Nummer 505/506 - Juli/August 2016 | Tanz

WAS SIE BEWEGT

Die tänzerischen Odysseen der Yanel Barbeito

Von Jannik Deters

Zum Treffen mit ihrem Idol kam es nicht mehr. Pina Bausch starb vor sieben Jahren. Das sei einer ihrer Träume für die Zukunft, hatte Yanel Barbeito wenige Monate zuvor gesagt, und sei es nur eine flüchtige Begegnung, ein Händedruck. Die Choreografin Bausch führte den Tanz und das Theater zusammen wie wohl keine Zweite. Vor einem Jahr gab die Post eine Sonderbriefmarke zu ihren Ehren heraus, darauf ein Zitat von ihr: „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt.“

Selbstbewusst auf der Bühne: Yanel Barbeito (Fotos: Jo Kirchherr)

Man kann diese Aussage gut auf Yanel Barbeito beziehen. Die 1972 in Havanna geborene Frau mag sich in ihren Bewegungen von den meisten Menschen unterscheiden, was sie umtreibt ist allerdings mehr als bei vielen anderen. Ihre Projekte führten sie nach Deutschland, Spanien und Österreich, in Kuba gehört die Tänzerin und Choreografin zum TV-Ballett des Staatsfernsehens TVC.
Gerade war sie auf kleiner Deutschland-Tournee, mit dem mixed-abled-Ensemble „din-a13“ trat sie in Köln, Berlin und Bonn in dem Stück „Updating You“ auf. Auf der Bühne: Fünf Menschen mit unterschiedlichen Talenten, die sich dem Sex-Konsum unserer Gesellschaft mit ihren flexiblen Beziehungsgeflechten im virtuellen Raum tänzerisch annähern.
„Your nothing but a worthless thursty whore“ – deutliche Worte, die da unter Beteiligung eines Videokünstlers an die Wand geschmissen werden. „Wir beschäftigen uns mit den zunehmenden Abhängigkeiten vom digitalen Netz, mit dem Zwang, ständig in den sozialen Medien präsent sein zu müssen“, beschreibt die verantwortliche Choreografin Gerda König ihre Intention.
Zu dem Engagement verhalf Yanel Barbeito ein Treffen bei Sasha Waltz zu Hause. „Die Reflektionen und Kommentare der deutschen Lehr­meisterin zu meinem Lebenslauf und meinem Tanz brachten den Durchbruch, im din-a13 auf mich zu setzen“, sagt Barbeito.
Auf der Bühne sieht man ihr, neben einem Mann im Rollstuhl, am ehesten eine körperliche Einschränkung an. Es fällt ihr schwer, länger innezuhalten. Bei ihrer Geburt erlitt Barbeito eine Lähmung des Gehirns, in dessen Folge sie als kleines Mädchen ihre Arme und Beine nicht bewegen konnte. „Zu dieser Zeit war die Neurologie in Kuba nicht sehr weit. Dazu kam, dass alternative Medizin als etwas Dunkles angesehen wurde“, sagt Barbeito, die ihre körperliche Beweglichkeit woanders entdeckte – in der DDR.
1979 brachten ihre Eltern sie in ein Krankenhaus nach Berlin-Buch. Die Ärzte behandelten sie, indem sie Barbeito Kunst und Kultur nahebrachten. Malen, Chor, Theater – Tanz, das war es. „Deutschland ist meine zweite Heimat. Wegen der Tanz-Therapie lernte ich, zu laufen und Deutsch zu sprechen“, sagt Barbeito und ergänzt: „Das konnte ich vorher in Kuba sieben Jahre lang nicht, in denen ich bewegungsunfähig war.“
Beim Tanz blieb sie auch nach ihrer Rückkehr. Sie studierte Jahre später, als es die DDR nicht mehr gab, an der Universität der Künste in der kubanischen Hauptstadt. Stets hatte sie jedoch mit Einschränkungen in ihrem Alltag zu kämpfen: „Kinder wie ich gingen in Kuba nicht auf die Straße. Sie nahmen keinen Bus.“
Eine Odyssee sei es gewesen, bis sie ins TV-Ballett, das zweitälteste Tanzensemble des Landes, aufgenommen wurde und ihren Master beginnen konnte. „Ich konnte erst anfangen, als die Inklusion auf diesem Hochschul-Niveau institutionell beschlossen wurde.“ Ein Fernsehspot, in dem sie als Tänzerin bei der Arbeit zu sehen ist, habe zudem dazu geführt, dass „physische und mentale Unterschiede kulturell und sozial“ mehr respektiert werden.
Prof. Dr. med. Lothar Schweigerer, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum in Berlin-Buch, das heute anders heißt als zu DDR-Zeiten, sagt in einem Werbevideo: „So ungewöhnlich das jetzt klingen mag. Die Krankheit gibt den Kindern manchmal auch etwas, indem sie also doch schneller reifen als ihre Altersgenossen.“ Dem stimmt Barbeito zu, aber: „Der Reifeprozess dieser Kinder hängt immer vom Einklang verschiedener Faktoren des menschlichen Körpers und sozialer Prozesse ab.“
In Kuba fehle es an den nötigen Ressourcen, um die Bevölkerung für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren. Auch in der Kunst und besonders auf der Bühne brauche es professionelleres Verständnis, um Diversität herstellen und von ihr profitieren zu können. Die fortbestehende US-Blockade sieht sie kritisch. „Was können wir von einer Gemeinschaft erwarten, die in jeder Hinsicht unter ständigem Druck steht?“, fragt Barbeito.
In Spanien, wo Barbeito derzeit lebt, ist das Arbeitsumfeld nicht leichter. „Der Tanz wird nicht als Beruf und Kunst wertgeschätzt“, sagt sie. Die wenigen Gruppen, die es gebe, bekämen geringe finanzielle Unterstützung. Auch hapere es an der Inklusion von Menschen, die nicht der Norm entsprechen.
In Deutschland falle es den verantwortlichen Choreograf*innen und Direktor*innen schwer, einen Konsens entlang der Unterschiede zu finden, sagt Barbeito. „Sie wissen nicht, wie sie diese Qualitäten und Charakteristika angemessen einbinden.“ Dennoch sind sie und ihr Mann Omar Gómez an weiteren Engagements in Deutschland interessiert. „Ihre Zukunft in Europa ist sehr ungewiss. Sie ist gemeinsam mit ihrem Mann sehr mittellos in Europa angekommen und hat nun auch nach diesem Tanzprojekt ohne weitere Engagements kaum eine Bleibeperspektive“, sagt die Produktionsleiterin von „Updating You“, Anika Bendel.
In ihrem Heimatland beträgt ihr Monatsgehalt umgerechnet 20 Euro, sagt Barbeito. „Damit kann ich kaum Geld für eine Internetverbindung ausgeben.“ Selbst wer es sich leisten kann, muss mit Störungen leben. Es ist eines der Probleme, das viele Kubaner*innen stört: wegen des mangelhaften Zugangs zum Internet von aktuellen Informationen abgehängt zu sein.
Ein weiteres – erkanntes und ungelöstes – Problem, das Barbeito beschäftigt, ist die Bürokratie und Institutionalisierung Kubas. „Wenn du nicht den Institutionen in Kuba angehörst, ist es unmöglich, sich im kubanischen Theater zu präsentieren“, sagt Barbeito. Eines der besten Beispiele, den Mainstream zu hinterfragen, ist für die Kubanerin der Film Fresa y chocolate aus dem Jahr 1993, „ein exzellentes Plädoyer für sexuelle Vielfalt und gegen die Unterdrückung durch Volk und Regierung.“

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren