Argentinien | Nummer 200 - Februar 1991

Warten auf die Begnadigung

Einen Monat und fünf Tage nach dem vierten Aufstand der Carapintadas im Dezember 1990 (LN 199) wurde das Urteil verkündet: Die Anführer erhielten unbe-fristete Haftstrafen (= lebenslänglich). Die Mehrzahl der Beteiligten kommt mit Arreststrafen davon. Bezeichnend sind die Enthüllungen über die Verbindungen zwischen der Regierung Menem und den Carapintadas, die im Laufe des Prozesses an die Öffentlichkeit kamen. Menem ignoriert jedoch diese Beschuldigungen und führt seine Politik der Restrukturierung des argentinischen Staates fort.

Roman Herzog

Oberst Seineldin -der Anführer der vorhergehenden drei Rebellionen gegen Alfonsin 1987 und 1988 -hatte die vollständige Verantwortung für die Rebellion am 3.Dezember übernommen und sich eigentlich schon auf die Todesstrafe eingestellt. Verurteilt wurde er am 8.Januar als “Motor und Kopf’ des vierten Aufstandes zusammen mit sechs anderen Anführern zu unbefristeten Haftstrafen, was lebenslänglich bedeutet bzw. bei guter Führung Entlassung nach 20 Jahren. Sechs weitere Hauptangeklagte kamen mit Haft zwischen 12 und 20 Jahren davon und zwei wurden freigesprochen. Alle Angeklagten wurden degradiert und aus dem Dienst entlassen. “Während meiner Amtszeit werden sie nicht begnadigt werden, sie haben keine Zukunft”, verkündete Präsident Menem, doch wer mag dies dem Weltrekordler in Sachen Begnadigung schon glauben.
21 Tote, über 200 Verletzte und 30 Millionen US-Dollar Sachschaden hatte der letzte Aufstand der Carapintadas gekostet. Bei dieser Rebellion gab es zum ersten Mal Tote auf Seiten der Militärs. Die loyalen Truppen reagierten von Anfang an kompromisslos und schlugen den Aufstand in weniger als 18 Stunden nieder. Das Agieren der ultranationalistischen Militärs war in den Augen der Heeresführung nicht mehr opportun, hatten doch die Militärs mit der Begnadigung und dem Zugriff auf die Innere Sicherheit längst ihre Hauptforderungen durchgesetzt.
Den entstandenen Sachschaden von 30 Millionen US-Dollar sollen die Carapintadas nun in einem zweiten Gerichtsverfahren angelastet bekommen. Für Menem war der Aufstand “ganz klar als Staatsstreich gedacht”. Als Beweis muß eine angebliche Liste, mit den Namen der jeniger, die die Carapintadas ermorden wollten herhalten. Der Geheimdienst will diese Liste, auf der alle hohen Regierungsbeamten und die Armeespitze stehen, gefunden haben.
Die Beteiligung an dem Aufstand lag mit über 500 Unteroffizieren über der bei den vorhergehenden Rebellionen. Doch diesmal waren es fast ausschließlich junge Soldaten, die sich erhoben. Die vorherigen Rebellen fanden sich diesmal auf der Seite der loyalen Truppen. Die 500 Unteroffiziere müssen lediglich mit milden Arreststrafen rechnen. Sie sind für den Apparat noch “reformierbar” und müssen sich jetzt gezielten Schulungen unterziehen. Der Kern der Carapintadas sollte hingegen ausgeschaltet werden.

Abstruse Konstruktionen und unliebsame Äußerungen

Innerhalb des Schnellgerichtsverfahrens gab es mehrere Besonderheiten: Nach den langen Auseinandersetzungen über die Zuständigkeit -zivile oder militärische Gerichtsbarkeit -für die Verurteilung der Aufständischen, setzten sich die Militärs mit einer abstrusen Konstruktion durch. Die Bundesgerichtskammer wertete die Tat als Rebellion. Nach dieser Definition hätte nur ein ziviles Gericht das Ur-teil fällen können, da das Delikt in den Geltungsbreich des “Gesetzes zum Schutz der Demokratie” gefallen wäre. Die Militärs plädierten auf Meuterei, um den Militärgerichten die Zuständigkeit zu geben. Dies forderte auch Präsident Menem. Der Oberste Gerichtshof führte nun die abstruse Konstruktion einer “rebellischen Meuterei” ein und überführte die Zuständigkeit an die Militärgerichte. Dahinter stand der Versuch, die negativen Enthüllungen möglichst gering zu halten und das Verfahren schnell durchzuziehen.
Der zweite heikle Punkt im Verfahren war die Anklageschrift des militärischen Staatsanwalts Carlos Horacio Domínguez. Er rollte mit der Anklage gegen die 15 Anführer die argentinische Geschichte seit 1973 auf. Ausgehend von der damaligen Amnestie für “5000 Terroristen”, die er als “großen politischen Fehler” bezeichnete, gab er seine Meinung über die letzte Militärdiktatur wieder: Zum ersten Mai in der argentinischen Geschichte griff ein General die Menschenrechtsverletzungen der Militärs während der 70er Jahre an und denunzierte Korruption innerhalb des Militärs. Dieser “Mangel an Führung und Professionalität” schwäche seit 20 Jahren das Militär und machte “Chaos und Anarchie unvermeidlich”. Schließlich verurteilte er aufs schärfste die Aktionen der Carapintadas und forderte für die Anführer die Todesstrafe. Gleichzeitig bezichtigte er zivile Politiker und Unternehmer, die Carapintadas unterstützt und zu ihren Aktionen motiviert zu haben.
Diese Äußerungen lösten in der Regierung und Militärführung erhebliche Unruhe aus. Der stellvertretene Verteidigungsminister bezeichnete seine Anklage als “Unverschämtheit”. Domínguez gehört keinem der Flügel im Heer an und ist innerhalb des Militärs eine umstrittene Figur. Um den “Schaden” gering zu halten, wurde der General dann im Januar nach seinen Äußerungen aus seinem Amt entlassen -so einfach geht das.

Der Pakt Menem-Seineldin

Aber die Bemerkungen des Staatsanwalts erhielten weitere Unterstützung durch die Aussagen der Angeklaten: Der Reihe nach erklärten alle Soldaten, daß hohe Regierungsvertreter im engen Kontakt mit den Carapintadas gestanden hätten.
Die Beziehungen zwischen Präsident Menem und Oberstleutnant Seineldin reichen weit vor Menems Amtsantritt zurück Beide debattierten in der Gewerkschaftszeitung “Acción Nacional“ über ihre Positionen. In der heißen Wahlkampfphase trat Menem nicht nur gemeinsam mit Seineldín auf, er ließ sich auch massiv von dem Einfluß Seineldíns im Militär unterstützen. Noch während des ersten Regierungsjahres verfolgten einige Minister ein Konzept zur Umstrukturierung der Streitkräfte, bei dem Seineldín zum neuen Oberstabschef ernannt werden sollte. Nach der Begnadigung des Putschoberst durch Menem im Oktober 1989 kam die Idee der Bildung einer “Schnellen Eingreiftruppe” zur Drogenbekämpfung auf, die Seineldin leiten sollte.

Die USA verlangten schließlich von Menem, daß er die Beziehungen zu dem Rebellen aufgeben solle, weil Seineldin ein ähnliches Profil aufweise wir Noriega in Panama. So brach auch der direkte Kontakt nach Menems erster US-Reise relativ schnell ab. Regierungsvertreter, wie z.B. Verteidigungsminister Romero hielten allerdings weiterhin den Dialog aufrecht.
Außerhalb der Regierung stehen ebenfalls eine Reihe von Zivilistlnnen in engem Kontakt mit dem Oberst. Menems Frau Zulerna Yoma hat nach eigenen Aussagen “eine sehr enge Beziehung” zu Seineldin. Auch andere Freunde Menems pflegen diesen Kontakt.
Delikat ist diese Angelegenheit vor allem deswegen, weil seit dem letzten Auf-stand massiv über die Beteiligung von ZivilistInnen an den Carapintadas spekuliert wird. Klar ist, daß die Nationalisten sich von UntemehmerInnen und anderen Privatpersonen ihre Aktionen -so auch den massiven Propaganda-Apparat-finanzieren lassen. Eine Namensliste hält die Regierung unter Verschluß, vor allem deswegen, weil sich eine Vielzahl engster Vertrauter der Regierung Menem darauf befinden sollen.
Ende Januar bestätigten dann die publizierten Aussagen Seineldins vor dem Militärgericht diese Spekulationen: Seineldin erläuterte explizit und mit vielen Details, daß er mit verschiedenen Regierungsvertretern und dem Präsidenten in engem Kontakt gestanden habe. “Menem wollte einen guten Verteidigungsminister haben, der das Heer beruhigen sollte. Ich schlug ihm Italo Luder und Humberto Romero vor. Dr. Menem sagte zu mir:’Akzeptiert.'”
Dennoch wirbelten all diese Enthüllungen im Zuge des Prozesses nicht genug Staub auf, daß der Präsident und seine korrupte Regierung mit ernsten Schwierigkeiten rechnen müssen. Sein Image ist vielmehr durch die kompromisslose Niederschlagung und den schnellen Prozeß aufgebessert, auch wenn er durch seine Amnestie Ende letzten Jahres sicherlich wieder an Popularität verloren hat.

Die neuen argentinischen Streitkräfte

“Argentinien hat am 3.Dezember die Gründung seiner neuen Streitkräfte erlebt”, verkündete Menem in seiner Rede zur Umstrukturierung des Militärs knapp eine Woche nach dem Aufstand. Mittels eines Präsidentendekrets will der Peronist im Zuge seiner allgemeinen “Modernisierung” der argentinischen Gesellschaft auch die Streitkräfte umgestalten. innenpolitisch soll endgültig “die Vergangenheit annulliert werden” und neben der militärischen Einheit das Verhältnis der Militärs zu den Bürgerinnen verbessert werden. Daneben soll über eine Föderalisierung ein Teil der Armee neu über das Land verteilt werden. Vor allem die dünn besiedelten südlichen Regionen des Landes sollen dadurch laut Menem “die Ansiedlung von BewohnerInnen fördern”. Die Daseinsberechtigung soll das Militär so künftig durch die nationale Verteidigung aller Ecken und Winkel des Landes erhalten. Darüberhinaus soll der gesamte Apparat durch Privatisierungen, Investitionen und Professionalisierung technisch modernisiert werden. Außenpolitisch spielen die Waffenträger “eine entscheidende Rolle zur Erhaltung des Friedens” und sollen als “strategische Säulen” die regionale intergration mitunterstützen.
“Die Streitkräfte haben niemals leichte Aufgaben übernommen, sie haben niemals risikolos gelebt und ihre Taten sind nicht mühelos erzielt worden. Aus diesem Grund rufe ich zu einer entscheidenden Schlacht, der wichtigsten und bedeutendsten Schlacht, die unsere Streitkräfte schlagen müssen.”
Ganz so unrecht hat der Präsident mit seinen Bemerkungen nicht, nur daß sich am 3. Dezember die Militärs nicht neugegründet haben, sondern sich vielmehr die alten Liberalen durchgesetzt haben, die nun konform mit der liberalen Wirtschaftspolitik des Präsidenten gehen. Weggefallen sind die nationalistischen Carapintadas als innermilitärischer Machtfaktor, auch wenn ihre Ideen sicherlich noch lange bleiben werden. Seineldin und seine Rädelsführer sitzen für’s erste im Knast. Aber vielleicht kommt dann ja in ein paar Jahren wieder einmal ein populistischer Präsident, der die Einheit der Streitkräfte und ihre Integration in die Gesellschaft dadurch herstellen will, daß er erst einmal alle Verbrecher begnadigt.

Kasten:

La Tablada-Gefangene zum Putschvenuch
Am 3.Januar 1989 überfiel eine Gruppe des “Movimiento Todos por La Patria” (MTP) die Kaserne von La Tabada, um nach eigenen Angaben einen bevorstehenden Putsch zu verhindern. (s. LN 197,180,181) Die Begründung für ihre Aktion war, da in einem Komplott zwischen dem zukünftigen Staatschef Menem und den Carapintadas der damalige Präsident Alfonsin
gestürzt und die demokratische Verfassung außer Kraft gesetzt werden sollte. In einem Gerichtsverfahren unter der Regie der Militärs wurden sie zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.(s. LN 186) Im folgenden dokumentieren wir nur ihre Stellungsnahme zu dem erneuten Aufstand der Carapintadas, der ein anderes Licht auf ihre Argumentation wirft.
“Knast von Caceros, 04.12.1 990”

“Die politischen Gefangenen von La Tablada wollen erreichen, daß das Volk Fakten erfährt, vom Montag, dem 3.Dezember 1990. 1) Der Putschversuch der Carapintadas hat die Realität bestätigt: Die Denunzierungen, die gemacht wurden, waren wahr. Es war kein internes Problem der Armee, wie in diesem Moment behauptet wurde, sondern es umfaßte die gesamte Gesellschaft, wie es Präsident Carlos Menem anerkannt hat. Diese Situation wie die letzte Rebellion der Carapintadas manifestiert ein weiteres Mal, daß das Problem verdeckt war durch die Schwäche der Alfonsín-Regierung, durch die Spitze der Armee, durch die sensationalistische Presse sowie durch die Führungen der Parteien. Sie konnten nicht zulassen, daß eine revolutionäre Gruppe den Putsch vom 23.Januar 1989 verhindern könnte. Das zuzulassen, hätte das gleiche bedeutet, .wie seine Schwächen zuzugeben, das Lavieren zwischen den Bremsen der Übermacht des Militärs und dem Versuch, die ernsten Probleme des Volkes zu lösen. 2) Wir denunzieren noch einmal wie falsch die Beweise sind, die sie benutzen, um uns zu bestrafen. Diese Beweise wurden erbracht, von dem Pfarrer Moisés Jardin und den Arcangeles (paramilitärische Gruppierung, Anm. LN), die Verbunden sind mit den Carapintadas. Die aktive Teilnahme Jardins an dem Aufstand vom 3.Dezember, seine Präsenz der “Albatros”-Gruppe von der Hafenpräfektur (Hauptstützpunkt der Carapintadas, Anm. LN) bestätigt den Grund unserer Anklage. 3) Wir denunzieren auch, daß es eine psychologische Kampagne von Gerüchten und Falschmeldungen gegen die MTP und Gorriaran (Anführer des ERP, linke Guerilla der 70er Jahre, Anm. LN) gegeben hat in den Tagen vor dem 3.12.1990, an der Geheimdienste sowie nahestehende Gruppen der Carapintadas beteiligt waren. Z.B. die Veröffentlichungen eines Ministers aus der Provinz Buenos Aires, Díaz Bancaiari, und die letzte Nummer der Zeitschrift E1 Porteno. Hierin haben sie uns in Sachen beschuldigt, mit denen wir nichts zu tun haben und von einer möglichen Flucht von uns gesprochen. Mit diesen Lügen bringen sie unsere Sicherheit und unsere physische Integrität in Gefahr und schaffen ein günstiges Klima für einen Putschversuch. 4) Wir bekräftigen, daß diese Aufstände mit politischen Allianzen und Unternehmen zählen und mit der absoluten Stille von Ubaldini (Gewerkschaftsführer, Anm. LN) und anderen Gewerkschaftssektoren, gegenüber anderen so schwerwiegenden Ereignissen wie dem vom 3.Dezember. 5) Wir können nicht die Repression gegen die Carapintadas vergleichen mit der brutalen Repression der wir ausgesetzt sind. Diese haben die legalen Garantien zugesagt bekommen, die wir entbehrten. Ohne Richter, mit Ermordeten, brutal Gefolterten und Genossen, die immer noch verschwunden sind, weigert sich die Justiz trotzdem noch, die schweren Vergehen an den internationalen Konventionen und Menschenrechten zu untersuchen. 6)Noch einmal fordern wir die Untersuchung der Akten und der Umstände, in denen unsere Genossen ermordet wurden und daß Iván Ruiz, Jos6 Diaz, Juan Murua, Carlos Burgos und Carlos Samojedny lebend wieder auftauchen und wir fordern unsere Freiheit als ein Akt der Gerechtigkeit.”

“Politische Gefangene von La Tablada”

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