Kuba | Nummer 372 - Juni 2005

Wandel durch Destabilisierung

„Powell-Report“ bestimmt US-Strategie gegen Kuba

Colin Powell ist als US-amerikanischer Außenminister längst nicht mehr im Amt. Sein vor einem Jahr vorgelegter Powell-Report bestimmt jedoch weiter die Grundzüge der US-amerikanischen Kuba-Politik.

Edgar Göll

Von einem kleinen Teil kubanischer Oppositionskreise wurde für den 22.5. zu einer „Versammlung zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Kuba“ nach Havanna eingeladen – unterstützt von hochrangigen US-Politikern. Mobilisiert wurde dafür in den USA von rechtsextremen Exilorganisationen wie der einst von Mas Canossa gegründete CANF mobilisiert. Der diplomatische Affront, dass Kuba eingeladene Politiker wie den CDU-Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz ausweisen würde, war absehbar. Selbst moderate Oppositionelle wie Osvaldo Paya sprachen sich gegen diese Art von Treffen aus. Denn diese aufwändige subversive Aktion kommt nicht aus heiterem Himmel.
Im Mai 2004 legte eine mit hochrangigen Vertretern aus allen relevanten US-Ministerien und Behörden besetzte „Commission for Assistance to a Free Cuba“ unter Leitung des damaligen US-Außenministers Colin Powell einen fast 500 Seiten umfassenden Bericht vor [http://state.gov/p/wha/rt/cuba/]. Dies ist ein weltgeschichtlich einmaliger Vorgang: Eine Weltmacht formuliert eine umfassende Konzeption zur Änderung eines anderen Gesellschaftssystems, ohne sich im heißen Krieg zu befinden. Ziel dieser generalstabsmäßigen und vielschichtigen Subversionsstrategie ist eine Bündelung und Forcierung der US-Aktivitäten gegen Kuba. Im Einsetzungsbeschluss der Kommission heißt der Auftrag „Kubas Übergang von stalinistischer Herrschaft zu einer freien und offenen Gesellschaft zu planen und Wege zu identifizieren, die Ankunft dieses Tages zu beschleunigen.“
Das Konzept umfasst strategische und taktische Empfehlungen für ökonomische, finanzielle, diplomatische und politische Maßnahmen. Zentrale Elemente sind unter anderem eine Vervielfachung der (offiziell veranschlagten) Finanzmittel auf 59 Millionen Dollar für die kommenden zwei Jahre und die Schaffung eines „Transition Coordinators“ im US-Außenministerium, der kontinuierlich „zivilgesellschaftliche“ Projekte und künftige Unterstützungsmöglichkeiten beim Regimewechsel in Kuba planen soll. „Wir werden nicht auf den Tag der kubanischen Freiheit warten, sondern für den Tag der Freiheit in Kuba arbeiten”, kündigte US-Präsident Bush an.

Praktische Auswirkungen

Im Zuge des Powell-Reports wurde eine US-Behörde aufgebaut, die weltweit Handel und Transfers mit Kuba überwacht und gegebenenfalls sanktioniert und abstraft. Diese US-Aktivitäten waren dann auch der Hauptanlass für Kuba, die seit des „periodo especial“ erlaubte Benutzung von US-Dollar wieder zu beenden – denn schließlich werden Handelspartner Kubas durch die US-Sanktionen gefährdet.
Im ökonomischen Bereich schlagen die immens eingeschränkten Möglichkeiten von Dollarüberweisungen (remesas) besonders negativ durch. Sie hatten sich zu einer Hauptdevisenquelle für Kuba gemausert und wurden nun durch die Powell-Aktivitäten massiv eingeschränkt. Dazu gehören auch Einschränkungen der Definition von Familie: Nur die engsten Verwandten dürfen noch überweisen.
Reisemöglichkeiten von US-BürgerInnen nach Kuba wurden inzwischen extrem eingeschränkt, die Bestrafung von Überschreitungen verschärft, US-Reisebüros in ihren Angeboten beschnitten, der WissenschaftlerInnenaustausch erschwert und selbst Publikationsmöglichkeiten gestrichen. Allem Anschein nach fließen zunehmend Dollars an NGOs in aller Welt, die gegen Kuba opponieren, wie diverse hochrangig besetzte Veranstaltungen nahe legen.
Seit der Revolution 1959 hat Kuba Attacken des Nachbarn im Norden erlitten und moniert – ohne Effekt in Washington. Kubas Geheimdienst übergab dem FBI1998 ein über 1000 Seiten starkes Memorandum, das Terroraktionen dokumentiert, die exilkubanische Gruppen in Miami seit Jahrzehnten gegen Kuba organisierten. Darin wurden für die neunziger Jahre 140 Anschlagspläne und ihre Hintermänner genannt. So detonierten 1997 in Havannas Touristenzentren Bomben und ein italienischer Tourist kam ums Leben. Das FBI sagte Kuba seine Hilfe zu, doch Maßnahmen gegen das Netzwerk in Miami blieben aus. Stattdessen wurden in Florida fünf Kubaner festgenommen, die das Material für das Memorandum gesammelt hatten. Statt exilkubanische Terroristen zu verhaften, wurden die fünf Autoren des Schriftstücks eingekerkert und saßen 31 Monate in Untersuchungshaft, bis ihr sieben Monate dauernder Prozess wegen Spionage eröffnet wurde. Weil die Fünf aber nur private Zirkel ausgekundschaftet hatten, konstruierte der Staatsanwalt eine „Verschwörung zur Spionage”: „Eines Tages hätten die Fünf die geheimen Informationen schon noch erhalten“, sagte er in seinem Plädoyer. Die Geschworenen folgten dieser Logik. Das Urteil: Doppelt lebenslänglich plus 15 Jahre, lebenslänglich plus 18 Jahre, lebenslänglich plus 10 Jahre, 19 Jahre und 15 Jahre.
Die kürzlich in Genf zu Ende gegangene 61. Sitzungsperiode der UN-Menschenrechtskommission wurde von der US-Regierung erwartungsgemäß zu einer Resolution gegen Kuba genutzt. Diesmal war das Verhalten der EU, die die USA wieder unterstützte, besonders interessant, denn Kuba hatte eine Resolution zur Untersuchung der Folterungen im US-Militärlager Guantánamo/Kuba vorgelegt – sie wurde u.a. von der EU abgelehnt.
ExpertInnen weisen immer wieder darauf hin, dass eine Verbesserung der Situation der bürgerlichen Freiheitsrechte auf Kuba primär von der aggressiven US-Politik behindert wird. So kommt Susanne Gratius (heute bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, einem Think Tank für die Außenpolitik der Bundesregierung, tätig) zu dem Fazit: „Erst der Wegfall der potenziellen Interventions- und Einmischungsgefahr seitens der USA wird eine demokratische Öffnung in Kuba überhaupt ermöglichen.“ Dieses imperiale Muster der US-Politik gegen unangenehme Länder ist gerade in Lateinamerika altbekannt und Kuba hat das ganze Spektrum erlitten und – bislang – überstanden.

The Empire strikes back

Die Schlachtordnung in den USA ist klar, die Truppen sind in Stellung gegangen. So sagte der führende US-Abgeordnete DeLay jüngst in einer Ansprache vor Exilkubanern in Miami: „Der Krieg gegen den Terror ist ein Krieg gegen das Böse, und deshalb ist er auch ein Krieg gegen Castro“. Und die neue Außenministerin Rice reihte Kuba in die Reihe der „Vorposten der Tyrannei“ ein. Der neue US-Botschafter bei der UN, John Bolton, extremer Kubagegner, warf der Insel unbegründet die Produktion von Biowaffen vor und trug zur Verschärfung der Spannungen bei. Und der notorische Castro-Feind Lincoln Diaz-Balart wurde kürzlich zum stellvertretenden Vorsitzenden eines wichtigen Kongressausschusses gekürt. Zahlreiche andere relevante Posten in der zweiten Administration von Bush jr. sind mit ähnlichem Personal besetzt. Und im US-Kongress wurde vor wenigen Tagen eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe zur Schwächung des „Castro-Regimes“, zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und zur Förderung der Demokratie in Kuba gebildet („Cuban Democracy Caucus“).
Der Powell-Report und die darin zum Ausdruck kommende Haltung gegenüber Ländern der Karibik und Lateinamerikas ist vor dem Hintergrund der Bush-Doktrin des „pre-emptive strike“ äußerst bedenklich. Die Wahlsiege progressiver Parteien in mehreren Staaten der Region und die zunehmende Opposition gegen die Politik der Bush-Administration – vor allem durch Venezuela und Brasilien – dürften das breite Spektrum der US-Interventionsszenarien nicht nur für Kuba relevant machen. In der New York Times hieß es zu Venezuela sogar, dass „die Pläne der Bush-Administration einen härteren Ansatz vorsehen, inklusive des Einschleusens von mehr Geld für Stiftungen, Firmen und politischen Gruppen, die sich gegen diese linke Regierung stellen.“
Und schließlich gibt es Hinweise, dass Umstürze in Osteuropa – von Rumänien bis hin zur „orangen Revolution“ in der Ukraine und vermutlich auch in Kirgisistan nicht ohne Impulse und geschickte Unterstützung der USA und von EU-Staaten erfolgt sind. So erscheinen die von Bundesregierung und EU (angetrieben durch Tschechien und Polen) praktizierten Doppelstandards in Sachen Menschenrechtskritik an Kuba folgerichtig: Sie unterstützen die aggressive völkerrechtswidrige Subversionspolitik der Bush-Administration gegenüber der Insel.
Das mag an den „Erfolgserlebnissen“ in Osteuropa liegen, worauf auch Powell im Vorwort seines Reports hinweist: „Wir haben dafür die Lektionen berücksichtigt, die wir bei der Unterstützung der Völker Ost- und Mitteleuropas und der früheren Sowjetunion bei ihrem Wandel von Kommunismus zu Demokratie und freiem Markt gelernt haben. Und genauso, wie es im Falle des Ostblocks gewesen ist, sehen wir für die multilateralen Finanzinstitutionen eine hervorragende Rolle bei der Transition Kubas.“

Kritik und Gegenwehr

Die subversiven Willkürakte stoßen aber immer mehr auf Kritik in den USA und der EU. So versucht die neue spanische Regierung eine Normalisierung der Beziehungen herbeizuführen. Und der frühere britische Handelsminister Brian Wilson sagte im August 2003: „Kritik [an Kuba] sollte niemals die Tatsache ignorieren, dass Kubas wichtigster Beitrag für die Welt darin besteht, den lebendigen Beweis dafür zu liefern, dass es möglich ist, Armut, Krankheiten und Analphabetismus in einem Land zu besiegen, das mit allen dreien mehr als vertraut war. Das ist ein ziemlich großer Nutzen. Und die Tatsache, dass dies angesichts anhaltender Feindschaft eines zwanghaft besessenen Nachbarn erreicht wurde, macht alles umso erstaunlicher.“
Und kürzlich startete Wolfgang Gehrcke (PDS) eine Unterschriftenaktion unter dem Motto „Für eine neue Kuba-Politik“, die sich an Bundestag, EU-Parlament und Rat der EU wendet. Die Forderung lautet, dass Europa Partner für Kuba sein solle: fair, gleichberechtigt und weltoffen. „Die Zeiten von Drohungen und Sanktionen gegen Kuba müssen endlich der Vergangenheit angehören.“ Doch wahrscheinlicher ist leider, dass nach dem diplomatischen Affront gegen Vaatz & Co die im Januar ausgesetzten EU-Sanktionen wieder in Kraft gesetzt werden.

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