Was bleibt von der Revolution?
A Letter to the Future – die kubanische Revolution als Familiengeschichte
Es scheint, als gäbe es keine Filme über Kuba, die sich nicht auf die eine oder andere Weise zur politischen und gesellschaftlichen Situation äußern, sei es als Dokumentarfilm oder Fiktion, solidarisch oder ablehnend. A Letter to the Future ist da keine Ausnahme. Dennoch hat es der brasilianische Regisseur Renato Martins vermieden, ein politisches Pamphlet zu machen und stattdessen ein sehenswertes kleines Werk geschaffen. Solidarisch, aber vielschichtig ließ Martins seine Protagonist_innen, die Familie Torres, ihre Familiengeschichte von vier Generationen bis in die Gegenwart erzählen. Seit 2004 begleitete das Filmteam die Familie mehrere Jahre.
Im Zentrum des Films steht Miriam Torres, die als junge Frau die kubanische Revolution erlebte. Bei ihr wohnen ihr 90-jähriger Vater, „Pipo“ Torres, und ihre Tochter, Yulmi, mit den Kindern Diego und Cristina. In dieser Spannbreite von Lebenserfahrungen über mehrere Jahrzehnte entwickelt der Film ein Gesellschaftsbild Kubas. Die Kamera agiert als intime Zeugin der Familie und ihrer persönlichen Reflexionen, ohne Effekt heischende Szenen einzufangen oder zu kommentieren. Gesten und Worte, die als scheinbar zufällig eingefangen wurden, lassen die Zuschauer_innen zu Gästen der Torres werden und deren Gedanken, Überzeugungen, Erinnerungen, aber auch Zweifel und Alltäglichkeiten miterleben.
Renato Martins vermeidet eine einseitige Darstellung, indem er weitere Protagonist_innen einführt. Zum Beispiel Luis Alberto Ramos, der als Fahrer für ein Ministerium arbeitet. Ein nachdenklicher Mann, der sich der Schwierigkeiten bewusst ist, dennoch an die Revolution glaubt, auch wenn er weit weniger gut situiert ist als die Torres. Ein paar Jahre später ist er arbeitslos. Die Zweifel über die Zukunft stehen plötzlich zentral im Raum.
Renato Martins lässt Geschichten erzählen, die so verschieden sind wie seine Protagonist_innen, die in Havanna in unterschiedlichen Milieus leben, jedoch das Ideal der kollektiven Solidarität teilen. Auch entgeht er der stereotypen Darstellung der Stadt mit den nostalgisch ruinösen Häuser des historischen Stadtzentrums. Stattdessen hat die Kamera auch jenseits der Interviews starke und gleichzeitig alltägliche Bilder eingefangen.
Allerdings fehlen zeitliche und politische Bezüge zu aktuellen Ereignissen und Reformen, die den persönlichen Geschichten mehr Kontext geboten hätten. Am Ende scheint vieles offen – angesichts der Zweifel über eine bessere Zukunft vor allem für die Jugend. Verhalten klingt jedoch Hoffnung an, als der dreizehnjährige Diego einen Aufsatz über seine Träume und die Zukunft schreibt.
Es ist diesem Film zu wünschen, dass er inmitten der vielen Produktionen über Lateinamerika die ihm angemessene Aufmerksamkeit erhält.
A Letter to the Future // Renato Martins // Brasilien/Portugal/Deutschland 2003-2011 // farbfilm verleih // 85 Minuten // www.alettertothefuture.de