Honduras | Nummer 499 - Januar 2016

Wer ließ Margarita Murillo ermorden?

Der Mord an einer Aktivistin aus Honduras bleibt weiter ungesühnt

Vor über einem Jahr wurde die honduranische Aktivistin Margarita Murillo ermordet. Immer noch gibt es keine Ermittlungsergebnisse, die zu den Täter*innen oder ihren Auftraggeber*innen führen. Genauso wenig aufgeklärt ist die Serie von Morden, die die Ermittlungen überschattet.

Susanne Gärtner

Vor über einem Jahr wurde die honduranische Aktivistin Margarita Murillo ermordet. Immer noch gibt es keine Ermittlungsergebnisse, die zu den Täter*innen oder ihren Auftraggeber*innen führen. Genauso wenig aufgeklärt ist die Serie von Morden, die die Ermittlungen überschattet.

Margarita Murillo kümmerte sich gerade um ihre Gurkenpflanzen, als sie auf ihrer Parzelle in Villanueva im Departamento Cortés erschossen wurde. Als Kenia Murillo, die Tochter der Ermordeten, dort später am Tag eintraf, gab es keine Spuren am Tatort: keine Patronenhülsen, keine Fußabdrücke, keine Zigarettenkippen. Und nur ein einziger Zeuge gab an, aus der Ferne Schüsse gehört zu haben.
Dass der Mord an Margarita Murillo einen politischen Hintergrund hat, liegt angesichts des politischen Engagements der 56-Jährigen nahe. Sie war eine zentrale Figur der honduranischen Frauen- und Kleinbäuer*innenbewegung (siehe Kasten). Murillo hatte sich zum Zeitpunkt ihrer Ermordung aber aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückgezogen und widmete sich dem Gemüseanbau. Vielleicht war der politische Rückzug der Grund dafür, dass sich Murillo weniger vorsichtig bewegte als sonst, glaubt ihre Tochter. Dennoch begleiteten ihre Angehörigen sie gewöhnlich zu ihrer Parzelle. Nur am Morgen ihrer Ermordung war sie zu ungeduldig um zu warten, dass jemand Zeit hatte. Murillo hatte Anrecht auf staatliche Schutzmaßnahmen, die jedoch – wie in vielen Fällen in Honduras – nicht umgesetzt wurden.
Wer ließ Margarita Murillo ermorden? Staatliche Akteure, weil sie eine politische Identifikationsfigur der sozialen Bewegungen aus der Welt schaffen wollten? Großgrundbesitzer*innen, die um Land kämpfende Kleinbäuer*innen einschüchtern wollten? Die Mara, denen Murillos Fähigkeit, ihre Nachbarschaft zu mobilisieren, nicht gefiel? Oder ein Zusammenschluss mehrerer Interessengruppen? Einige von Murillos politischen Weggefährtinnen vermuten ein politisches Interesse hinter dem Mord. „Das Profil unserer Compañera lässt definitiv darauf schließen, dass staatliche Akteure in den Mord verwickelt waren“, meint Suyapa Martínez vom Zentrum für Frauenstudien (CEM-H). Auch die Serie von Morden, die auf die Erschießung von Murillo folgte, deute darauf hin, dass Beweise und Zeug*innen vernichtet werden sollten. „Der mutmaßliche Auftragsmörder von Margarita Murillo wurde tot aufgefunden, danach wurde die Staatsanwältin, die mit dem Fall betraut war, ebenfalls ermordet und auch der in ihrem Fall Beschuldigte wurde im Gefängnis umgebracht,“ berichtete Martínez.
Die im Mordfall Murillo gemeinsam ermittelnden Staatsanwältinnen Marlene Banegas und Patricia Eufragio wurden regelrecht hingerichtet, als sie am 10. Oktober 2014 in einem Auto ihrer Dienststelle unterwegs waren. Marlene Banegas hatte über 50 Schusswunden, als sie starb. Eufragio war eigentlich für Umweltdelikte zuständig, war aber eine Woche vor ihrem Tod in Banegas Büro gewechselt, um diese bei den Ermittlungen zu unterstützen. Am 7. Juli 2015 wird der für den Mord an Banegas und Eufragio beschuldigte und verhaftete David Edgardo Ordóñez, der der Mara 18 angehört haben soll, erdrosselt in einem provisorischen Gefängnis der Spezialeinheit COBRA in Tegucigalpa aufgefunden. Ob der Mord an den beiden Staatsanwältinnen mit dem Fall Murillo zu tun hat, bleibt Spekulation. Es gibt auch Vermutungen, die diesen in Zusammenhang mit ihren Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen stellen.
Nach dem Tod der Staatsanwältinnen ruhten die Ermittlungen etwa acht Monate lang. Seit Januar 2015 ist nach einer Umstrukturierung des Justizapparats nicht mehr die Nationale Direktion für Kriminalermittlungen (DNIC) für den Fall zuständig, sondern das Technische Büro für Kriminalermittlungen (ATIC). Auf einer Gedenkveranstaltung zum einjährigen Todestag von Margarita Murillo im August 2015 räumte der Direktor der ATIC, Ricardo Castro, Fehler in den bisherigen Ermittlungen ein. Castro weckte gleichzeitig Hoffnungen, bald ein Ergebnis präsentieren zu können. Als das ATIC den Fall übernommen hatte, fast acht Monate nach dem Mord, sei der Fall ein einziges Durcheinander gewesen. „Je länger die Ermittlungen dauern, umso flüchtiger wird die Wahrheit“, gab Castro zu bedenken. Er betonte, wie wichtig es sei, den zivilgesellschaftlichen Organisationen Rede und Antwort zu stehen, wie besorgniserregend die Zunahme der Gewalt gegen Frauen seit dem Jahr 2005 sei. Konkrete Antworten im Fall Murillo gab er nicht. Die einzige Basis der bisherigen Ermittlungen scheinen die in Murillos Telefon gespeicherten Daten und Anrufprotokolle zu sein.
Marlene Banegas habe ihr gesagt, dass ihre Mutter in dem Monat vor ihrem Tod beobachtet worden sei. Und zwar vom Mitglied einer Mara, aber auf Veranlassung von politisch und wirtschaftlich einflussreichen Personen, erklärt Kenia Murillo. Nur das Bandenmitglied, das sie überwacht haben soll, sei inzwischen ebenfalls ums Leben gekommen. Und Banegas scheint ihr Wissen über die Bespitzelung mit in den Tod genommen zu haben.
Es sei wichtig, weiter Druck auf die Staatsanwaltschaft auszuüben, damit sie den Fall aufklären und nicht die erstbeste Person beschuldigen, um ein Jahr nach dem Verbrechen endlich Ergebnisse zu präsentieren, sagt Suyapa Martínez vom CEM-H. Für Kenia Murillo ist dies nicht immer einfach. Ihre drei Geschwister leben in den USA, der Lebensgefährte von Margarita Murillo ist gesundheitlich zu stark angeschlagen, um sie zu unterstützen. Kenia Murillo erhält Drohungen, damit sie von dem Fall ablässt.
So bleibt der Mord an Margarita Murillo bislang unaufgeklärt, ebenso wie der Doppelmord an Banegas und Eufragio. Statistisch betrachtet, grenzte es an ein Wunder, wenn die wahren Täter*innen jemals gefunden würden: Laut Regierungsangaben bleiben 93 Prozent der Frauenmorde in Honduras straflos. Nach Angaben von Frauenorganisationen liegt diese Quote noch ein paar Prozentpunkte höher. Dass der Frauenmord 2013 als spezieller Straftatbestand mit Freiheitsstrafen von 30 bis 40 Jahren ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, ändert daran wenig, solange die Ermittlungskapazitäten fehlen. Bis Juli 2015 wurde nur ein Mord an einer Frau unter Anwendung dieses Paragrafen verurteilt. Und auch Ermittlungskapazitäten alleine werden nicht reichen, solange engagierte Jurist*innen um ihr Leben fürchten müssen.

Hintergrundinformationen auf Spanisch:
https://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/reportaje_escrito_margarita_murillo_final_agosto2015.pdf

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