Nummer 438 - Dezember 2010 | Paraguay

Schwere Zeiten für Lugo

Viele Hoffnungen knüpften sich an den Amtsantritt von Präsident Fernando Lugo – doch er sieht sich einer starken Opposition Gegenüber

Während der paraguayische Präsident mit seiner Krebserkrankung kämpft, versucht die Opposition das Land zu destabilisieren. Sie kann dabei sogar auf die Unterstützung des Vizepräsidenten Franco zählen. Linke Basisbewegungen stehen der Regierung derzeit ambivalent gegenüber. Einerseits begrüßen sie zahlreiche Reformen der Regierung, andererseits sehen sie die Zugeständnisse an die rechte Opposition und die Privatisierungspolitik der Regierung sehr kritisch.

Jorge Zarate, Übersetzung: Johannes Kretschmer

Anfang Oktober 2010 befand sich Präsident Fernando Lugo infolge einer Thrombose in Lebensgefahr. Er wurde zur Behandlung nach Brasilien geflogen, wo er sich aber nach einer Woche wieder erholte. Währenddessen waren wieder Spekulationen über seine Nachfolge in der Bevölkerung laut geworden. Der Hauptverantwortliche für die angeheizte Stimmung war einmal mehr Vizepräsident Luís Federico Franco Gómez, der seine Absicht, das Amt des Präsidenten anzutreten, nicht verhehlen konnte.
Während sich Präsident Lugo im syrisch-libanesichen Krankenhaus in São Paulo erholte, versicherte sein politischer Beraterstab, von ihm persönlich den Befehl erhalten zu haben, vier Ämter im militärischen Bereich neu zu besetzen. Lugos Vize Franco nutzte diesen Zwischenfall, um der Öffentlichkeit kundzutun, dass dieser Befehl eigentlich zu seinem Aufgabenbereich als offizieller Vertreter des Präsidenten gehöre. Daraufhin wurden zwei Wochen lang heftige Diskussionen über dieses Thema geführt, auch im Abgeordnetenhaus, wo eine Rüge des Präsidenten beschlossen wurde.
Diese Begebenheit ist nur eine von vielen, mit der der Vize-Präsident seit der Machtübernahme Lugos 2008 mit tatkräftiger Unterstützung oppositioneller Gruppen versucht, das Land zu destabilisieren. Die oben genannte Sitzung im Parlament wurde dazu genutzt, um wieder einmal das Kräfteverhältnis zu messen, in der Hoffnung, den Präsidenten endlich seines Amtes entheben zu können.
Verteidigungsminister Cecilio Pérez gab zu, dass „es unhöflich vom Präsidenten gewesen ist, den Vize-Präsidenten nicht informiert zu haben”, während er aber gleichzeitig hervorhob, dass sich Lugo gesetzeskonform verhalten habe. Innenminister Rafael Filizzola sagte, dass „die Tatsache, dass diese Situation zu einer politischen Krise auswachsen konnte, uns Ministern völlig übertrieben vorkommt und ungerechtfertigt ist.” Die Episode blieb letztlich ohne Folgen, trotz der gezielten Stimmungsmache von Teilen der Presse für ein Amtsenthebungsverfahren.
Die Wahl Lugos hatte viele Erwartungen unter den WählerInnen ausgelöst, doch seine Amtsführung bleibt wenig überzeugend. Dies hat der Kolumnist Miguel H. López von der Tageszeitung Última Hora sehr gut zusammengefasst: „Wir mögen darin übereinstimmen, dass Lugo kein guter Regierungschef ist, dass er keinerlei staatsmännisches Profil hat und dass er ein Tollpatsch ist (…) und versucht, die Träume und Hoffnungen eines Großteils der Bevölkerung zu kanalisieren, die nach sechs Jahrzehnten nichts mehr hören will von Raub, Korruption und Mord. Von fünf Dingen macht Lugo zwei gut und drei schlecht. (…) Aber er ist der konstitutionell gewählte Präsident und der Zwischenfall mit der Neubesetzung der militärischen Posten hat keine nachhaltigen Folgen gezeigt. Wenn es anders wäre, glauben Sie denn, dass Lugos Opposition, mit dem Vize-Präsidenten an der Spitze, nicht alles unternommen hätte, um die Macht in unserem Land an sich zu reißen?” Die Kommunalwahlen am 7. November wurden als eine Art Referendum über die Amtsführung Lugos eingeschätzt, die nun über zwei Jahre an der Macht ist. Aus diesen Wahlen ging die Oppostionspartei Colorados eindeutig gestärkt heraus. Sie erreichte knapp 46 Prozent der Stimmen.
Die Landlosenbewegung, die Lugo noch bei den Präsidentschaftswahlen unterstützt hatte, hielt sich vor den Kommunalwahlen eher bedeckt. Doch versicherte ein Bauernanführer, der aus Angst vor Repressalien ungenannt bleiben will: „Nach den Wahlen werden wir wieder Land besetzen”. Tatsache ist, dass das Wahlversprechen des Präsidenten, eine Landreform in Angriff zu nehmen, sich in Luft aufgelöst hat. Bis heute konnte das zuständige Institut (INDERT) nur kleine Parzellen erwerben.
Momentan steht dieses Thema, das vor allem die 300.000 landlosen Bauern und Bäuerinnen betrifft, nicht auf der politischen Agenda. Auch wenn dies vor allem der Blockadehaltung der Opposition zugeschrieben werden kann, trägt auch die geringe Effizienz der aktuellen Regierung ihren Teil dazu bei. Die neu gegründete Koordinationsstelle der Exekutive für die Agrarreform CEPRA kann keine größeren Erfolge bei der Unterstützung der Dörfer auf dem Land vorweisen. Ebenso gibt es keine nennenswerten Aktionen, ungenutzte Landstriche fruchtbar zu machen und zu besiedeln – eine der wichtigsten Forderungen der auf dem Land aktiven Bewegungen.
Große Beunruhigung rief auch der vom Präsidenten im Kongress eingereichte Gesetzesvorschlag hervor, die wichtigsten Flughäfen Silvio Pettirossi, im Großraum Asunción, und Guaraní, in Ciudad del Este an der Grenze zu Brasilien, zu privatisieren. Der Vorschlag sieht auch vor, die militärische Anlage in Mariscal Estigarribia, im Herzen des Chaco nahe der Grenzen zu Brasilien und Bolivien gelegen, ausländischen Operationen zu öffnen. Der Vorschlag wurde persönlich von Lugo eingereicht, mit der Begründung, das Land müsse „sich auf das Niveau der anderen Länder der Region begeben.“ Die staatlichen Gewerkschaften protestierten umgehend. Leonardo Beraud, Generalsekretär der Gewerkschaft der FlughafenarbeiterInnen Seodinac, sagte, dass „dieses Projekt wie ein Bonbon angeboten wird, damit das private Kapital in das Straßennetz und die Schifffahrt investieren kann, wo sie sehr viel Geld verdienen werden. Unserer Auffassung nach ist es Unsinn, ein rentables Unternehmen zu opfern, und den multinationalen Unternehmen die Einkünfte der Flughäfen von Pettirossi und Guaraní zu schenken.” Der Gewerkschafter erinnerte daran, dass die 1.380 Angestellten des für die Luftfahrt zuständigen Amtes DINAC nun um ihre Arbeitsplätze fürchten. Die Einnahmen dieses Amtes seien vollkommen ausreichend um die laufenden Kosten der Flughäfen zu decken und neue Investitionen zu tätigen. Jedoch werde das Geld momentan vom Finanzministerium zurückgehalten. Ebenfalls kritisieren die sozialen Bewegungen die neoliberale Ausrichtung der Wirtschaftspolitik von Finanzminister Borda. Er zahlt pünktlich die Auslandsschulden (etwa 400 Millionen US-Dollar pro Jahr) und nimmt gleichzeitig Kürzungen im sozialen Bereich vor.
Besorgniserregend sind auch die Anzeichen für die Anwendung „kolumbianischer“ Methoden bei der Aufstandsbekämpfung. So beschloss die Regierung, die Prämie für weitergehende Informationen über den Aufenthalt von Magna Meza, Manuel Cristaldo Mieres und Osvaldo Villalba aufzustocken. Diese gelten als die Anführer der Guerilla namens Armee des paraguayischen Volkes (EPP). Der Innenminister veranlasste diese Maßnahme drei Tage nachdem eine Spezialeinheit der Polizei Gabriel Zárate Cardozo dank eingegangener Informationen über seinen Aufenthalt eingekreist und niedergeschossen hatte. Zárate galt als drittwichtigster Kopf der EPP. Der Guerillero soll einen als Informanten überführten Lehrer Tage zuvor erschossen haben. Es wurde außerdem bekannt, dass die Regierung 250.000 US-Dollar an sieben Informanten ausgezahlt hat. Die Regierung versucht auf diese Weise, die logistische Unterstützung aufzuweichen, die die Guerilla in ländlichen Gebieten im Norden des Landes erhält. Dort befinden sich Soja-Plantagen, Rinderfarmen, Marihuana-Felder und eine große Zahl von landlosen Bauern und Bäuerinnen. Innenminister Filizola äußerte: „Wir fordern die Guerilleros auf, sich umstandslos der Justiz zu stellen, damit dem paraguayischen Volk nicht noch mehr Schmerz zugefügt wird und damit sie sich selbst retten können.“ Auch informierte er, dass die sieben belohnten Informanten sich „alle in einem guten Zustand befinden, ihre Identität wird niemals preisgegeben werden.“
Bis jetzt hat die Polizei zwei Mitglieder der EPP erschossen und fünf weitere festgenommen. Die Guerilleros wurden mit mehreren Schüssen aus Waffen des Militärs getötet. Ihre Familienangehörigen haben nun eine erneute Autopsie gefordert, denn sie vermuten, dass die beiden lebend gefangen genommen, gefoltert und daraufhin umgebracht wurden, was aber vom Innenminister heftig abgestritten wird. Angesichts der zahlreichen Konfliktherde wird Präsident Lugo jedenfalls kaum auf eine ruhige Genesungsphase hoffen können.

KASTEN:
Schwieriges Gleichgewicht

Die Wahl des ehemaligen Bischofs Fernando Lugo zum Präsidenten im April 2008 war Ausdruck des Wunsches der paraguayischen Bevölkerung, die herkömmliche Form der politischen Gestaltung radikal zu verändern. Angetreten war Lugo als Kandidat einer Parteienallianz namens Patriotische Allianz für den Umschwung (APC). Damit endete die Vorherrschaft der Colorado-Partei nach 61 Jahren.
Lugo ist keiner traditionellen Partei zuzurechnen, an ihn richtete sich die Hoffnung, dass er Programme zur sozialen und wirtschaftlichen Integration der verarmten Bevölkerungsteile einführen würde. Nach zwei Jahren Amtszeit sind viele Menschen enttäuscht, doch muss man berücksichtigen, dass die Opposition gegen die Regierung von der mächtigen Oligarchie und dem rechtsgerichteten Parlament ausgeht. Diesen Kräften ist das Scheitern der derzeitigen Regierung ein Herzenswunsch und sie setzen alles daran, ihre jahrzehntelang genossenen Privilegien nicht zu verlieren. Das Parlament hat beispielsweise die Haushaltsausgaben für alle sozialen Ministerien gekürzt, so dass selbst geringfügige Veränderungen nicht möglich sind. Die Vorgehensweise von Polizei und Justiz zeigt, dass sie von einer mafiösen Oligarchie instrumentalisiert werden mit dem Ziel, das Erstarken der sozialen Bewegungen zu verhindern. Hinzu kommen die andauernden Androhungen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten in die Wege zu leiten und damit den aktuellen Demokratisierungsprozess zu stoppen.
Die letzten zwei Jahre haben die Schwächen der gegenwärtigen Regierung und des wankelmütigen Präsidenten offengelegt, der sehr schnell dem Druck der Rechten nachgibt. Der unmittelbare Beraterkreis um Lugo hat wenig Interesse daran gezeigt, die Forderungen der sozialen Bewegungen aufzunehmen und auf Veränderungen innerhalb des Staatsapparates zu setzen. Zudem hat sich die Kriminalisierung der sozialen Bewegungen zugespitzt. Dies geschieht unter dem Vorwand, dass eine Guerilla die Stabilität und Sicherheit des Landes gefährde – ein idealer Vorwand, um eine Art Plan Colombia für Paraguay einzuführen.
Die Koordination für Menschenrechte CODEHUPY, die sich aus Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften zusammensetzt, hat bei mehreren Gelegenheiten öffentlich die Verletzung der Menschenrechte unter der aktuellen Regierung angeklagt. Vor kurzem zeigte sie bei der Interamerikanischen Kommision für Menschenrechte in Washington unrechtmäßige Verhaftungen und Folterungen an, die im Rahmen der Polizei- und Militäreinsätze gegen die Guerilla Armee des Paraguayischen Volkes (EPP) stattgefunden haben sollen. Ein klares Beispiel für die widerspruchsvolle Haltung der Regierung war die Feier des Wahlsiegs am 20. April. Es versammelte sich eine große Menschenmenge, die Lugo ihre politische Unterstützung zusagte, doch der rief wenige Tage später den Notstand aus und stellte kurz darauf im Parlament ein Antiterror-Gesetz vor, das auch prompt verabschiedet wurde.
Dieses komplizierte Szenario stellt die sozialen Bewegungen und die progressiven Parteien vor vielfältige Herausforderungen: Auf der einen Seite müssen sie ihre Ziele und Grundsatzerklärungen verteidigen (Vertiefung des demokratischen Prozesses, integrale Agrarreform und nationale Souveranität) und ihre Fähigkeit zurückgewinnen, die Menschen zu mobilisieren. Auf der anderen Seite müssen sie ihre kritische Haltung und Autonomie im Hinblick auf die Regierung bewahren, die eine Reihe von unpopulären Maßnahmen durchgesetzt und einen Rechtsruck vollzogen hat. Allerdings sollten sie den Dialog mit dem Präsidenten abbrechen, um die ohnehin schon schwierigen politischen Verhältnisse nicht noch zusätzlich zu verschärfen.
Das Schlimmste scheint derzeit noch abwendbar. Gegen einen Putsch der rechten Opposition stehen die klaren Zeichen der Nachbarländer Brasilien und Argentinien, keinen Bruch des konstitutionellen Systems zu akzeptieren. Zudem macht ein großer Teil der Bevölkerung deutlich, dass er bereit ist, die aktuelle Regierung notfalls auf der Straße zu verteidigen, und nach wie vor Hoffnungen auf den Präsidenten setzt.
// Regine Kretschmer

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren