Lateinamerika | Nummer 365 - November 2004 | USA

Wer nicht will, der wird schon

Freihandelspolitik wird als Waffe instrumentalisiert

Seit Jahr und Tag propagieren die USA ihren Handelspartnern in Lateinamerika den Freihandel. Ob multilateral im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) oder in den von den USA dominierten Bretton-Woods-Institutionen Internationaler Währungsfond und Weltbank, regional im Rahmen der geplanten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA oder in bilateralen Freihandelsabkommen. Handelspräferenzen als Zuckerbrot und Handelseinschränkungen als Peitsche sind Grundmuster US-amerikanischer Interessenpolitik.

Martin Ling

Chiles Präsident Ricardo Lagos blieb standhaft: Nein im UNO-Sicherheitsrat zu einer etwaigen Kriegsresolution gegen den Irak. Das war durchaus mutig. Denn Washingtons Chefunterhändler Otto Reich hatte Lagos im März 2003 eine klare Botschaft überbracht: Sollte Chile im Sicherheitsrat mit Nein stimmen, würde die US-Regierung das geplante Handelsabkommen mit Chile blockieren. Auch wenn die USA als Handelspartner für Chile längst nicht die überragende Bedeutung, wie insbesondere für Mexiko, haben, gehen doch rund 20 Prozent aller chilenischen Exporte in die USA. Und von einem Freihandelsabkommen erhoffte sich Chile eine weitere Steigerung dieser Quote. Schon im Januar 2003 hätte das Abkommen unter Dach und Fach sein sollen, nun standen neun Jahre Verhandlungen für die chilenische Regierung auf dem Spiel. 19 Monate später hat sich der Rauch in Chile, im Gegensatz zum Irak, verzogen. Der Irak-Krieg fand ohne eine Resolution statt, und das Freihandelsabkommen gab es für Chile obendrein. Schon am 2.Juni 2003 schlossen die USA mit dem südamerikanischen Land den Vertrag. Im Rekordtempo gaben die beiden Parlamente ihre Zustimmung und seit dem 1. Januar diesen Jahres ist das Abkommen in Kraft. Schließlich haben auch die USA ein Interesse an einer Ausdehnung ihrer Handelsbeziehungen mit Chile, um nicht an Boden gegenüber der Europäischen Union zu verlieren, die bereits seit Februar 2003 ein noch weitgehenderes Abkommen mit Chile am Laufen hat.

Druck auf Mexiko

Gegenüber Mexiko, dem zweiten damaligen nicht ständigen Mitglied Lateinamerikas im UNO-Sicherheitsrat, konnten die USA das Handelsschwert nicht schwenken, weil das Land durch das seit 1994 gültige Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA bereits an die USA gekettet ist und dafür bevorzugten Marktzugang genießt – abgesehen von der Ware Arbeitskraft. Rund drei Millionen MexikanerInnen leben derzeit illegal in den USA. Schon vor Jahren hatte Bush der mexikanischen Regierung Aufenthaltserleichterungen versprochen, um eine Massenabschiebung zu vermeiden, die Mexiko vor große Probleme stellen würde. Somit lautete die Drohung hier anders: Bei einem Nein im Sicherheitsrat würden alle US-Gesetze, die Mexiko betreffen, blockiert werden – keine Reform des Immigrationsgesetzes und keine Amnestie für die Illegalen. Fox blieb dennoch standhaft und muss weiter auf ein Entgegenkommen der USA warten.
Mit dem Chile-Abkommen wollten die USA nicht zuletzt auch ein Zeichen gegenüber den Staaten setzen, die sich dem Projekt der gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA widersetzen: Brasilien, Venezuela und Argentinien. Ein Signal nach dem Motto: Viele Wege führen zum Freihandel, wobei Freihandel immer interessengeleitet interpretiert wird – handelsverzerrende US-amerikanische Agrarsubventionen stehen beispielsweise ebenso wenig zur Disposition wie die Freizügigkeit der Arbeitskraft.

ALCA à la carte

Die Wirkung des Chile-USA-Abkommens blieb freilich vorerst aus. Das letzte Treffen der Handelsminister der am Verhandlungsprozess zur Schaffung der gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA beteiligten 34 Staaten im November 2003 hatte sich der Handelsbeauftragte der Bush-Administration, Robert B. Zoellick, sicher anders vorgestellt. US-Diplomaten hatten sich vor dem entscheidenden Treffen in Miami bemüht, die Regierungen der lateinamerikanischen Staaten mit wenigen Versprechungen, aber umso mehr Drohungen, weich zu kochen. Vor allem drohten sie, in bilateralen Verhandlungen gegenüber einem Verhandlungspartner das durchzudrücken, was auf kontinentaler Ebene auf Widerstand anderer stößt. Dennoch gelang es nicht, die US-amerikanischen Vorstellungen für eine gesamtamerikanische Freihandelszone durchzusetzen: Beispielsweise soll der Investitionsschutz für Unternehmen, nach Vorbild von Kapitel 11 des NAFTA-Abkommens, über die gesetzgeberischen Rechte der Nationalstaaten gestellt werden. Unternehmen sind demnach schadensersatzberechtigt, wenn sich durch Gesetzesänderungen Profiteinbußen ergeben. Des Weiteren sollen die Bestimmungen über geistiges Eigentum verschärft werden und im öffentlichen Beschaffungswesen sollen die lateinamerikanischen Staaten nicht mehr nationale Unternehmen bevorzugt behandeln dürfen. Nichts von letzteren Punkten findet sich im ausgehandelten Rahmenabkommen. Jeder Staat kann vielmehr im Januar 2005 selbst entscheiden, welche Vertragsbestandteile er unterzeichnet und welche nicht. Einige Spötter sprechen schon von einer ALCA à la carte.

Trend zum Bilateralismus

Die USA machen derweil ihre Drohung wahr, mit den weniger widerstandsfähigen oder -willigen Ländern Abkommen zu schließen. Bereits abgeschlossen ist das zentralamerikanische Freihandelsabkommen mit Honduras, El Salvador, Guatemala, Nicaragua und Costa Rica (siehe LN 357), das nach Ratifizierung durch die Parlamente ab Januar 2005 in Kraft treten soll.
Die Strategie der USA hat Robert Zoellick in seinem Bericht gegenüber dem Kongress offen benannt: „Tagein und tagaus arbeitet die US-Regierung aggressiv daran, abzusichern, dass Handelshindernisse für US-amerikanische Güter und Dienstleistungen beseitigt werden (…) Die Durchsetzung existierender Freihandelsabkommen ist ein vitaler Beitrag dazu, neue Freihandelsabkommen zu schaffen.“ Die von den USA vorangetriebene Deregulierung dient letztlich der Durchsetzung eines Wirtschaftsprogrammes für den ganzen Kontinent, das US-Konzerne begünstigt. Das zeigen auch die Freihandelsverhandlungen mit Peru und Ecuador. Peru soll beispielsweise die Vergabe von Patenten über einheimische Tiere und Pflanzen akzeptieren – quasi den Ausverkauf der heimischen Biodiversität an transnationale Konzerne. Zudem soll das Andenland seinen Markt für Second-Hand-Textilien und gebrauchte Computer öffnen. Der krönende Höhepunkt: Textilien aus den peruanischen Maquilas sollen erst in den USA mit Markennamen und „made in USA“ etikettiert werden, um sie als teure US-Exportware verkaufen zu können – unter anderem sogar in Peru, kritisiert der peruanische Abgeordnete Javier Diez Canseco. Ecuador wird unverhohlen gesagt, dass ein Freihandelsabkommen nur dann zu Stande käme, wenn zuvor das Verfahren gegen Texaco abgeschlossen werden würde. Gegen den US-Konzern ist eine Schadensersatzklage für Umweltschäden im Zusammenhang mit der Erdölförderung im Land anhängig.
Alles andere als ein Freispruch für Texaco wäre für die USA selbstredend inakzeptabel. Denn für alle Freihandelsabkommen gilt aus US-Sicht schließlich das ominöse Kapitel 11 aus dem NAFTA-Abkommen als Vorbild. Auf dieser Grundlage wurde die mexikanische Regierung im Jahr 2000 vom NAFTA-Schiedsgericht zur Zahlung einer Entschädigung von 16,7 Millionen US-Dollar verurteilt. Der Verstoß: Der Gouverneur von San Luis Potosi hatte ein Gebiet zum Naturschutzgebiet erklärt, in dem der kalifornische Konzern Metalclad zuvor ohne Baugenehmigung eine Sondermülldeponie gebaut hatte. Nach NAFTA-Recht wurde der Konzern durch das Naturschutzgebiet entschädigungslos enteignet. Freihandel à la USA und nicht à la carte.

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