadalajara wurden vor kurzem dreizehn Bilder einer Ausstellung zum Thema Erotik zensiert. Nach landesweiten Protesten mussten die örtlichen Behörden die Bilder zwar wieder in die Ausstellung zurück bringen, eines der Kunstwerke wurde jedoch von zwei Jugendlichen wegen seines „Angriffs auf die Jungfrau von Guadalupe“ zerstört. Das Bußgeld, das ihnen auferlegt wurde, zahlte daraufhin ein Bischof.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als zynisch, wenn Fox zur selben Zeit ankündigt, den verschiedenen Glaubensgemeinschaften offizielle Sendezeit in Radio und Fernsehen gratis zur Verfügung zu stellen, damit sie der Gesellschaft ihre „hoch wertvollen moralischen und ethischen Werte“ näher bringen können. Fox’ Verpflichtungen gegenüber der Kirche scheinen erheblich zu sein, auch wenn er innerhalb der PAN in den wirtschaftsliberalen und nicht in den reaktionär klerikalen Kreisen anzusiedeln ist.
Bestimmten Kreisen der PAN ist Fox aber nicht nur zu liberal, sie ärgern sich auch über seinen Protagonismus. Schon einen Tag nach den Wahlen hatte Fox zu verstehen gegeben, dass nicht die PAN, sondern er regieren würde. Auch im Wahlkampf wurde er weniger von seiner Partei unterstützt als von dem Zusammenschluss „Freunde von Fox“, der heute unter dem Namen „Freunde von Mexiko“ als GmbH weiter existiert. Die Mitglieder sind zum größten Teil anonym geblieben. Es handelt sich wahrscheinlich um Großindustrielle und Unternehmer aus dem Norden Mexikos und dem republikanischen Süden der USA.
Der PAN missfällt es, wie Fox bei der Zusammenstellung der themenbezogenen Arbeitskreise für den politischen Übergang vorgeht. Es handelt sich nicht nur fast ausschließlich um außerparlamentarische Personen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Auch übernehmen diese Funktionen, die der Legislativen vorbehalten ist. So erarbeiten die Übergangskommissionen weit reichende Reformvorschläge, die sich auf Fox’ 150- Punkte-Vorschlag zur Verfassungsreform stützen, bevor dessen Präsidentschaft überhaupt begonnen und das Parlament auch nur eine Debatte geführt hat. Fox und Porfirio Múñoz Ledo, einem Politiker, der in den letzen Jahren dreimal die Partei gewechselt hat und nun die Kommission zur Staatsreform leitet hatte der Kongress jedoch schließlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn die Legislative ernannte parallel eine parlamentarische Kommission und sprach Múñoz Ledo und seinen Kollegen jede Kompetenz ab.
Im Großen und Ganzen haben Fox’ Stellungnahmen zu seinen politischen Plänen seine wahlkampftypische Widersprüchlichkeit noch nicht verloren. Einen regelrechten Skandal auch in den Reihen der eigenen Partei seine Ankündigung ausgelöst, in Zukunft eine Mehrwertsteuer von zehn bis 15 Prozent auf Lebensmittel und Medikamente zu erheben. Und das, obwohl unter dem scheidenden Präsidenten Zedillo die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden MexikanerInnen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum weiter gestiegen ist.
Im Vorschlag zur Bildungsreform ist vor allem davon die Rede, über ein komplexes Stipendienprogramm für zumeist private Bildungseinrichtungen die Bildungschancen anzugleichen.
Chiapas-Konflikt von “lokaler Natur”
Von den Wahlversprechen, den Energiesektor nicht zu privatisieren und den Konflikt in Chiapas zu lösen, ist nicht viel übrig geblieben. Die Öffnung des Energiesektors für private Investoren ist für Fox beschlossene Sache und den Konflikt in Chiapas nannte er vor kurzem „lokaler Natur“. Eine graduelle Entmilitarisierung der Zone soll es zwar geben, Voraussetzung für die Rückkehr zum Dialog mit der EZLN kann sie aber nicht sein. Der Wahlsieg des unabhängigen Oppositionskandidaten und Ex-PRI-Mitgliedes Pablo Salazar Mendiguchía eröffnet zwar neue Hoffnungen für einen Friedensprozess, die Zuständigkeit des Bundes in militärischen Fragen beschränkten die Möglichkeiten des neuen Gouverneurs jedoch erheblich.
Konsens und Kontinuität
In seinen Reden spricht Fox lieber von nationalen als von politischen Interessen, behauptet von sich, gleichzeitig links und rechts zu sein und verbreitet das Credo einer „Politik des Konsenses“. Dahinter verbirgt sich nicht nur die Idee, sich möglichst wenig Feinde zu machen. Vielmehr sind es die realen Machtverhältnisse im Kongress, die ihn zu dieser Politik zwingen, zumal auch die Parteiführung der PAN deutlich gemacht hat, dass ihre und Fox’ Interessen nur bedingt übereinstimmen. Gemäß der endgültigen Sitzverteilung stellt die Partei der Institutionalisierten Revolution PRI im Kongress 211 von 500 Abgeordneten und ist damit die größte Fraktion vor der PAN mit 206, den konservativen Grünen mit 17 und der PRD mit 50 Sitzen. Im Senat schneidet die PRI sogar noch besser ab, auf sie entfallen 60 Sitze, auf die PAN 46, auf die Grünen fünf und auf die PRD 15. Hinzu kommt, dass die PRI in 18 von 32 lokalen Kongressen die Mehrheit hat. Alle Reformvorhaben können von der PRI blockiert werden, da für sie Zweidrittelmehrheiten notwendig sind. Auch im Fall von einfachen Mehrheitsentscheidungen ist Fox auf die Stimmen anderer Parteien angewiesen. Zusätzlich muss er sich mit einer PAN arrangieren, in der die reaktionären und klerikalen Kreise deutlich im Vormarsch sind. An Stelle von Wechsel und Veränderungen ist also vor allem mit einer Kontinuität der Politik zu rechnen.
Alarmierend ist zudem, dass Fox auf Grund seiner demokratischen Legitimation und dem Nimbus des Wechsels und Sieges über 71 Jahre autoritäre und korrupte PRI-Herrschaft leicht das Bild eines demokratischen Mexikos verkaufen kann.
Der Foxbonus
Vertreter der Menschenrechtsorganisation Pro Juárez und der Entwicklungshilfeorganisitaion Servicio, Desarrollo y Paz fürchten, dass für Fox die Organisationen der Zivilgesellschaft lediglich darum wichtig sind, weil sie ihm zum Bild einer pluralen und inklusiven Regierung verhelfen. Fox werde vor allem NGO’s mit unpolitischem Charakter fördern und anhören, glaubt Emma Maza von Pro Juárez. Dadurch entstehe die Gefahr, dass sich die NGO-Landschaft entpolitisiert, wie es zum Beispiel in Chile in den letzten Jahren passiert sei. „Der Wechsel an sich ist wichtig, aber Fox und die PAN machen mir trotzdem Angst”, sagt sie.
Bis Fox sein Kabinett zusammengestellt hat und am 1. Dezember sein Amt antritt, bleibt Mexikos politische Zukunft ungewiss. Eines aber ist sicher: Fox mag Mexiko am liebsten modern. So gibt es neuerdings eine extra Internetseite, die Regierungsvorschläge der Bevölkerung entgegennimmt. Nur schade, dass alle die, die nicht wissen, wie sie zehn bis fünfzehn Prozent mehr für Lebensmittel und Medikamente bezahlen sollen, auch keinen Internetzugang haben.