Späte Gerechtigkeit
Polizisten als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung verurteilt!
Die Urteile riefen Genugtuung in der Öffentlichkeit hervor: Sollte in Chile Gerechtigkeit doch möglich sein? Auch die politische Rechte beeilte sich zu versichern, daß das richterliche Urteil selbstverständlich zu respektieren sei und die Verurteilung der Ex-Polizisten das Ansehen der chilenischen Polizei absolut nicht beeinträchtige. Aus zwei Gründen hat der Fall der degollados die chilenische Öffentlichkeit fast ein Jahrzehnt beschäftigt: Zum einen wegen der demonstrativen Brutalität des Verbrechens (den Opfern wurden die Kehlen durchschnitten) und zum anderen, weil das polizeiliche Terrorkommando trotz erdrückender Indizien und engagierter richterlicher Wahrheitssuche nicht rechtskräftig verurteilt werden konnte.
Die Ermordung der drei Männer, Mitglieder der Kommunistischen Partei, am 30. März 1985 war die “Antwort” des polizeieigenen Geheimdienstes an die KP, deren bewaffneter Arm, die Frente Patriótico Manuel Rodríguez (FPMR) unter anderem Anschläge gegen Polizisten verübt hatte. Keines der drei Opfer gehörte jedoch der FPMR an. Außerdem sollte davor gewarnt werden, weiterhin die Verbrechen eines staatlichen Terrorkommandos aus den siebziger Jahren zu untersuchen, wie dies José Parada, einer der drei Ermordeten, getan hatte.
Die drei Opfer wurden in zwei Aktionen jeweils am hellichten Tag und auf offener Straße von Polizisten in Zivil entführt, gefoltert und verhört. Zwei, beziehungsweise einen Tag danach wurden die drei Leichen mit durchschnittenen Kehlen neben dem Weg zum Flughafen gefunden. Die Botschaft sollte nicht nur KP und FPMR, sondern auch weitere Oppositionskreise erschrecken. Im März 1985 befand sich Chile im Ausnahmezustand, den Pinochet im November angesichts der aufkommenden nationalen Protestbewegung verhängt hatte. Daß der staatliche Terrorapparat zugeschlagen hatte, war trotz aller Dementis offensichtlich: Die Verkehrspolizei hatte einen Tatort abgesichert, ein Hubschrauber überflog einen Einsatzort, und angesichts des seit Monaten herrschenden Ausnahmezustands konnte kein Fahrzeug nachts ohne Sondererlaubnis zum Ort der Ermordung fahren. Die kurze Zeitspanne zwischen Entführung und Ermordung machte außerdem klar, daß es den Entführern allenfalls in zweiter Linie darum ging, von den Opfern Informationen zu bekommen.
Dieser demonstrative Terror erschien selbst dem Pinochet-Regime zu jenem Zeitpunkt politisch nicht opportun, das durch Verhandlungen mit der Christdemokratischen Partei versuchte, das Oppositionsbündnis zu spalten. Es waren konkrete Hinweise des militärischen Geheimdienstes CNI an den untersuchenden Richter Cánovas, die zur Anklageerhebung gegen Polizeioffiziere führten. Polizeichef Mendoza, Mitglied der damaligen Militärjunta, mußte auf Druck Pinochets zurücktreten, Nachfolger wurde sein früherer Stellvertreter Stange.
Bereits unter Mendoza, aber weiter unter Stanges Amtsführung, hat die Polizei zwar ihre Zusammenarbeit mit der Justiz öffentlich beteuert, die Aufklärung aber in Wirklichkeit nicht nur behindert, sondern mit der Einrichtung eines “Kreativen Komitees” zur Gestaltung der Aussagen vor dem Richter dessen Arbeit gezielt sabotiert. In kluger Voraussicht, daß sie eines Tages als Sündenböcke doch der Justiz preisgegeben werden könnten, ließ einer der beschuldigten Offiziere bei einer “Lagebesprechung” mit Stange heimlich ein Tonband mitlaufen, das er schließlich dem Richter als Beleg “tätiger Reue” – erfolglos – übergab. Dieses kompromittierende Beweisstück brachte Richter Juica dazu, Stange Vernachlässigung seiner Pflichten und Behinderung der Justiz vorzuwerfen, wofür allerdings, so Juica, die Militärjustiz zuständig sei.
Zwei Richter – zunächst, bis zu seiner Pensionierung, Cánovas, danach Juica – haben in neun(!) Jahren penibler Ermittlungen das Verbrechen trotz aller Behinderungen zu klären versucht. Was schließlich zur Identifizierung und Verurteilung der einzelnen Tatbeteiligten führte, war die “Kronzeugenregelung”, die eigentlich zum “Kampf gegen linken Terrorismus” erlassen worden war. In drei Fällen hat der Richter deshalb die Strafen von “lebenslänglich” auf 15 beziehungsweise 18 Jahre reduziert.
Nach Ostern demonstrierten kleine StudentInnengruppen vor dem Hauptquartier der Polizei. Wie üblich löste die Polizei die Demonstration auf, allerdings ohne die gewohnte Brutalität. SympathisantInnen der Polizei durften natürlich unbehelligt ihre Solidarität bekunden. Massendemonstrationen von linken Gruppen gab es jedoch nicht. Zu den Märschen der Angehörigen der degollados während der Ostertage kamen kaum mehr als 2000 Personen, die den Rücktritt Stanges forderten. Die Gruppe erreicht mit ihren Aufrufen weiterhin nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Massenmobilisierung, erklärte inzwischen der sozialistische Innenminister Correa, sei von der Regierung auch nicht erwünscht gewesen. Sie habe zuvor entsprechende Signale an die sozialen Bewegungen gegeben.