Sich selbst ausgespielt
Arroganz, schlechtes Training und Schmiergeldaffären im Verband warfen Kolumbien aus der WM-Qualifikation
Da ist noch was zu holen“, sagten sich die Kolumbianer im Juli 2001. Vor ihnen lagen vier Monate weiterer Qualifikationsspiele für die WM in Asien, hinter ihnen ein triumphaler Sieg im Amerika-Cup, den man mit Müh und Not im eigenen Land halten konnte. Zunächst hieß es, Kolumbien als Austragungsort wäre passé. Zu gefährlich wegen der politischen Situation. Kurz vor Anpfiff des ersten Spiels wurde ein hoher kolumbianischer Verbandssekretär von der Guerilla entführt. Als mehrere Länder von einer Teilnahme am Cup absahen und bereits Brasilien als Ausweichort ins Gespräch kam, traten selbst den Rebellen die Schweißperlen auf die Stirn. Sich tausendfach entschuldigend, wurde Hernán Mejía nach wenigen Stunden frei gelassen.
Was folgte, war ein triumphaler Durchmarsch der kolumbianischen Mannschaft bis zum Finale. Ohne Gegentor im ganzen Cup gewannen sie gegen Mexiko den Pokal, nichts schien sie mehr aufhalten zu können. Dass Argentinien nicht an der Meisterschaft teilnahm, ließ den Erfolg in einem gleißenden Licht erscheinen, hätte man gegen die wohl derzeit beste Mannschaft des Kontinents gnadenlos verloren. Schmähungen gegen die arroganten „Gauchos” konnte man sich mit dem Pokal im Rücken leisten, war man doch nun auf der Siegerstraße.
Vom Erfolg geblendet
Doch schon wenige Tage später wurden die Kolumbianer in die Realität zurück geholt. Im heimischen Stadion in Bogotá versetzte die Kellermannschaft Peru ihnen ein 0:1, plötzlich war man nur noch Fünfter in der WM-Qualifikationstabelle.
Die Ursachen lagen auf der Hand. Innerhalb von vier Jahren wurde drei mal der Trainer gewechselt. Francisco Maturana, der das vielleicht beste kolumbianische Team aller Zeiten 1994 in die WM führte, sollte noch eine Kehrtwende in der drohenden Ausscheidung bringen. Nie sollte es jedoch zu einer festen Aufstellung kommen, in der sich die Spieler aufeinander abstimmen konnten. Selbst Stars wie Torjäger Juan Pablo Ángel, der derzeit beim englischen Verein Aston Villa unter Vertrag steht, blieb genauso glanzlos wie die Boca Junior-Stars Mauricio Serna und Jorge Bermúdez. Einzelaktionen und fehlender Teamgeist bestimmten die Spiele.
Dass die meisten Heimspiele in Bogotá auf einer Höhe von 2.600 Meter ausgetragen wurden, brach den Kolumbianern das Genick. Das Training der Mannschaft wurde im tiefländischen Cali oder Medellín geführt, auf dem Hochplateau ging den Spielern die Puste aus.
Dazu kamen undurchsichtige Geschäfte innerhalb des kolumbianischen Fußballverbands Fedefútbol. Alvaro Fina, bis dato Präsident des Verbandes, wurden nach dem Amerika-Cup Schmiergeldaffären angehangen. Er soll 20 Millionen US-Dollar durch undurchsichtige Sponsorenverträge veruntreut haben. Der Verband war während der letzten Qualifikationsspiele damit beschäftigt, sich selbst zu retten, statt die Mannschaft auf dem Spielfeld.
Stinkefinger aus Argentinien
Nachdem man vor dem letzten Qualifikationsspiel am 14. November 2001 auf dem sechsten Platz stand und somit das endgültige Aus drohte, konnte nur noch ein Torregen in Paraguay und die Hoffnung auf einen argentinischen Sieg gegen Uruguay die letzte Chance erhalten. Wie entfesselt spielten die Kolumbianer die Manschaft Paraguays in den Boden, in der 80. Minute stand es 4:0, während es in Montevideo zur gleichen Zeit 1:1 stand. Fehlte nur noch ein Tor, um sich gegen Uruguay dank eines besseren Torverhältnisses auf den rettenden Platz Fünf vorzuschieben, der einen leichten Gegner Australien für die indirekte Qualifizierung versprach.
Was dann folgte, war pure Unfähigkeit im Kopf-Rechnen. Während der entscheidenden zehn Minuten gaben die kolumbianischen Kommentatoren aus, die Mannschaft benötige ein 6:0, um weiter zu kommen. Offenbar gingen ihre Rechenkünste auf dem Spielrasen nieder. Die kolumbianische Mannschaft spielte plötzlich in aller Ruhe defensiv, von der Suche eines entscheidenden Treffer war nichts zu spüren. Als dann endlich auch die Kommentatoren merkten, dass sie falsch lagen, ertönte der Schlusspfiff. Der gekrönte Abschluss einer vermasselten WM-Qualifikation, den die Spieler erst unter der kalten Dusche verstanden.
Die folgenden sieben Minuten sollten die Quittung für die kolumbianische Mannschaft werden. Argentinien und Uruguay schoben sich wie im Training den Ball gegenseitig zu oder übten Doppelpässe mit ihrem Torwart. Ein unsichtbarer, argentinischer Stinkefinger flimmerte den Kolumbianern auf dem Bildschirm entgegen.
Übersetzung: Tommy Ramm