,,Städtische Hygiene”
Buenos Aires‘ neuer Bürgermeister stört sich an den Armen in den Straßen
Um sieben Uhr morgens schlugen die Beamten der Bundespolizei zu: Unter Stockschlägen räumten sie Ende Februar in Buenos Aires ein schmales Grundstück, unweit des Bahnhofs Barrancas de Belgrano. Dort hatten sich seit ein paar Wochen etwa 50 Familien in notdürftigen Hütten eingerichtet. Einige der BewohnerInnen wehrten sich gegen die Beamten, neun von ihnen wurden verhaftet, mehrere verletzt. Die Menschen, die seit ein paar Wochen neben den Bahngleisen campiert hatten, sind cartoneros. Abends lesen sie in den Straßen von Buenos Aires Karton, Flaschen und Metall aus dem Hausmüll auf und führen dem Rohstoffkreislauf Wiederverwertbares zu.
Kein Richter hatte den Polizeieinsatz auf dem Gelände in Belgrano, einem gutbürgerlichen Viertel von Buenos Aires, angeordnet. Der Räumungsbefehl war von einem Beamten aus dem Umweltamt unterzeichnet. Ein Vorgehen, das KritikerInnen als „illegal“ bezeichneten – und das nicht ohne Rückendeckung des seit 10. Dezember 2007 amtierenden Bürgermeisters von Buenos Aires, Maurico Macri, vorstellbar ist. Was der Unternehmer und Präsident des Fußballclubs Boca Juniors über die cartoneros denkt, ist seit langem bekannt. Schon 2002 polterte der er im Wahlkampf: „Die Stadt Buenos Aires wird jeden Tag von Tausenden von Delinquenten überschwemmt, die den Müll stehlen”. Seinen WählerInnen versprach er, die cartoneros von der Straße zu holen: Wer nicht seinen Vorstellungen von „städtischer Hygiene” nachkäme, würde ins Gefängnis gesteckt. Damals verdiente Macri noch an dem Geschäft mit dem Müll: Ihm gehörte das Entsorgungsunternehmen Manlib, welches das Monopol für die Abfallbeseitigung in Buenos Aires innehatte.
Tausende von Familien, die ihren Lebensunterhalt mit dem Recyceln von Müll sichern, pendeln jeden Tag von ihren Wohnorten in der Provinz Buenos Aires in die argentinische Hauptstadt. Bis vor kurzem noch in einem speziell für sie eingerichteten Zug, dem so genannten Weißen Zug. Doch das private Eisenbahnunternehmen TBA stellte Ende 2007 den Fahrbetrieb trotz heftiger Proteste ein: Unzählige PassagierInnen, so ein Unternehmenssprecher, hätten sich über die KartonsammlerInnen beschwert, die mit ihren Karren in den Zügen die Türen blockiert hatten. Außerdem hätten sie den cartoneros angeboten, sie umsonst auf Lastwagen zu transportieren. Die cartoneros sehen das anders: Seit der Zug nicht mehr fährt, müssen sie an verschiedenen Punkten der Stadt provisorische Lager errichten, um dort das Recyclingmaterial bis zum Abtransport zu sammeln. Eine weitere Schwierigkeit ist es, die bis zu 200 Kilogramm schweren Karren mit Pappe und Blechen auf die Ladeflächen der LKW zu hieven.
Der Stadtregierung wäre es am liebsten, wenn die cartoneros überhaupt nicht mehr nach Buenos Aires kommen würden. Der Feldzug Macris gegen die „städtischen RecyclerInnen” ist Teil einer auf Ausgrenzung gerichteten Politik. Die Hafenstadt Buenos Aires, Argentiniens Fenster zur Welt, putzt sich derzeit heraus. Nach der Sanierung der Altstadt in den vergangenen Jahren – die einher ging mit der Vertreibung einkommensschwacher BewohnerInnen und der Räumung besetzter Häuser – folgt nun die „Säuberung des Stadtbilds”. Die zahlreichen cartoneros, die es immer noch gibt, erinnern mit ihren Eselskarren an die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise 2001 und 2002. Damals verloren weite Teile der Bevölkerung ihre regulären Einkommen und konnten ihr Überleben nur durch die Teilnahme an Tauschringen und Arbeiten im informellen Sektor sichern. Seit Argentiniens Wirtschaft wieder boomt, wirken MüllsammlerInnen auf den Straßen der Hauptstadt anachronistisch. Doch kein cartonero hat sich seine Arbeit ausgewählt – vor der Krise waren viele im Bau- und Textilgewerbe sowie in der Gastronomie beschäftigt.