Honduras | Nummer 475 - Januar 2014

Wahl vorab entschieden

Interview mit Ulrike Lunacek, Leiterin der EU-Wahlbeobachtungsmission

Als am 24.11.2013 in Honduras gewählt wurde, leitete die grüne Europa-Abgeordnete Ulrike Lunacek aus Österreich die EU-Wahlbeobachtungsmission. Am Abend des Wahltages erklärte sie in einem Fernsehinterview, die Wahlen seien „transparent“ und „ordnungsgemäß“ verlaufen, Unregelmäßigkeiten seien Einzelfälle. Bis Redaktionsschluss war die Wahl unter internationalen Beobachter_innen umstritten, die oppositionellen Parteien erkennen das Ergebnis nicht an. Die LN interviewten Ulrike Lunacek zu ihrer Einschätzung drei Wochen nach der Wahl.

Interview: Claudia Fix

Was konnten Sie am Wahltag persönlich beobachten?
Am Wahltag selbst war ich in der Früh um halb sechs bei der Eröffnung eines großen Wahlzen-trums in Tegucigalpa im Turnsaal einer Schule. Am Vormittag sind wir nach San Pedro Sula geflogen, um dort zwei Wahlzentren zu beobachten. Dort habe ich auch die erste Pressekonferenz zu den Berichten der 99 Wahlbeobachter gemacht, also darüber, was diese von der Eröffnung der Wahllokale bis zum späten Vormittag beobachtet hatten. Deshalb haben wir gesagt, der Verlauf an dem Wahltag, und es ging wirklich nur um den Tag, war sehr ruhig, es ging alles sehr geordnet zu. Es war auch ziemlich gut vorbereitet. Es gab zwar einzelne Probleme bei der Eröffnung der Lokale, zum Beispiel gab es in dem Turnsaal in Tegucigalpa alles an Wahlmaterial, aber weder Sessel noch Tische, die kamen erst um halb acht. Dann konnten auch dort die ersten Personen wählen.

Sonst gab es keine Probleme?
Es gab schon im Laufe des Tages Berichte, dass kleinere Parteien ihre Wahlausweise verkauft haben. Vor allem an die Nationale Partei, aber auch an LIBRE. Die Wahlausweise waren ja leider nicht namentlich gekennzeichnet, das hatten die Parteien verhindert. Aber wir hatten eben die Berichte, dass es in so gut wie allen Wahllokalen Beisitzer gab, also Vertreter und Vertreterinnen der Parteien, und zwar von allen vier großen Parteien.

In einem Fernsehinterview haben Sie bereits am Wahlabend die Wahlen insgesamt als „regulär“ und „transparent“ bezeichnet – wie kamen Sie zu dieser Einschätzung?
Die Wahlen waren „transparent“ in dem Sinne, dass die Leute, die wählen wollten, Zugang zu den Wahlen hatten, dass die Personen in den Wahllisten gesucht und gefunden wurden. Das heißt nicht, dass es überall einhundertprozentig so war, aber im Großen und Ganzen konnten die Menschen wählen. Auch bei der Auszählung selbst waren Vertreter und Vertreterinnen der großen Parteien präsent. Die Actas, also die Formulare, in denen in jedem Wahllokal festgehalten wurde, wie viele Stimmen jede Partei bekommen hat, mussten von mindestens drei der Beisitzer der Parteien unterzeichnet werden. Jeder der Beisitzer bekam noch eine Kopie dieser Formulare in die Hand gedrückt. Die Formulare von 15.000 der 16.000 Wahllokale wurden dann gescannt und nach Tegucigalpa geschickt, dort digitalisiert und die Zahl der Stimmen eingegeben – das war und ist pro Wahllokal auf der Website siede.hn einzusehen. Ich war ab dem frühen Nachmittag bis in den Abend im Wahlzentrum des TSE, also der obersten Wahlbehörde. Und dass man zuschauen konnte, wie das funktioniert, darauf habe ich mich mit dem Wort „transparent“ bezogen.

Aber um diese „Actas“ und die Übertragung der Ergebnisse aus den Formularen wird doch seit den Wahlen heftig gestritten?
Es gab schon am Wahlabend Berichte, dass auf manchen dieser Formulare die notierten Ergebnisse anders digitalisiert wurden. Das stimmt. Aber bereits am Wahlabend hat der TSE alle Parteien dazu eingeladen, dass sie gemeinsam Formular für Formular durchgehen. Ich habe mir das selbst angeschaut. Es gab einige Fälle bei Xiomara Castro, dass auf dem Formular links 28 und rechts 68 Stimmen standen. In anderen Fällen waren es weniger Stimmen für Hernández, manchmal bei den anderen beiden Kandidaten. Diese wurden dann unter Anwesenheit von Beobachtern und Parteien, die dabei sein wollten, mit den Original-Actas aus den Wahllokalen bzw. den Kopien der Beisitzer nachgeprüft und, wo man sich auf die korrekte Stimmenanzahl einigen konnte, neu ins System eingegeben. Sonst wurde neu ausgezählt. LIBRE hat leider die gesamte erste Woche nach der Wahl an dieser Überprüfung nicht teilgenommen und auch keine Belege für ihre Anschuldigungen vorgelegt. Auf dieses Verfahren beziehen ich und die Mission uns, wenn wir sagen, wir haben eine positive Bewertung des Wahltags und es gab „Respekt vor dem Willen der Wähler bei der Auszählung“. Was ich immer dazusage: Die Wahlkampagne selbst war alles andere als transparent.

Von Gaby Küppers, die als Mitarbeiterin der Europaparlaments-Delegation ebenfalls an der Mission teilgenommen hat, ist ein Artikel mit dem Titel „Betrogen wurde vorher“ erschienen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja, das ist so. „Fraude“ heißt ja sowohl Betrug als auch Fälschung. Letzteres ist das, was am Wahltag passiert: dass Stimmen nicht oder nicht richtig gezählt werden oder Leute an der Wahl gehindert werden. Am Wahltag selbst gab es das nicht. Natürlich gab es einzelne Probleme, aber nicht in einem Ausmaß, dass es das Ergebnis verfälscht hätte.
Was in Richtung Wahlbetrug geht, ist das, was vorher passiert ist. Nämlich völlige Intransparenz bei der Wahlkampfkostenfinanzierung. Und, das habe ich auch bei der Pressekonferenz gesagt, der Missbrauch von öffentlichen Geldern, vor allem der Regierungspartei Partido Nacional, aber auch von den Liberalen. Und dass Gewalt und Straflosigkeit ein Klima der Angst im Land bewirken, das natürlich auch an einem Wahltag Einfluss hat. Auch die Schaffung der Militärpolizei ist unseres Erachtens nach ein Wahlkampfmittel gewesen.

Es hat sehr viel Kritik an dem Zeitpunkt Ihrer Erklärung zur Bewertung der Wahl gegeben. War die Erklärung verfrüht?
Nein, das ist eine Methode der europäischen Wahlbeobachtung und auch der OSZE-Wahlbeobachtung. Man macht innerhalb von 48 Stunden nach dem Urnengang den ersten Bericht, in dem man alle Informationen zusammenfasst. Den Endbericht werde ich Anfang nächsten Jahres in Tegucigalpa vorstellen. Dieser wird Empfehlungen beinhalten, deren Umsetzung von Seiten der EU genau verfolgt und unterstützt werden wird.

Aber diese Erklärung traf auf eine politische Situation, in der ihre Erklärung als Parteinahme für den Präsidentschaftskandidaten der Nationalen Partei aufgefasst wurde.
Das war es nicht, das war nicht so gedacht. Ich weiß, dass es diese Kritik gegeben hat. Aber die Leute, die selbst bei der Pressekonferenz waren, haben hoffentlich gemerkt, dass es das nicht war.

Nun werden ja die Wahlergebnisse von den verschiedenen internationalen Beobachter_innen sehr unterschiedlich eingeschätzt, auch aus ihrer eigenen Mission kam Kritik von Beobachter Leo Gabriel. Warum?
Zu Leo Gabriel ist zu sagen, dass er nur einen einzigen Teilbereich des Landes gesehen hat, er war in Puerto Cortés in Cortés, dort hat PAC gewonnen. Wir haben aber die Ergebnisse aus dem ganzen Land betrachtet. Dass es Unregelmäßigkeiten am Wahltag gegeben hat, das haben wir ja nicht geleugnet, auch ich nicht. Nur: Bei einem Unterschied von ungefähr 250.000 Stimmen zwischen Juan Orlando Hernández und Xiomara Castro ändern auch die Unregelmäßigkeiten – und auch die Einschüchterungen, die es am Wahltag gegeben haben mag – auf das ganze Land betrachtet nichts an den Ergebnissen. So wie ich das jetzt einschätze, ist das jetzige Wahlergebnis das finale.

Infokasten:

Ulrike Lunacek
ist Europa-Abgeordnete der österreichischen Partei Die Grünen und außenpolitische Sprecherin der Grünen/EFA – Fraktion. Das Kernteam der Mission bestand außer ihr aus acht Fachleuten, die sich mit 22 Langzeitbeobachter_innen von Oktober bis Mitte Dezember in Honduras aufhielten. Zusätzlich waren Kurzzeitbeobachter_innen sowie Botschaftsmitarbeiter_innen und fünf EU-Abgeordnete am Wahltag vor Ort, insgesamt 99 EU-Wahlbeobachter_innen.

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