Nummer 356 - Februar 2004 | Peru

Telenovela mit Kardinal

Halbzeit für Alejandro Toledo: Intrigen und Skandale statt Reform und Aufbruch

Er trat einst an, um das Land zu demokratisieren, die Korruption auszumerzen und den sozial Schwachen zu helfen. Doch nach Ablauf der Hälfte seiner Amtszeit schwächelt Präsident Toledo selbst. Die Korruption droht ihn zu ersticken, seine Reformen stocken. Dafür sind die Skandale seiner ständig wechselnden Regierungen unterhaltsam.

Rolf Schröder

Am Silvestertag sollen traditionell die bösen Geister des alten Jahres vertrieben werden. Deshalb verbrennen die Menschen in vielen lateinamerikanischen Ländern Stoff- oder Papppuppen mit den Gesichtszügen einer besonders unbeliebten Person. So können die Puppenhersteller an ihren Verkaufsquoten ablesen, wer in ihrem Land am meisten gehasst wird. In Peru waren das Ende 2001 Osama Bin Laden und ein Jahr später Vladimiro Montesinos, der frühere Geheimdienstchef. Zur Begrüßung des Jahres 2004 jedoch wollten die meisten Peruaner eine Pappausgabe ihres Präsidenten brennen sehen. Eine richtige Überraschung war das nicht: Über 85 Prozent der Bevölkerung sind Umfragen zufolge nicht mit seiner Amtsführung einverstanden. Alejandro Toledo steht im Ruf, viel zu versprechen, aber wenig zu tun. KarikaturistInnen zeichnen ihn gern, wie er sich am Meer in einer Hängematte räkelt und genüsslich an einem Cocktailgetränk schlürft – eine Anspielung auf seine zahlreichen Aufenthalte in einem Luxushotel an Perus Traumstrand Punta Sal.

Der liebeskranke Vizepräsident
Dort erholte sich der Präsident auch, als im ganzen Land Puppen mit seinen Zügen in Flammen aufgingen. Kurz zuvor hatte er zahlreiche Korruptionsfälle in seiner unmittelbaren Umgebung zum Anlass genommen, das halbe Kabinett auszuwechseln. Vizepräsident Raúl Diez Canseco, von der Presse als liebeskrank verspottet, musste seinen Posten als Tourismusminister räumen, weil er dem Vater seiner 26-jährigen Freundin Steuervergünstigungen gewährte. Seiner Ministerpräsidentin Beatríz Merino gab Toledo Mitte Dezember den Laufpass. Sie wurde beschuldigt, ihrer Freundin Irma Chonati eine leitende Stelle in der peruanischen Steuerbehörde verschafft zu haben. Doch selbst der Kabinettswechsel brachte Toledo keinen Erfolg: Die frisch gekürte Frauenministerin hielt sich ganze vier Tage im Amt: Unmittelbar nach ihrer Vereidigung flogen Korruptionsdelikte aus ihrer Vergangenheit auf. Und gleich nach Toledos Rückkehr aus Punta Sal erwischte es den neuen Transportminister, der seine ganze Verwandtschaft mit gut dotierten Posten versorgt hatte.
Diese Fälle sind Bagatelldelikte, wenn man sie daran misst, wie Toledos Vorgänger sich die Taschen füllten. Gegen Ex- Präsident Alan García, dem zahlreiche Betrugs- und Korruptionsdelikte vorgeworfen werden, hatte die Staatsanwaltschaft sogar schon eine Anklageschrift mit erdrückenden Beweisen zusammengestellt. Doch die Karriere des aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge Toledos wurde Kraft eines Gesetzes aus der Zeit des Fujimori-Regimes gerettet. Danach dürfen Korruptionsdelikte nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Fujimori wusste, warum er dieses Gesetz verabschieden ließ. Sein Partner und Berater Vladimiro Montesinos bestach während seiner Präsidentschaft systematisch die Justiz, wichtige Medien und das Parlament. Milliarden von Dollar aus der Privatisierung der Staatsbetriebe verschwanden in dunklen Kanälen. Seitdem gilt in der Bevölkerung das ganze politische System als korrupt. Und Toledos Problem ist: Die Wählerinnen und Wähler unterscheiden nicht nach der Schwere eines Delikts.

Lügen und Bettgeschichten
Geschichten aus der Amtszeit Garcías oder Fujimoris hätten reichlich Stoff für spannende Telenovelas geliefert. Toledos Regierungen stehen da nicht zurück. Zu Filz und Korruption kommen Bettgeschichten, Intrigen und Verleumdung. Da ist der Vizepräsident, der von einer 25 Jahre jüngeren Frau um den Verstand gebracht wird. Und die ehemalige Kabinettschefin Beatríz Merino wird verdächtigt, mit ihrer Freundin Irma Chonati nicht nur ein Haus, sondern auch das Bett zu teilen. Das zumindest verriet ein hochrangiger Funktionär der Regierungspartei Perú Posible (Mögliches Peru) keinem geringerem als dem Kardinal und Opus-Dei-Mann Juan Luís Cipriani während einer Audienz. Cipriani, nicht gerade als Schwulenfreund bekannt, plauderte anschließend seine Informationen aus, weigerte sich aber, den Namen seines Gesprächspartners zu nennen. Merino selbst hielt – wie auch die Presse – ihren Vorgänger, den Ex-Ministerpräsidenten Luís Solari, für den Denunzianten. Der wiederum wies alle Anschuldigungen zurück und reichte eine Verleumdungsklage ein. Dabei stört Merino sich nicht etwa an der Einmischung in ihr Privatleben. Sie bestreitet, überhaupt homosexuelle Beziehungen zu haben, und fühlt sich ebenfalls verleumdet. Im heutigen Peru ist die Homosexualität offenbar ein größeres Delikt als die Korruption.
Tratsch und Klatsch, Skandale und Intrigen verdecken einen Machtkampf hinter den Kulissen. In Toledos Regierungspartei Perú Posible rumort es gewaltig. Schon als Toledo im Juli letzten Jahres die unabhängige Politikerin Merino an Stelle des Parteisoldaten Solari zur Regierungschefin berief, konnte der Präsident Proteste aus dem eigenen Lager nur mühsam unterdrücken. Die Parteimitglieder fühlen sich im Kabinett unterrepräsentiert. Dabei ist Perú Posible eher ein Wahlverein, als eine Partei mit einer gewachsenen Struktur oder gar einem Programm. Toledo wurde zum Präsidenten gewählt, weil er der Sprecher einer breiten Oppositionsbewegung zum Fujimori-Regime war. Seine Partei wird vermutlich nach Ablauf seiner Amtszeit wieder in der Versenkung verschwinden. Genau deswegen wollen sich die Parteispitzen noch rechtzeitig profilieren. Ende Januar sollen 32 aufsässige Mitglieder Perú Posibles ausgeschlossen werden. Andererseits muss Toledo seiner Partei auch Zugeständnisse machen. Mit Carlos Ferrero berief er einen seiner Parteiarchitekten zum Nachfolger Merinos.

Die Furcht vor dem Herbst
Ferreros Nachteil: Er ist bei weitem nicht so beliebt wie seine Vorgängerin. Beatríz Merino konnte sich laut Umfragen auf eine 60-prozentige Zustimmung in der Bevölkerung stützen. Ihrer Berufung hatte es der Präsident zu verdanken, dass er die sozialen Unruhen des letzten Jahres politisch überlebte. Nach ihrem Rückzug aus der Regierung haben die Umfragewerte für Toledo entsprechend einen absoluten Tiefpunkt erreicht: Nur noch zehn Prozent der Wähler unterstützen seine Politik. Merino, die bislang als integer galt, versäumte es allerdings, ein überzeugendes Konzept zur Lösung der sozialen Probleme zu entwickeln. Sie setzte zwar eine Steuer auf Finanztransaktionen durch, doch die rund
300 .000 Dollar, die dadurch 2004 zusätzlich in die Staatskassen gespült werden, reichen kaum, um sozialen Forderungen entgegenzukommen. Nicht einmal ein Bruchteil von Toledos Versprechen, auf die sich die protestierende Bevölkerung zu Recht beruft, kann damit eingelöst werden. Der Präsident hatte den Lehrern bis zum Ende seiner Amtsperiode eine Verdoppelung ihres Gehalts zugesagt und anderen Staatsangestellten zumindest eine Einkommensverbesserung. In etlichen Provinzen sicherte der Präsident die Finanzierung von Infrastrukturprojekten zu, den Opfern des Bürgerkriegs versprach er Reparationen. Dazu verlangen die Landwirte eine Herabsetzung der Mehrwertsteuer für Agrarprodukte und die Kokabauern Geld für den Anbau von Alternativprodukten.
Immerhin versuchte Merino auch die privatisierten Energieversorgungsunternehmen stärker zur Kasse zu bitten, denen das Fujimori-Regime umfangreiche Steuerprivilegien gewährt hatte. Damit schuf sie sich im unternehmerfreundlichen Regierungslager aber noch mehr Feinde. Und da diese Maßnahme auch ein US-Unternehmen träfe, stößt sie auch in Washington nicht auf Wohlwollen. Deswegen wird die neue peruanische Regierung diese Pläne vermutlich nicht umsetzen, will sie doch weiterhin ein bilaterales Handelsabkommen mit den USA abschließen. Auch die transnationalen Minenkonzerne werden wohl unbehelligt bleiben. Das garantiert der Energie- und Minenminister Hans Flury, der aus dem Management von Southern Peru, einem der größten Kupferkonzerne der Welt, in die Regierung wechselte. Was macht es da schon, dass die Minenkonzerne im letzten Jahr horrende Gewinne einstrichen, aber – ebenfalls dank Fujimori – nur ein paar lausige Prozent Einkommensteuer zahlten und den betroffenen Regionen außer verwüsteten Landschaften nichts zurücklassen werden. Auf der anderen Seite wird es für die Regierung ohne höhere Steuereinnahmen schwer, den Herbst zu überstehen. Spätestens nach Ende der Sommerpause im März werden Gewerkschaften und soziale Basisorganisationen ihre Reihen wieder schließen und erneut auf die Straße gehen.

Das System Fujimori
Bei der Demokratisierung der Institutionen, für die Toledo angetreten war, kommt die Regierung nur langsam voran. Die Justiz ist nach wie vor mit korrupten Richtern und Staatsanwälten des Fujimori-Regimes durchsetzt. Eine Polizeireform wird von ständig wechselnden Ministern mal forciert, dann wieder verschleppt und verwässert. Und in der Armee werden die Zeiger sogar zurückgestellt. Als Toledo sein Amt antrat, wanderten zahlreiche Generäle wegen Korruption, Waffen- oder Drogenhandel in die Gefängnisse. Der Etat für die Streitkräfte wurde gekürzt, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission beschäftigte sich unter anderem mit der Aufklärung der Armeeverbrechen im Bürgerkrieg, und der erste zivile Militärminister stellte eine Armeereform in Aussicht.
Die aktuelle Situation: Der Militärhaushalt wurde wegen einer angeblichen Rückkehr des Leuchtenden Pfads, wieder aufgestockt. Aurelio Lloret de Mola, der zivile Minister, deckte seine Truppen, als sie im letzten Jahr auf protestierende Studenten feuerten und einen Demonstranten von hinten erschossen. Und seit der letzten Kabinettsumbildung sitzt ohnehin wieder ein General auf dem Ministersessel, bis zu seiner Ernennung Chef des Oberkommandos der Streitkräfte. Damit ist endgültig klar: Eine ernsthafte Reform wird es nicht mehr geben. Eine Armee, die im Bürgerkrieg knapp 20.000 Menschen massakrierte und die regelmäßig Rekruten zu Tode quält, darf bleiben wie sie ist. Jene Strukturen bleiben erhalten, die der gesamten Führungsspitze während des Fujimori-Regimes eine Verwicklung im Waffen- und Drogenhandel erlaubten. Wie soll sich auch etwas ändern, wenn der Präsident selbst systematische Menschenrechtsverletzungen der Armee im Bürgerkrieg als Exzesse verharmlost. Zudem ist nicht zu erkennen, dass entgegen den Empfehlungen der Kommission die Massenmörder in Uniform vor ein Gericht gestellt werden.


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