„Time for change“
Marxist, Zahnarzt, Unabhängigkeitsheld: Cheddi Jagan ist tot
Die moderne Geschichte Guyanas wird vor allem mit zwei Namen verknüpft: dem langjährigen Diktator Forbes Burnham (1964-85) und seinem Kontrahenten Cheddi Jagan. Der am 22. März 1918 geborene Indoguyaner Cheddi Jagan trat schon früh auf der politischen Bühne in Erscheinung. Die USA waren prägend für seinen Werdegang. Während seines dortigen Zahnmedizinstudiums wurde er mit dem rassistischen Alltag und mit marxistischer Theorie konfrontiert. Zurück in Guyana gründete er 1946 mit Gleichgesinnten das Politic Affairs Committee (PAC). Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus sollte eine Kaderpartei der Arbeiterklasse entwickelt werden. Zudem war das PAC die erste multiethnisch orientierte Organisation. Eine bedeutende Tatsache in einem Land, dessen Siedlungs- und Organisationsstruktur anhand ethnischer Trennungslinien verläuft: 51 Prozent der Bevölkerung besteht aus Nachfahren indischer KontraktarbeiterInnen und lebt zu 94 Prozent auf dem Lande, 42 Prozent der Bevölkerung besteht aus Schwarzen und Mulatten, die überwiegend in den Städten leben.
Im Jahre 1947 gründete Jagan dann die Guyana Industrial Workers‘ Union (GIWU). Mit ihr sollte für den Überbau PAC die Basis hergestellt werden. Mit Erfolg: die GIWU avancierte zur bedeutendsten Gewerkschaft des ländlichen Raums. Der Gründungen war damit allerdings noch nicht genug: Im Januar 1950 wurde aus dem PAC die People’s Progressive Party (PPP). Das Ziel der Partei war wahrlich progressiv: Guyana sollte in eine sozialistische Gesellschaft überführt werden. Dieses Vorhaben stieß bei der britischen Kolonialverwaltung und der konservativen Mittelschicht naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Von ersteren bei der politischen Arbeit behindert, von den zweiteren als subversive Kommunisten gebrandmarkt, focht die Partei um soziale Reformen und die politische Autonomie. Dabei ging sie taktisch klug vor. Die Ideologie stand im Hintergrund, die konkreten Reform- und Autonomiebestrebungen im Vordergrund. Zudem wurde die ethnische Spaltung des Landes innerhalb der Partei überbrückt. Jagan als Parteiführer, der afroguyanische Anwalt Forbes Burnham als geschäftsführender Parteivorsitzender und Jagans Frau Janet als Generalsekretärin bildeten die Führungstroika.
Jagan als Ministerpräsident
Bei den ersten freien Wahlen der Kolonie im Jahre 1953 fruchtete diese Strategie. Die PPP heimste 18 der 24 Sitze ein. Indes gerieten sich Jagan und Burnham schon unmittelbar nach dem Wahlkampf in die Haare, ging es doch um das historische Amt des ersten Ministerpräsidenten Guyanas. Jagan setzte sich durch. Seine darauf folgenden ambitiösen Versuche, die Arbeitsgesetzgebung des Landes zu revolutionieren, stießen der Kolonialmacht bitter auf. Nur 133 Tage nach dem Amtsantritt Jagans intervenierte sie. Der britische Gouverneur setzte die Verfassung aus und regierte nun selbst auf der Basis der Notstandsgesetzgebung mit Hilfe britischer Truppen. Zu diesem äußeren Druck gesellten sich zunehmend innerparteiliche Auseinandersetzungen. Die ideologischen Differenzen zwischen dem Marxisten Jagan und dem gemäßigten Sozialisten Burnham wurden immer offensichtlicher und kulminierten 1955 in der Abspaltung der überwiegend afroguyanischen Fraktion um Burnham. Diese Fraktion gründete vor den Wahlen 1957 den People’s National Congress (PNC). Die Spaltung der Parteienlandschaft in den indoguyanischen PPP und den afroguyanischen PNC war damit vollzogen. Die Briten sympathisierten mit Burnham, konnten aber zunächst nicht verhindern, daß Jagans PPP 1957 und 1961 aufgrund der indischstämmigen Bevölkerungsmehrheit die Wahlen gewann. Obwohl Jagan als Ministerpräsident einer Kolonie nicht allzuviel bewegen konnte, wurden Großbritannien und die USA nervös. Schließlich nahm das Unabhängigkeitsbestreben in den sechziger Jahren überhand. Ein Land mit einem kommunistischen Ministerpräsidenten durfte nicht in die Unabhängigkeit gelangen. Der CIA wurde aktiv, die PNC und die konservative United Front in ihrem Aufbegehren unterstützt. Insbesondere ihr achtzigtägiger Generalstreik 1963 erfuhr reichliche finanzielle und logistische Hilfe. Der Streik führte zur Entmachtung Jagans, forderte etwa 100 Tote und ließ Neuwahlen unumgänglich werden. Neuwahlen liefen aber nun die Gefahr eines neuerlichen Wahlsieg Jagans, zumindest wenn das System der relativen Mehrheitswahl beibehalten worden wäre. Kurzerhand schaffte daher die Kolonialverwaltung das sämtlichen britischen Kolonien auferlegte System in Guyana ab: Neues Wahlsystem, neue Regierungsbildungsmöglichkeiten.
Die Koalition zwischen Burnhams PNC und The United Force (TUF) siegte durch das Verhältniswahlsystem knapp und Guyana konnte wenig später in die Unabhängigkeit entlassen werden. Burnham wußte nun einerseits um seine prekäre Machtlage, schließlich waren angesichts der ethnisch-politischen Kräftekonstellation zukünftige Wahlsiege fraglich und auf alle Fälle an ungeliebte Koalitionspartner gebunden. Andererseits wußte Burnham um die Konstellation des Kalten Krieges und er setzte gekonnt auf diese Karte. Solange er sich als einzige Alternative zu dem Kommunisten Jagan präsentieren konnte, hatte er seitens der USA nichts zu befürchten – im Gegenteil: er konnte sicher sein, daß Wahlfälschungen als kleineres Übel toleriert werden würden. Bis zu seinem Tode 1985 machte er davon weidlich Gebrauch.
Jagans Rückkehr
Ironie des Schicksals, daß Jagan ausgerechnet durch die Umwälzungen im Ostblock als Machthaber tragfähig wurde. 28 Jahre Opposition fanden ihr Ende, nachdem in der außenpolitischen Agenda der USA bezüglich ihrer lateinamerikanischen Hinterhofländer nun freie und faire Wahlen ganz oben auf der Prioritätenliste standen. Die Wahlen von Oktober 1992 verliefen relativ korrekt. Jagan wurde nach Burnham und Desmond Hoyte zum dritten Präsidenten des seit 1970 als Republik firmierenden Landes berufen. Sein Handlungsspielraum war jedoch äußerst begrenzt: Guyana gehört mit 330 US-Dollar Pro-Kopf-Jahreseinkommen zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein IWF-Strukturanpassungsprogramm reiht sich an ein anderes. Daß beim Amtsantritt Jagans laufende Programm absorbierte unglaubliche 90 Prozent der Staatseinnahmen für den Schuldendienst, Ausgaben für Soziales, Gesundheitsfürsorge und Bildung blieben auf der Strecke. Kein Wunder, daß ausgerechnet anhand von Guyana das weltweit erste „Alternative Strukturanpassungsprogramm“ (ASAP) entworfen wurde. Das von der Bretton Woods Reform Organsiation (BWRO) konzipierte Programm wurde im Dezember 1995 in der guyanischen Hauptstadt Georgetown vorgestellt. Soziale und ökologische Aspekte, Schuldenerleichterungen, Transparenz und die Beteiligung der Bevölkerung am Entscheidungsprozeß bilden die Eckpfeiler des Konzepts. Aspekte, die auch für Jagan von großer Bedeutung waren, so daß das Programm bei ihm auf offene Ohren stieß. Einer Zusammenarbeit mit der BWRO stand somit nichts im Wege. Inzwischen ist es allerdings um das ASAP sehr still geworden – der Wahlslogan von 1992 Time for change ist aktueller denn je. Den Wandel zu fördern und die Diskussion um Alternativen neu zu beleben wäre mit Sicherheit im Sinne Cheddi Jagans.