Ecuador | Nummer 594 - Dezember 2023

Unternehmersohn in Spitzenposition

Der Neoliberale Daniel Noboa wird Ecuadors neuer Präsident

Die Zeit drängt: Der frisch gewählte ecuadorianische Präsident Daniel Noboa soll sein Amt am 23. November antreten. Danach stehen ihm nur knapp 18 Monate zur Verfügung, um die Herausforderungen der steigenden Arbeitslosigkeit, sozialen Ungerechtigkeit und der akuten Sicherheitskrise in Ecuador anzugehen. Wie gelang es Noboa, die Wählerschaft von sich zu überzeugen, und wen hat er in sein Kabinett berufen?

Von Adrian Gerling & Valeria Bajaña Bilbao
Könige der Bananenwelt Daniel Noboa schart auch alte Bekannte aus der Unternehmerwelt um sich (Foto: Wambra (CC BY-NC-ND3.0)

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt am 15. Oktober hat sich der Überraschungskandidat aus dem ersten Wahlgang, Daniel Noboa, gegen die dem ehemaligen Präsidenten Rafael Correa nahestehende Kandidatin Luisa González durchgesetzt. Der 35-Jährige wird nun Ende November seine 18-monatige Amtszeit bis zu den nächsten turnusmäßigen Wahlen im Jahr 2025 antreten. Bis vor Kurzem war Noboa hauptsächlich als Sohn des Bananen-Magnaten Álvaro Noboa Pontón bekannt, der selbst fünf Mal daran scheiterte, Ecuadors Präsident zu werden.

Noboa präsentiert sich als neue, junge politische Option und stehe in Zeiten politischer Gewalt für Erneuerung, meint zumindest Abelardo Paco, ehemaliger Chef der Zentralbank in Ecuador. Dabei profitierte er auch von einer gut funktionierenden Social-Media-Kampagne. Die direkte Konfrontation mit seinen politischen Gegner*innen vermied er weitgehend, was besonders bei jungen Wähler*innen Anklang fand. In der Altersgruppe der Wähler*innen unter 40 Jahren, die mit etwas mehr als 50 Prozent aller Wahlberechtigten die Mehrheit bildet, war seine Unterstützung besonders hoch. Sogar in den Regionen, die traditionell von Zentrumsparteien und linken Parteien dominiert sind – hauptsächlich die Sierra und das Amazonasgebiet – konnte sich Noboa die Mehrheit der Stimmen sichern.

„Noboas Sieg folgt einem seit langem etablierten Schema seit Ecuadors ersten (demokratischen) Wahlen im Jahr 1979“, so Grace Jaramillo, Politikwissenschaftlerin und Expertin für Internationale Beziehungen, in einer Analyse für den Latin America Advisor. Sie erklärt, dass die ecuadorianischen Wähler*innen in fast allen Wahlen seit 1979 jene Kandidat*innen bevorzugten, die zuvor nicht im Amt waren und neue Botschaften vermittelten. Einzige Ausnahme ist Rafael Correa, der die Wahlen zweimal (2008 und 2013) für sich entscheiden konnte. Zudem habe Noboa es geschafft, sich von der Polarisierung zwischen Anhänger*innen und Gegner*innen von Correa zu lösen, schreibt die Politologin.

Stimmenfang im rechtskonservativen Lager

Schon Noboas Wahlbündnis zur Stichwahl setzte sich aus sehr unterschiedlichen politischen Bewegungen zusammen. So hat er mit Verónica Abad eine Vizepräsidentin gewählt, die offen extrem reaktionäre Positionen vertritt und sich unter anderem gegen die Legalisierung von Abtreibungen ausspricht. Die Wahl dieser Kandidatin dürfte der Stimmenbeschaffung im konservativen Lager sicher nicht geschadet haben.

Der neu gewählte Präsident bezeichnet sich selbst als Mitte-links, steht jedoch für ein klar neoliberales und arbeitgeberfreundliches Wirtschaftsmodell. Noboa arbeitete von 2010 bis 2018 als Logistikdirektor im Bananen-Unternehmen seines Vaters. In diese Zeit fällt auch die Zerschlagung der letzten Gewerkschaft auf der Plantage Los Álamos, die Teil des Firmenimperiums ist. In Ecuador ist der gesamte Bananensektor eine gewerkschaftsfreie Zone, die Firma der Noboas ist hier keine Ausnahme. 2021 urteilte ein Gericht, dass die Branchengewerkschaft ASTAC, eine Vertretung der Land- und Bananenarbeiter*innen, vom Arbeitsministerium zugelassen werden muss. Diese Zulassung ist politisch bis heute nicht umgesetzt und es wäre überraschend, wenn dies ausgerechnet unter Noboa umgesetzt würde. Ebenso werden fossile Brennstoffe und der Rohstoffabbau weiter eine wichtige Rolle einnehmen. Noboa hat zwar angekündigt, sich an die Abstimmung zum Yasuní-Nationalpark (siehe Interview auf Seite 20) zu halten, will die Ölförderung aber an anderen Stellen vorantreiben. Ebenso möchte er weitere Bergbauprojekte angehen, kündigte Steuersenkungen an und möchte zum Ankurbeln der Wirtschaft ausländische Investitionen anlocken.

Die Partei des Präsidenten hat in der Nationalversammlung nur 13 Sitze

Ob diese Vorhaben so einfach umzusetzen sind, wird sich zeigen, denn Noboa wird mit einem zersplitterten Parlament arbeiten müssen. Sein Vorgänger Guillermo Lasso hatte als Reaktion auf ein Amtsenthebungsverfahren das Parlament aufgelöst und war selbst zurückgetreten. Aktuell ist Noboas Partei PID nur mit 13 von 131 Sitzen in der Nationalversammlung vertreten und ist somit auf die breite Unterstützung anderer Parteien angewiesen, um seine politischen Ziele umzusetzen. Die größte Fraktion bleibt im Parlament die Partei Revolución Ciudadana die die politische Strömung des Correismus repräsentiert. Nach der Wahlniederlage in der Stichwahl versprach die zweitplatzierte Präsidentschaftskandidatin Luisa Gonzáles in ihren sozialen Netzwerken die volle Unterstützung ihrer Partei, „um die Reihen zu schließen und das Land voranzubringen“”. Fraglich bleibt allerdings, ob dies aufgrund der konträren politischen Vorschläge überhaupt möglich ist.

Ende Oktober veröffentlichte Noboa schließlich über seinen X-Account auch die Namen seines Kabinetts. Dabei wurden Sonsoles García als Ministerin für Produktion und Außenhandel und Roberto Luque als Minister für öffentliche Arbeit vorgestellt. Beide sind zwar in politischen Kreisen noch relativ unbekannt. Sonsoles García ist Rechtsanwältin und gilt als Expertin für Freihandelszonen. Beide sind aber in politischen Kreisen noch relativ unbekannt. Zu den bekannteren Gesichtern in Noboas Kabinetts gehört Iván Carmigniani, der zukünftig als Generalsekretär für Kommunikation arbeiten soll. Als Politik- und Kommunikationsstratege war er in den Jahren 1998, 2002 und 2006 verantwortlich für die Präsidentschaftskampagnen von Álvaro Noboa, Vater des gewählten Präsidenten.

Gewerkschaftsfreier Raum Dass sich die Situation der Arbeiter*innen auf den Bananenplantagen unter Noboa verbessert, bleibt zu bezweifeln (Foto: David Bossart via Flickr (CC BY-SA 2.0 DEED))

Expert*innen wie der Politikanalyst und ehemalige Correa-Außenminister Guillaume Long äußerten bereits während des Wahlkampfs Skepsis hinsichtlich der vielfältigen Verbindungen der Noboa-Familie in verschiedenen Sektoren der ecuadorianischen Wirtschaft. Diese Verbindungen lassen die Befürchtung aufkommen, dass der neue Präsident seine Position nutzen könnte, um die wirtschaftlichen Interessen seiner Familie und seines engsten Umfelds zu begünstigen.

Auch Noboas Minister haben Kontakte in die Bananenindustrie

Eine Untersuchung des Mediums Wambra hat in diesem Kontext Verbindungen zwischen den Exportoligarchien Ecuadors recherchiert und und die von Noboa zunächst vorgeschlagenenen Minister unter die Lupe genommen. So auch Iván Adolfo Wong Chang, der das Amt des Landwirtschaftsministers übernehmen sollte und dessen Familie zu den größten Bananenproduzenten und -exporteuren in Ecuador gehört. Der Ingenieur lehnte das Amt jedoch ab. An seiner Stelle wurde der Geschäftsmann Franklin Danilo Palacios Márquez als zukünftiger Minister vorgestellt. Palacios hatte in der Vergangenheit ebenfalls Verbindungen zur Bananenindustrie. Er war zuvor außerdem Direktor der Hafenbehörde von Puerto Bolivar und Vorstandsmitglied der Vereinigung der Bananenexporteure Ecuadors.

Die Noboa-Gruppe selbst gehört zu den größten Schuldnern gegenüber der ecuadorianischen Steuerbehörde und zahlt im Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Aktivität vergleichsweise niedrige Steuern. Darüber hinaus teilt die Politologin Grace Jaramillo die Sorge vor einem potenziellen Machtmissbrauch durch Noboa – sei es in der Produktion von Gütern, Dienstleistungen oder in der Landwirtschaft. Es existieren kaum wirtschaftspolitische Themen, die nicht unmittelbar das Firmenkonstrukt der Familie betreffen. Daraus ergibt sich nach ihrer Einschätzung ein ständiger Interessenkonflikt.

Wie sich dieser Einfluss tatsächlich auf die politische Entscheidungen des zukünftigen Präsidenten auswirkt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die größte Hürde bleibt nach wie vor die Sicherheitskrise, die Ecuador seit zwei Jahren fest im Griff hat. Eine Welle von Verbrechen, die dem Modus Operandi der organisierten Kriminalität entsprechen, hat die Bevölkerung in Alarmbereitschaft versetzt. Dazu gehören Erpressungen, Autodiebstähle, Entführungen, Überfälle auf Geschäfte, Drogenhandel und Morde. Die Bewältigung dieser Probleme und die Erzielung langfristiger Ergebnisse dürften auch noch bei den nächsten Wahlen Thema sein.


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