Literatur | Nummer 370 - April 2005

Traurigkeit dominiert

Interview mit dem Schriftsteller Leonardo Padura über das heutige Kuba im Spiegel der Literatur

Es zählt zum bekannten Kriminalromanzyklus „Das Havanna-Quartett“. Das neueste Werk Leonardo Paduras, Labyrinth der Masken, erschien Anfang März 2005 auf Deutsch. Der 48jährige kubanische Schriftsteller lebt in Havanna im Viertel Mantilla, im Süden der Hauptstadt. Länger als 20 Tage im Ausland hält er sich ungern auf. Leonardo Padura Fuentes will sich nicht von der Kuba-Nostalgie anstecken lassen, die seine Familie in Miami prägt. Der Schriftsteller und Journalist lebt heute in dem Haus, in dem er geboren wurde. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über seine Romane und sein Verhältnis zu Kuba.

Knut Henkel

Herr Padura, arbeiten Sie schon wieder an einem neuen Kriminalroman?

Ich arbeite gerade an zwei Projekten: zum einen an einem Film, für den ich das Drehbuch schreibe. Es ist eine spanische Produktion. Die Hauptfigur ist mein Krimiheld Mario Conde. Parallel arbeite ich an einem Roman, dessen Protagonist erneut Mario Conde ist. Warum das Ganze? Nun, die spanische Firma ist dabei, eine vierteilige Serie zu produzieren. Ich schreibe die Drehbücher. Dabei rückt mir die Romanfigur des Mario Conde zwangsläufig wieder näher. Und so kam mir auch eine alte Romanidee wieder in den Sinn, die ich nun umsetze. Das Ganze ist schon recht weit gediehen und der Titel steht schon so gut wie fest: La neblina de ayer, (Der Nebel von gestern).

Was erwartet Ihre LeserInnen in diesem neuen Werk?

Dieser Roman hat eine ganz andere Struktur als meine bisherigen. Mario Conde ist nicht mehr Polizist. Er verdient sein Geld jetzt mit dem An- und Verkauf alter Bücher. Zudem spielt die Handlung nicht im Jahr 1989, sondern 2003/04. Mario Conde ist nun 48 Jahre alt, hat Schmerzen in den Knien, hustet morgens kräftig, wenn er seine erste Zigarette raucht und es kostet ihn viel mehr Zeit, sich von seinen nächtlichen Besäufnissen zu erholen.

Warum haben Sie Mario Conde in die Gegenwart geholt?

Weil sich viel geändert hat. Deshalb hat auch Mario Conde eine anderen Blick auf die Dinge: In den bisherigen Bänden betrachtet er die Realität aus einer kritischen, skeptischen und ironischen Perspektive. In meinem neuen Roman dominiert dagegen Traurigkeit. Mario Conde, ein Freund der alten Bücher, steigt in die Abgründe des Lebens in Havanna. Er lernt die Stadt von einer Seite kennen, die er zuvor nicht kannte. Ein Havanna, das physisch und moralisch heruntergekommen ist. Eine Welt der Gewalt, der Prostitution, der Drogen, die ihn erstaunt und verstört, so dass er sich fast krank fühlt. In meinen anderen Bänden hat er gelacht, wenn es auch oft nur ironisch.

Ist das jetzt ein Roman oder auch ein Kriminalroman?

Es ist beides: Roman und Kriminalroman, denn der Fall, an dem Conde arbeitet, konkretisiert sich erst im zweiten Teil des Romans. Mario Conde macht sich auf die Suche nach einer Bolerosängerin, die er aus den Augen verloren hat. Die Frau ist Ende der 50er Jahre verschwunden. Als Conde die Stimme der Sängerin auf einer alten Platte hört, will er plötzlich unbedingt wissen, was aus ihr geworden ist. Der Buchverkäufer muss schließlich feststellen, dass sie ermordet wurde.

Welche Bedeutung hat das Jahr 1989 für Sie und die Serie Ihrer Kriminalromane?

Ich habe 1990 begonnen Romane zu schreiben und da war es logisch 1989 anzusetzen. Später habe ich aus mehreren Gründen an dem Jahr 1989 festgehalten: 1990/91 hat sich die ökonomische Situation in Kuba so dramatisch verschlechtert, dass der Bewegungsradius von Mario Conde stark eingeschränkt worden wäre. Es wäre nicht möglich gewesen, ihn in den Bus zu setzen, weil es schlicht kaum welche gab zu dieser Zeit. Genauso wenig hätte er an irgendeiner Ecke Zigaretten kaufen können.
Auch seine Skepsis und Ironie angesichts der Lebensverhältnisse in Kuba wären nicht mehr angebracht gewesen. 1989 ist das Jahr, in dem hier die Illusionen beendet wurden und die Realität begann.
Das Kuba der 70er und 80er Jahre war aus sozialer und ökonomischer Perspektive ein künstliches Gebilde – ein Land, das von der Sowjetunion hochsubventioniert wurde und dem sowjetischen Modell anhing.

Was hat Kubas Träume platzen lassen?

1989 hat sich vieles geändert: Es wurde entdeckt, dass hochrangige Repräsentanten aus Armee und Innenministerium in Drogen- sowie illegalen Kunst- und Elfenbeinhandel verwickelt waren. Dann war da der berühmte Ochoa-Skandal. Das Bild der perfekten kubanischen Welt kam ins Rutschen. Deshalb heißt mein erster Band des Quartetts auch Perfekte Vergangenheit. Denn damals gingen den Leuten die Augen auf. Die drei folgenden Romane sind zwar ebenfalls 1989 angesiedelt, haben sich aber weiterentwickelt. Conde wird im Laufe der Zeit immer skeptischer, pessimistischer, trauriger und am Ende (in Herbstlandschaft), gibt Conde den Polizeidienst auf. Diese Entscheidung markiert den Punkt, an dem alle Illusionen über Bord gehen.
Das heißt, dass die Jahre der ökonomischen Talfahrt zwischen 1990 und 1993 in Ihren Romanen sehr wohl präsent sind?
Ja, wenn auch nur indirekt. Ich reflektiere die historischen Begebenheiten nicht, sondern eher die psychologische Ebene der Krise. Der Wandel in der Person Mario Condes steht dafür.

Die Lebensumstände in Kuba sind für viele außerordentlich schwierig. Auf der anderen Seite gibt es einen Teil der Bevölkerung, der wie die Chemielehrerin in Handel der Gefühle relativ gut lebt und sich etwas leisten kann. Welche Rolle haben diese Widersprüche in Kuba und welche Bedeutung haben sie für Ihre Arbeit?

In den 70er und 80er Jahren, als ich die Universität besuchte und zu Arbeiten begann, gab es diese Widersprüche nicht. Damals hatten wir noch alle die gleichen Perspektiven und Hoffnungen.
Das hat sich Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre geändert. Da haben wir entdeckt, dass es eine Gruppe von Personen gab, die ganz anders lebten als wir. Norberto Fuentes hat in Süße Helden über diese Menschen und ihre snobistische Lebensweise geschrieben. Wer hatte die teuerste Rolex, den größten Wagen und die meisten Fans in Havanna – das war denen wichtig. Es war eine kleine Welt, die ein Großteil der Kubaner nicht kannte. Als sie von der Existenz erfuhren, waren viele geschockt.
Mit der ökonomischen Krise, die 1990 einsetzte, kam es zu einem tiefgehenden sozialen Wandel in Kuba. Die Trennlinie verlief fortan zwischen Dollarbesitzern und Nichtbesitzern. Und der Dollarbesitz entschied, ob man sich etwas zu Essen leisten konnte oder nicht. Ebenfalls verantwortlich für den Wandel innerhalb der Gesellschaftsstrukturen ist die Korruption. Um an Devisen zu kommen, ließen sich viele Kubaner korrumpieren.

Wie gut können sie sich noch an die Zeit vor der Wirtschaftskrise 1990 erinnern?

Ich habe die Zeit als Schüler in der Preuniversitario (Vorstufe zur Universität) erlebt. In meinen Büchern erzählt Mario Conde davon. Jeder hatte damals drei Hosen: eine Sporthose, eine für den Schulalltag und eine dritte zum Ausgehen. Alle waren zufrieden, weil alle die gleichen Chancen hatten. Heute ist es für einen Grundschüler ein Problem, wenn er nicht mit Nike-Turnschuhen oder einem Tommy Hilfiger-T-Shirt zur Schule kommt.

Sie schreiben über sensible Themen wie Korruption, Drogenmissbrauch, Prostitution und Klientelismus in Kuba. Ist Ihre Arbeit in Kuba nicht sehr riskant?

Es gibt immer Risiken. Aber ich habe etwas zu sagen, deshalb schreibe ich. Ich hatte Glück, denn meine Romane sind in Kuba erschienen, ohne dass auch nur ein Wort zensiert wurde. Alle meine Bücher sind hier sogar ausgezeichnet worden – mit dem Kritikerpreis, dem Preis der Schriftstellervereinigung. Es ist zwar nur eine kleine Auflage gedruckt worden, in etwa 35.000 Exemplaren, aber immerhin.

Welche Bedeutung hat denn die aktuelle Entwicklung in Kuba für Ihr literarisches Schaffen?

In meinem aktuellen Buch spielen Drogen und deren Konsum eine wichtige Rolle. Ich spreche nicht von dem einfachen Joint, der in Handel der Gefühle die Verantwortlichen aufschreckte, sondern von harten Drogen. Ein anderes Phänomen ist die professionelle Prostitution, nicht die freundschaftliche Gelegenheitsprostitution, die es zu Beginn der 90er Jahre in Kuba gab. Und das dritte Phänomen, das in dem neuen Roman eine Rolle spielen wird, ist die alltägliche Gewalt und das Elend in den Straßen Havannas.
Es hat sich viel geändert in Kuba. 1992 und 1993 war es kaum möglich eine Schachtel Streichhölzer in Havanna zu kaufen. Die Wirtschaftskrise ist der Ursprung des Wandels in Kuba, der die gesamte Gesellschaft transformiert und große Teile der Bevölkerung marginalisiert hat. Viele Kubaner haben schlicht die Hoffnung verloren und einige haben Zuflucht in der Gewalt gesucht. Das hat es bis 1990 nicht gegeben; heute gibt es Stadtviertel in Havanna, die ich meide. So zum Beispiel Centro Habana, wo die Stimmung ausgesprochen angespannt ist.

Ist der Kriminalroman für Sie ein Werkzeug, um über die kubanische Realität schreiben zu können?

Ja, der Kriminalroman dient mir als Vorwand, um über Themen zu schreiben, die mich interessieren – in meinem Fall ist es die Analyse der kubanischen Realität. Aber dieses Genres haben sich schon amerikanische Autoren der 30er und 40er Jahre bedient, wie zum Beispiel Vasquez Montalban. Immer wieder diente der Kriminalroman dazu, soziale Hintergründe aufzuzeichnen.
Die kubanische Literatur der 80er Jahre war sehr friedlich in ihrer Darstellung der kubanischen Realität. In den 70er Jahren war sie hingegen sehr ideologisch, sehr sendungsbewusst und verfolgte den tropischen sozialistischen Realismus. Erst in den 90er Jahren hat sich die Literatur in ein kritisches Medium verwandelt.

Einen kritischen Blick auf die kubanische Realität haben Sie auch als Journalist geworfen. Bis wann haben Sie für kubanische Zeitungen gearbeitet?

Ich habe 1980 nach dem Universitätsabschluss in der Redaktion vom Caimán Barbudo (Kulturbeilage der Zeitung Juventud Rebelde; Anm. d. Red.) begonnen – die gibt es auch heute noch. Ende 1983 habe ich dann in der Juventud Rebelde begonnen. Damit begann für mich eine sehr wichtige Lebensphase. Dort habe ich unterschiedlichen Formen des Schreibens entdeckt und meine literarische Schule begonnen. Ich habe die kubanische Realität sehr genau kennen gelernt und ein Jahr als Korrespondent in Angola gearbeitet. Von 1991 bis 1995 war ich Redaktionsleiter der Gazeta de Cuba, die Zeitschrift der UNEAC (Union Nacional de Escritores y Artistas de Cuba). Für mich war das damals die beste Kulturzeitschrift Kubas. Sie bot viel Raum für unterschiedliche Meinungen.

Sie sind durch Ihre Reportagen in Kuba bekannt geworden. Warum schreiben Sie diese heute nicht mehr?

Mir gefällt der Journalismus sehr. Ich glaube sogar, dass ich ein besserer Journalist als ein Schriftsteller bin. Aber es fehlt mir an Freiraum, um dem Journalismus nachzugehen. In Kuba sind die Zeitungen dünn, es fehlt Platz für Reportagen.
Und außerhalb Kubas ist es im Journalismus schwer, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Zudem wird von der ausländischen Presse oft erwartet, dass man die Situation in Kuba direkt kritisiert. Mit dieser Perspektive, die schon im Vorfeld negativ ist, habe ich ein Problem. Es gibt in Kuba einiges, mit dem ich nicht einverstanden bin, aber es gibt sehr wohl auch vernünftige Dinge.

Leonardo Padura: Labyrinth der Masken, Unionsverlag, Zürich 2005, 269 Seiten, 19,90 Euro.

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