Visum für einen Traum
Mit dem Anspruch „traditionelle und politische Folklore jenseits von Klischees“ musikalisch ambitioniert zu arrangieren, sind Grupo Sal nun mittlerweile seit 25 Jahren erfolgreich: Im schwäbischen Tübingen beheimatet, begeistern die sechs Musiker aus Europa und Lateinamerika ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Interpretationen lateinamerikanischer Musik. Sie tasten sich gefühlvoll an Rhythmen und Texte aus verschiedensten Teilen Lateinamerikas heran, um dann mit einem guten Schuss Latinjazz ihren Songs die mitreißende Mischung aus verspieltem Rhythmus und Melancholie zu geben. Ihre Interpretationen bewegen sich zwischen Mystik, Tradition und Revolution – Grupo Sal verbinden dabei traditionell lateinamerikanische Salsa, Merengue, Candombe oder Milonga mit europäischen Harmonien, die ihren rhythmischen Reiz durch die nötige Prise Off-Beat traditionell afrikanischer Natur finden. Von portugiesischem Fado bis kubanischem Son findet so jeder Song seinen eigenen Charakter – mal tritt der eine, mal der andere Aspekt in den Vordergrund. Darüber hinaus greifen die Arrangements Entwicklungen wie Flamenco-Rock oder Mestizo auf, die heute Ausdruck der multikulturellen Szene vieler Metropolen sind.
1982 traf der heutige Frontman Fernando Dias Costas aus Portugal und seine Begeisterung für stimmungsvolle Balladen auf den Chilenen Roberto Deimel als einen Vertreter des „Neuen politischen Liedes“ aus Lateinamerika. Gemeinsam entwickelten sie das Profil der Gruppe, das in den vergangenen Jahren entscheidend von den nach und nach dazugestoßenen Instrumentalisten weiterentwickelt wurde: Roland Geiger, der mit seiner Querflöte flink und virtuos die Arrangements verfeinert, Harald Schneider, der mit Saxophon- und Klarinettensoli die Jazzelemente nicht zu kurz kommen lässt und Kurt Holzkämper, der mit dem fretless Kontrabass technisch versiert swingende Akzente setzt. Mit dem argentinischen Gitaristen und Sänger Aníbal Civilotti ist außerdem ein ausgezeichneter Tango-Interpret zur Band hinzugestoßen. Der sonore Bariton von Dias Costas, das lyrische Timbre Deimels und die ausdrucksstarke Stimme Civilottis zeichnen den Vokalpart der Band unverkennbar aus.
Mit Sin Fronteras nähern sich die Musiker einem an Aktualität kaum zu übertreffenden Thema in der heutigen europäisch-lateinamerikanischen politischen und musikalischen Landschaft. In „Tango Negro“ lässt Grupo Sal „den Rhythmus der Alten noch einmal aufleben“, wie es in dem Song heißt, um dann in „Moliendo Café“ mit leiser afrobrasilianischer Percussion die schwere Arbeit auf den Kaffeeplantagen und die „Liebesklage“ des „Schwarzen Manuel“ zu interpretieren. Es macht den Anschein als wollte Grupo Sal mit dem neuen Album Sin Fronteras dazu beitragen, die Lebensumstände der vielen Menschen in Lateinamerika, die für ein vermeindlich besseres Leben in Nordamerika und ein „Visum für einen Traum“ kämpfen, von ihrer Not befreien: „Ich brauch ein Visum, was kann ich sonst tun; Ich brauch ein Visum, um Schiffbruch zu erleiden; Ich brauch ein Visum, um Fressen für die Haie zu werden; Ich brauch ein Visum, ist mein Lebenszweck; Ich brauch ein Visum, muss weg hier“ singen sie in der gleichnamigen Salsa („Visa para un sueño“). Zwar lässt sich die Bedeutung politischer Grenzen nicht einfach wegsingen – dennoch beschreibt Sin Fronteras zumindest musikalisch treffend und einfühlsam die Chancen und Risiken von einem besseren Leben durch Migration.
Grupo Sal: Sin Fronteras, Way Out Records, 18 Euro.
Nächste Konzerttermine: 10.2.07 A-Graz, 19.04.07 Kirchheim/Teck, 17.06.07 Bad-Sooden-Allendorf, 01.07.07 Eschenberg-Eibelshausen. Infos: www.grupo-sal.de