Was würde Romero dazu sagen?
Das RomeroHaus in Luzern wird 20 Jahre alt – ein Gespräch mit dem Leiter Toni Bernet-Strahm über die Aktualität eines unbequemen Vorbildes
Herr Bernet, Ihr Haus trägt den Namen eines Erzbischofs, der vor über 25 Jahren in El Salvador ermordet wurde. Spricht der Name Óscar Romero heute noch die Menschen an, die Sie erreichen wollen?
Das RomeroHaus wurde von den Patern der Missionsgesellschaft Immensee eingerichtet, die stark von der Befreiungstheologie in Lateinamerika beeinflusst waren. Es sollte teils zur Ausbildung des eigenen Nachwuchses dienen, für Leute, die in einen Auslandseinsatz gehen und sich hier in Grundlagenkursen vorbereiten können, und es war immer auch gedacht für die Sensibilisierungsarbeit in der gesamten deutschen Schweiz. Das war in den achtziger Jahren, kurz nach Romeros Ermordung 1980.
Erzbischof Óscar Romero war durch sein mutiges Auftreten in El Salvador auch in Europa bekannt geworden; seine Ermordung hat die Bekanntheit noch gesteigert. Heute ist die Befreiungstheologie zwar medial nicht mehr so präsent wie damals, aber wir sind überzeugt, dass das Programm von Romero heute für uns genauso aktuell ist wie zu der Zeit, als man dieses Haus gegründet hat.
Worin besteht denn die Aktualität von Romero für Schweizerinnen und Schweizer?
Jedes Jahr um den 24. März herum gedenken wir der Ermordung Romeros. Im Jahre 2005, zum 25. Jahrestag, zeigten wir in einer Tagung auf, was alles im Fall Romero noch nicht aufgearbeitet ist: Es gab ja bisher keinen offiziellen Gerichtsprozess, in den USA zwar einmal eine Zivilklage, aber sonst sind die Mörder von Romero entweder bereits gestorben, oder sie leben noch und sind in Freiheit. Der Vatikan betreibt derzeit die Heiligsprechung Romeros und möchte aus ihm einen frommen Mann machen, der schon immer für die Armen da war. Aber das Politische möchte man dabei möglichst ausblenden. Am Schluss dieser Tagung zum Romero-Tag haben wir einige prominente Leute gefragt, wo sie heute die Aktualität von Romero für uns in der Schweiz sehen. Bezeichnenderweise haben alle Statements ähnlich gelautet: Romero würde heute wohl den Finger auf unsere Asylpolitik legen. Die Schweiz ist heute ein klassisches Immigrationsland. Romero würde kritisieren, wie wir mit den Menschen, die zu uns kommen, umgehen. Die Menschenrechte gelten für alle, ob mit oder ohne Schweizer Pass.
Gut, und wie haben Sie reagiert?
In diesem Jahr haben wir am RomeroTag eine Tagung zum Thema Asylpolitik veranstaltet. Da kamen engagierte Leute, die im Anschluss an die Gespräche ein Komitee gegründet haben und sich in die im September anstehende Abstimmung gegen das neue verschärfte Asylgesetz einbringen wollen.
Sprechen Sie mit solchen Aktivitäten in der Schweiz mehr Menschen an als die, die sich ohnehin mit Romeros Idealen identifizieren?
Das RomeroHaus gilt in linkskatholischen Kreisen, aber auch
konfessionsübergreifend, als ein Haus, das für Nord-Süd-Fragen einsteht. Ich glaube, der Wert unserer Bildungsarbeit ist nicht nur der, dass wir hier Kurse, Veranstaltungen, Treffs von Solidaritätsgruppen haben. Ebenso wichtig ist, dass wir nach wie vor befreiungstheologische Ansätze verteidigen. Und auch das gehört zu unserer Wirkung: nicht umsonst haben wir den Lebensraumpreis des Kantons Luzern erhalten, mit der Begründung, das RomeroHaus würde hartnäckig und mit großem Engagement Fragen ansprechen, die für unsere Gesellschaft überlebenswichtig sind, aber häufig wenig beachtet werden.
Wie setzen Sie Ihre Anliegen konkret um?
Durch Kurse und Veranstaltungen. Mit „fairplay: weltweit!” bieten wir einen Kurs an, der jüngeren Leuten eine Einführung in entwicklungspolitische Themen wie Ökonomie, Globalisierung, Migration gibt. Der Kurs „AikA“ ist eine „Ausbildung für Interkulturelle Animation”, eine Art Projektmanagement, um Integrationsarbeit auf niedrigem Level in der Schweiz anzuregen. Das sind längere Kurse, die zum Teil über ein Jahr lang dauern, zum Teil drei, vier Monate. Daneben gibt es ein ausgearbeitetes Veranstaltungsprogramm, es gibt Kunstausstellungen und Fotoreportagen im Haus. Alle zwei Jahre verleihen wir den Nord-Süd-Preis. Er geht an Projekte, die Süden und Norden miteinander verbinden und an Menschen deren Engagement mehr Aufmerksamkeit gebührt.
Der Preis deutet es bereits an, Sie arbeiten nicht nur an der Sensibilisierung der Schweizer Bevölkerung, sondern auch ganz konkret in Lateinamerika. Welchen Grundsätzen folgen Sie dabei?
Die Bethlehem Mission Immensee (BMI), die Trägerin des RomeroHauses ist, vermittelt Fachpersonen für die personelle Entwicklungszusammenarbeit. Sie arbeitet dabei immer zusammen mit einer lokalen Partnerorganisation. Wir machen keine eigenen Projekte, sondern schließen uns Engagements an, die von Partnerorganisationen zusammen mit Benachteiligten in Lateinamerika, Afrika oder Asien selbst geplant werden. Erst wenn ein Bedürfnis nach einer Schweizerischen Fachperson da ist, werden die Verträge gemacht. So gibt es BMI-Einsätze in befreiungstheologisch ausgerichteten Pfarreien oder in Nichtregierungsorganisationen, die beispielsweise eine Journalistin brauchen oder Solartechnik einführen wollen. Wir schicken hiesige Fachleute in einen mindestens dreijährigen Einsatz. Diese Fachleute sind dann für uns wiederum Kontaktpersonen, wenn wir hier in der Schweiz Sensibilisierungsarbeit machen. Die BMI gibt auch die Zeitschrift Wendekreis heraus und organisiert Kampagnen, zum Beispiel zur Vertreibung der Landbevölkerung in Kolumbien. Unsere Aktivitäten möchten sich daran messen lassen, welche Auswirkungen sie für die Ärmsten haben. Was ja auch aus der befreiungstheologischen Arbeit kommt: Alle Entscheidungen, kirchliche oder politische, müssen immer wieder gemessen werden an denen, die von diesen Entscheidungen betroffen sind, und da korrigiert werden, wo sie Leute benachteiligen.
Der Wandel im Ost-West-Konflikt 1989/90 hat für viele, die in der Nord-Süd-Arbeit beschäftigt waren, gravierende Folgen gehabt: das politisch interessierte Publikum blieb weg, Initiativen, Projekte, Zeitschriften gingen ein. Warum hat das RomeroHaus diesen Bruch überstanden?
Weil die Probleme weiterhin bestehen. Ich meine nicht, dass es wirklich weniger Interessierte gibt. Sicherlich hatten auch wir nach 1990 einen Besucherrückgang zu verzeichnen. Aber wenn ich mir jetzt unsere Veranstaltungen anschaue, bin ich überrascht von der regen Beteiligung. Vielleicht hat sich der Weg verändert, wie man zum politischen Engagement kommt. Heute unternehmen viele Menschen erst einmal eine touristische Reise nach Lateinamerika, oder ihr Interesse entsteht durch kulturelle Erlebnisse, Tanz, Musik. Aber schließlich landen sie doch bei der Politik. Sehen Sie sich doch die großen Sozialforen in Porto Alegre an, die ihr Echo hier in der Schweiz mit den Gegenveranstaltungen zu den Wirtschaftsgipfeln des World Economic Forum in Davos finden. Da findet eine ganz beachtliche Politisierung statt. Heute ist das Interesse nicht mehr so stark auf eine konkrete Region konzentriert, zum Beispiel auf Lateinamerika oder ein spezielles Land. Heute besteht eher das Bedürfnis, Hintergrundinformationen zu erhalten, wenn irgendwo ein aktueller Konflikt auftaucht. Wir laden regelmäßig Journalisten ein, die gerade aus Konfliktgebieten zurückkehren. Da kommen dann viele Besucher und wollen mehr wissen als das, was sie aus Fernseh- oder Rundfunksendungen erfahren. Und dann denke ich gern von der Wirkung her, die eine Veranstaltung bei uns hat. Bei den angesprochenen Diskussionsrunden zur Asylproblematik etwa, da waren es nicht 200, sondern rund 60 Personen. Aber die Wirkung war die Gründung eines Komitees, das zu den Abstimmungen im September aktiv wird. So etwas ist wichtiger, als dass das Haus prall gefüllt ist.
Inwiefern sind Sie institutionell in der Lage, Dinge zu bewegen – einmal abgesehen von den Aktivitäten, die hier im Haus laufen? Kooperieren Sie mit den Hilfswerken, mit dem Außenministerium?
Die Bethlehem Mission arbeitete beispielsweise bei der letzten Kampagne zur Aidsproblematik im südlichen Afrika mit dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen in der Schweiz (Heks) zusammen, damit wir auch ökumenisch auftreten können: Das ist in der Schweiz heute eine politische Voraussetzung, um ernstgenommen zu werden. Wir agieren auch sonst in einem größeren Umfeld, haben enge Verbindungen zum Fastenopfer, zur Caritas, zur Erklärung von Bern. Wir fragen immer wieder, was können wir hier in der Schweiz tun, und welche Themen sollen wir aufgreifen. Nur wenn man sich zusammentut, kann man etwas bewirken.
KASTEN:
12.-14. Mai – Veranstaltungswochenende zum Jubiläum
Freitag, 12. Mai: Lateinamerika:
*Gespräche u.a mit Franz Hinkelammert Ökonom/Costa Rica; den BefreiungstheologInnen Christiane E. Blank und Renold J. Blank, Schweiz/Brasilien; Irene Rodríguez, Argentinien/Schweiz und der grünen Sozialstadträtin Monika Stocker * Lesung mit Eveline Hasler, „Paradies im Kopf – Destination Ibicaba” * Musik von Nelson Rojas/Bulenga, Venezuela und Chico César, Brasilien
Information: www.romerohaus.ch
Ort: RomeroHaus, Kreuzbuchstrasse 44, 6006 Luzern, Fon: 0041-41/3757272 * Tageskarte 40 Fr., Dreitageskarte 120 Fr., unter 16 Jahre gratis