Mexiko | Nummer 491 - Mai 2015

Sprudelnde Geschäfte

Gesetzesinitiative der Regierung ermöglicht Wasserprivatisierung und schützt industrielle Interessen

In Mexiko steht ein neues Wassergesetz zur Debatte. Laut Regierung soll es das Menschenrecht auf Wasser garantieren. Expert*innen und die Zivilgesellschaft befürchten dagegen, dass es nach der umstrittenen Energiereform zur Privatisierung einer weiteren natürlichen Ressource kommt.

Caroline Schroeder

Erst das Öl, jetzt auch das Wasser? Nachdem Mexikos Regierung unter Peña Nieto das 76 Jahre währende staatliche Öl- und Gasmonopol des staatlichen Konzerns Pemex aufgehoben hat, geht der Privatisierungskurs weiter: Aktuell steht ein neues Wassergesetz zur Debatte. Vor drei Jahren wurde das Menschenrecht auf Wasser per Dekret in der Verfassung verankert, jedoch noch nicht gesetzlich reglementiert. Die nationale Wasserkommission CONAGUA stellte Anfang März in verschiedenen Kommissionen des Abgeordnetenhauses eine entsprechende Gesetzesinitiative vor. Unter Ausschluss der Zivilgesellschaft und einiger Mitglieder der sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und der Bewegung der Nationalen Erneuerung (Morena) wurde sie noch am gleichen Tag verabschiedet. Diese hatten eine Vertagung der Abstimmung gefordert, um die Initiative unter die Lupe zu nehmen. Die Kommissionsmitglieder aus den anderen Parteien – insbesondere der regierenden Revolutionären Institutionellen Partei (PRI), der rechtskonservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und der Grün-Ökologischen Partei PVEM – lehnten dies ab. Eine Abstimmung im Plenum sollte am 10. März erfolgen.
Doch dann machte sich unter zivilgesellschaftlichen Organisationen Kritik breit. Die Koalition Mexikanischer Organisationen für das Recht auf Wasser (Comda) und der Zusammenschluss von politisch engagierten Wissenschaftler*innen UCCS forderten, die Initiative fallen zu lassen, von Grund auf neu zu formulieren und das Menschenrecht auf Wasser klar miteinzubeziehen, anstatt es zu verletzen. Durch den starken Druck erreichten sie eine Vertagung der Abstimmung im Plenum. Dazu trug auch der taktisch unkluge Zug des Präsidenten von CONAGUA, David Korenfeld, bei. Er hatte sich bei der privaten Nutzung eines Hubschraubers der Kommission erwischen lassen. Sein Rücktritt verlieh dem Prozess der Gesetzesverabschiedung einen zusätzlichen Dämpfer. Indem die Entscheidung auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen am 7. Juni vertagt wurde, könnte nun allerdings eine Verabschiedung der jetzigen Form des Wassergesetzes gesichert sein. Denn Meinungsumfragen zufolge scheint die PRI in vielen Bundesstaaten zu gewinnen.
Die Zivilgesellschaft diskutiert indes weiter. Insbesondere in den sozialen Netzwerken werden Analysen zu dem Gesetz verbreitet. Laut Kritiker*innen handelt es sich um eine Privatisierung der Wasservorkommen im Land. Rodrigo Gutiérrez, Rechtswissenschaftler an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, führt bei einem öffentlichen Forum über die Gesetzesinitiative aus: „Obwohl nicht explizit der Begriff der Privatisierung verwendet wird, so ist in dem Gesetzesentwurf jedoch von einem wirtschaftlichen Gut die Rede. Zudem wird die Teilhabe privater Akteure in der Verwaltung der Süßwasservorkommen des Landes erwähnt.“ Weiterhin merkt er an, dass sich die Garantie des Zugangs zu Wasser lediglich auf legale Wohnsiedlungen beschränke (Art. 49). Marginale Bevölkerungsgruppen, die keinen legalen Wohnsitz haben oder nicht registriert sind, werden dementsprechend von der Gesetzgebung ausgeschlossen. Und das betrifft viele: Immerhin fast ein Viertel aller urbanen Haushalte Mexikos befinden sich in informellen Siedlungen, wie eine Studie von UN-Habitat zeigte. Auch das nationale Statistikamt INEGI erhob, dass im Jahr 2010 zehn Prozent der mexikanischen Bevölkerung keinen Zugang zu Wasser und Abwassersystemen auf ihrem Grundstück hatten.

Umkämpftes Gut. Bevorzugung von Großprojekten und Wirtschaftsinteressen bei der Wasserversorgung. Foto: Alejandro Castro (CC BY-NC-SA 2.0)
Umkämpftes Gut. Bevorzugung von Großprojekten und Wirtschaftsinteressen bei der Wasserversorgung. Foto: Alejandro Castro (CC BY-NC-SA 2.0)

Auch Claudia Campero von der Organisation Blue Water Project kritisiert das Gesetz. Sie weist auf den Artikel 116 hin, der einen Wassertransport von einer Wasserquelle in Gebiete mit geringen Wasservorkommen vorsieht, was einen enormen infrastrukturellen Aufwand bedeuten und die Versorgung der Gemeinden einschränken würde, denen das Wasser abgezapft oder „deren“ Flüsse umgeleitet werden. Laut Campero komme diese Regelung besonders Großprojekten zugute, die in trockenen Regionen geplant sind und große Mengen an Wasser erfordern – wie die Extraktion von Gas oder Öl anhand der Methode des Fracking (hydraulisches Aufbrechen von Gesteinsschichten mittels Chemikalien, Anm. d. Red.). Pro Bohrung werden dabei circa 29 Millionen Liter Wasser verbraucht (LN 486). „Die Energiereform aus dem Jahr 2014 bildet die Grundlage dafür, dass Fracking bald landesweit durchgeführt werden kann“, so Campero.
Projekte dieser Art sind vor allem in den nördlichen Bundesstaaten vorgesehen, die ohnehin unter hohem Wassermangel leiden. Im Fall von Wasserverschmutzungen müssen die Konzessionär*innen lediglich eine Strafe von 3,5 Millionen Pesos zahlen (circa 21.500 Euro). Eine recht harmlose Sanktion: Die ökonomischen Schäden, die im Sommer 2014 durch den Unfall eines Bergwerks in Sonora entstanden sind, belaufen sich auf circa 20 Milliarden Pesos (circa 1,2 Millionen Euro). Damals waren 40.000 Kubikmeter Kupfersulfate und andere toxische Substanzen in den Rio Sonora und umliegende Wasserquellen gelangt. 22.000 Personen verschiedener Gemeinden konnten in der Folge kein Wasser konsumieren und mussten ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten einstellen. Chemikalien, die durch das Fracking oder Bergbauaktivitäten in die Flüsse und das Grundwasser gelangen, dürfen lediglich einen definierten Grad an Verschmutzung nicht überschreiten (Art. 142). Die lokalen Autoritäten sind verpflichtet, die Bevölkerung über mögliche Verschmutzungen der Wassersysteme zu informieren, nicht aber, sie zu verbieten (Art. 78). Besonders kritisch sei, so Campero, dass Studien von externen Wissenschaftler*innen nur mit Einverständnis der Wasserkommission durchgeführt werden können.
Die Umleitung von Flüssen soll auch dem geplanten Bau von Wasserkraftwerken dienen. Ein Beispiel dafür ist das Aquädukt in Monterrey. Dabei soll eine 386 km lange Leitung von San Luis Potosí, Veracruz und Tamaulipas bis zu dem Wasserkraftwerk Presa Cerro Prieto in Monterrey gebaut werden. Der infrastrukturelle Aufwand sowie das Investitionsvolumen für das Projekt sind enorm. Die nationale Wasserkommission gibt immer mehr Rechte an private Akteur*innen ab. Nach dem Gesetz sollen die Lizenzinhaber*innen die Planung, Durchführung, Evaluierung sowie die Aufsicht der Wasserpolitik innehaben (Art. 54). Dies wird durch ihre 60-prozentige Mehrheit in den Consejos de Cuenca deutlich – einem Gremium, das zwischen der Wasserkommission, den Institutionen auf den drei Regierungsebenen, den Konzessionär*innen und den Bewohner*innen der betroffenen Regionen vermittelt und beratend tätig ist.
Da Großprojekte als Gegenstand des öffentlichen Interesses definiert werden (Art. 8-IV), genießen sie Priorität und rechtlich grünes Licht. Sollte sich eine Gemeinde gegen Eingriffe dieser Art in ihrem Territorium wenden, hat sie kaum rechtlichen Rückhalt. Insbesondere in der Sierra Norte von Puebla hat der Bau von Wasserkraftwerken zu Konflikten geführt. „Zahlreiche Gemeinden greifen in ihrer Verteidigung auf die Methode der einstweiligen Verfügungen (amparos) zurück, doch ist es schwer, gegen Projekte, die als Gegenstand öffentlichen Interesses gelten, vorzugehen“, so Campero. Sie und Gutiérrez kritisieren weiterhin, dass in dem Gesetz die Rechte der indigenen Völker auf ihr Territorium und eine Konsultation keine Erwähnung finden. Wie auch in der Energiereform festgelegt, kann die Regierung im Fall von Protest Sicherheitskräfte einsetzen, um die Entscheidung der Wasserkommission mit Gewalt durchzusetzen.
Das Menschenrecht auf Wasser wird nicht zuletzt auch durch eine Neuregelung über den Wasserverbrauch verletzt. Der Zugang zu 50 bis 100 Litern Wasser pro Person täglich soll ausreichend sein, um das Menschenrecht zu garantieren. Die internationale Gesundheitsorganisation definiert dies als mittelmäßigen Richtwert, der jedoch nicht ausreicht, um alle Bedürfnisse zu decken. Diese sind je nach klimatischen, geografischen und gesundheitlichen Umständen unterschiedlich. Durch die starke Bevölkerungskonzentration in den urbanen Zentren, intensive Ressourcenextraktion und wachsende industrielle Landwirtschaft sind Regionen mit einer starken Wasserknappheit entstanden. Die intensive Wassergewinnung aus zunehmender Tiefe und die Energiegewinnung durch Wasserkraftwerke verursachen zunehmend Dürren und Überschwemmungen. Die Verfügbarkeit der Wassermenge pro Kopf ist in den letzten 56 Jahren landesweit um 75 Prozent zurückgegangen, teilt das Studienzentrum für nachhaltige ländliche Entwicklung und Ernährungssouveränität CEDRSSA mit.
Wenig hilfreich ist, dass die Regierung Entwicklung mit wirtschaftlichem Wachstum gleichsetzt. Ökologische und soziale Vulnerabiliät beachtet sie aus dieser Logik heraus nicht. Letztere Risiken führte das Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen bereits 2012 in einem Vorschlag zu einer Gesetzesinitiative an. Ihrer Meinung nach gehe die nationale Wasserkommission den Interessen großer Industrien nach, ohne an die ökologischen und sozialen Folgen zu denken. Der Vorschlag enthält über 175 Artikel, wurde von der Regierung jedoch nicht berücksichtigt. Der Gegenentwurf des Bündnisses basiert auf den Prinzipien der Menschenrechte, einer nachhaltigen Umweltplanung und Transparenz. Er gibt Vorschläge, wie die Verwaltung der Wassernutzung mit demokratischen und partizipativen Mechanismen funktionieren kann. Die Betroffenen beziehungsweise Nutzer*innen sollen demnach über die Wasserquellen in ihrer Umgebung entscheiden können, nicht die Konzessionär*innen. Indigenen Gemeinden wird das Recht eingeräumt, ihre eigenen Formen der Wassernutzung anzuwenden. Durch eine ständige Evaluierung der Wasservorkommen durch Expert*innen soll den Bürger*innen stets Information über die Qualität des Wassers bereitgestellt werden.
„Anstatt über effektivere Systeme zur Wasserverarbeitung und Recycling sowie über eine strengere Regelung der Wassernutzung durch die Industrie nachzudenken, werden kilometerlange Leitungen gebaut, Flüsse umgeleitet und Verträge weiterhin flexibilisiert“, kritisiert Comda. „Mexiko steht vor einer komplexen und kritischen Wassersituation, die eine sachgerechte Koordinierung der drei Regierungsebenen und eine Beteiligung der Bürger*innen erfordert, um das Menschenrecht auf Wasser für die heutigen und zukünftigen Generationen zu gewährleisten“. Doch die Skepsis bleibt. Schließlich hat Peña Nieto Verfassungsänderungen durchgesetzt und damit sogar den Heiligen Gral nationaler Unabhängigkeit, das Öl, angetastet, was viele nicht für möglich gehalten hätten. Warum sollte es mit dem Wasser anders sein?

NACHTRAG:
Leider haben sich in den Artikel „Sprudelnde Geschäfte” einige falsche Zahlen eingeschlichen. Richtig sind folgende:
Nach dem neuen Gesetz müssen Unternehmen im Fall von Wasserverschmutzungen eine Strafe von 3,5 Millionen Pesos (ca. 200.000 Euro) zahlen.
Die Umweltschäden durch einen Unfall in einem Bergwerk im Bundesstaat Sonora belaufen sich auf 2 Milliarden Pesos (ca. 114 Millionen Euro). Die Summe, zu der das verantwortliche Unternehmen verurteilt wurde, beläuft sich auf 23 Millionen Pesos (ca. 1,32 Millionen Euros). Die Redaktion entschuldigt sich für diese Fehler!

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