Dossier | Solidarität

„WIR BAUEN AUF, WAS DIE CONTRA ZERSTÖRT“

Die Befreiungsbewegungen in Zentralamerika mobilisierten in den 1980er Jahren breite Solidarität

Die Sandinist*innen weckten nach dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 weltweit Hoffnungen auf ein neues, gerechtes und freies Nicaragua. Solidaritätsgruppen organisierten auf unterschiedlichste Weise Hilfe, tausende Aktivist*innen reisten in das mittelamerikanische Land, um den revolutionären Prozess zu unterstützen.

Erika Harzer

Monica Baltodano lacht, als sie auf die Fragen zur damaligen Solidaritätsbewegung antwortet. „Die deutsche Solidarität war geordnet, gut organisiert und wirkungsvoll, anders als zum Beispiel die chaotische spanische Solidaritätsbewegung“ erinnert sich die ehemalige Sub-Kommandantin der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN. Die deutsche Solibewegung habe Prioritäten gesetzt, „egal ob Anarchisten, Spartakisten, Kommunisten, Sozialdemokraten, Umweltschützer, Feministen, Schwule, Pazifisten, Lutheraner oder Katholiken“. Deutsche Soligruppen seien auch die ersten gewesen, die daheim ein Verkaufsnetz für Nicaragua-Kaffee schufen. „Sie zeigten großen Respekt gegenüber dem, was in Nicaragua passierte und kritisierten uns kaum“, führt Balodano weiter aus. „Gut, später haben einige von uns gedacht, es wäre besser gewesen, sie hätten unsere Fehler kritisiert.“

Die Solidaritätsbewegung mit Nicaragua begann in der BRD 1978, ein Jahr vor dem Sturz des diktatorischen Somoza Clans, zunächst als kleine, unbedeutende Bewegung. Erst nach der Machtübernahme der Sandinist*innen wurde daraus eine der größten globalen Solidaritätsbewegungen. Mit ihrem anfangs definierten Projekt eines Nicaragua libre schaffte es die sandinistische Befreiungsbewegung, weltweit Menschen zu mobilisieren. Ziel war ein freies, sozial gerechtes Nicaragua, das sich unabhängig von der Blockkonfrontation des Kalten Krieges positionieren sollte.

Noch heute gibt es in Deutschland Gruppen, die solidarisch zu Nicaragua arbeiten. Zwar hat sich der Kontext dessen, was Solidaritätsarbeit darstellt, darstellen sollte oder könnte, im Laufe der Jahrzehnte geändert. Und doch bleibt das Phänomen, dass sich zum sandinistischen Nicaragua in Deutschland mehr als 350 örtliche Solidaritätskomitees gründeten. Darunter befanden sich Gruppen aus gewerkschaftlichen oder kirchlichen Kreisen, die meisten waren unabhängig. Später kamen dann noch die Städtepartnerschaftsgruppen hinzu. Das Informationsbüro Nicaragua in Wuppertal, das sich schon 1978 gründete, koordinierte in den 1980er Jahren in breitem Umfang ebenso Brigadist*innengruppen, die zu Arbeitseinsätzen nach Nicaragua reisten wie auch die Öffentlichkeitsarbeit dazu in Deutschland.

Tausende reisten ab Sommer 1979 bis zur Wahlniederlage der Sandinist*innen 1990 nach Nicaragua, um dort vor Ort den „revolutionären Prozess beim Aufbau zu unterstützen“ und diesen gegen die US-finanzierten rechten Guerillagruppen, die Contras, zu verteidigen. Einer der zentralen Aufrufe für Brigadist*innen- Einsätze lautete: „Wir bauen auf, was die Contra zerstört“. Auf dieses kleine mittelamerikanische Land projizierte sich die Hoffnung der antiimperialistischen Kräfte weltweit, tatsächlich aus den Machtgefügen ausbrechen und einen neuen eigenständigen Weg gehen zu können. Im Nachbarland El Salvador kämpfte die dortige Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) seit 1980 für einen revolutionären Umbruch, schuf „befreite, von ihnen kontrollierte Gebiete“. Guatemala befand sich seit den 1960er Jahren in einem grausamen Bürgerkrieg. Man hoffte auf mögliche neue politische Konstellationen. Und die Avantgarde dafür agierte in den 1980er Jahren in diesen drei mittelamerikanischen Ländern.

Die Solidaritätsbewegung für Nicaragua konzentrierte sich in den ersten Jahren hauptsächlich auf die Unterstützung der Alphabetisierungskampagne und diverse Bildungs- und Gesundheitsprogramme. Im Laufe der Jahre erweiterte sich das Spektrum der Hilfsprojekte um alles Mögliche: Kleingärten zur Eigenversorgung, Kulturprojekte wie Bücherbusse, Ausbildungswerkstätten, Kindergärten oder Frauenhäuser. Ich war für ein Ausbildungsprojekt unterwegs, das neben meinem Berliner Jugendarbeitsverein auch von diversen Einrichtungen in unserem Berliner Stadtteil unterstützt wurde. Kneipen baten um den Solidaritätsgroschen für die nicaraguanische Ausbildungswerkstatt ebenso wie Apotheken oder Tante Emma-Läden. Auch Arztpraxen stellten Sammelbüchsen auf. Wir tranken solidarisch die absolut magenunfreundliche Sandino Dröhnung, den Nicaragua Kaffee der 1980er Jahre. Ähnliche Strukturen bildeten sich über das ganze Land verstreut. Regelmäßig fanden Austauschtreffen der Soli-Bewegten statt, die Repräsentant*innen aus Nicaragua einluden, die die Bundesregierung unter Helmut Kohl aufforderten, sich von der kriegsführenden Politik der Reagan-Regierung zu distanzieren. Mit Demonstrationen, Besetzungen, Presseerklärungen, Büchern und Veranstaltungen wurde Öffentlichkeit geschaffen, ebenso wurden auch die bundesdeutschen Organisationen, Stiftungen und Vereine angegriffen, die sich hinter den Contra-Krieg stellten und diesen unterstützten. So war dieses mittelamerikanische Land mit seinem fortschrittlichen Gesellschaftsprojekt und der von den USA finanzierte Krieg an vielen Orten der Bundesrepublik präsent.

Der für die Solidaritätsbewegung attraktive Moment der sandinistischen Befreiungsbewegung war, dass diese nach dem Sturz Somozas das Projekt einer souveränen, von den USA unabhängigen Gesellschaft in Angriff nehmen wollte – in einem breiten Bündnis unterschiedlicher politischer Ausrichtungen. Für diesen Prozess sollten auch die Ärmsten der Armen zunächst einmal durch Alphabetisierungskurse zur Teilhabe befähigt werden. Dazu kam als besondere Attraktion für uns, dass die revolutionäre Regierung uns einlud, den Prozess vor Ort mit zu gestalten.
„Kritische Solidarität“ bedeutete für uns mit den grundsätzlichen Zielen der FSLN solidarisch zu sein, uns mit den Bedingungen und Begründungen ihres Handelns auseinanderzusetzen, sie aber nicht unbedingt zu billigen. 2008 schrieb Barbara Lucas, die lange Jahre im Kollektiv des Nicaragua Büros in Wuppertal gearbeitet hat, über die Strukturen der Solidaritätsbewegung in der Bundesrepublik:
„Schon bald nach der Regierungsübernahme der Sandinisten wurde deutlich, dass es notwendig sein würde unsere Position gegenüber der FSLN zu definieren. Die FSLN war nun eine Befreiungsbewegung an der Macht, entwickelte sich später zudem zur Partei, und wir waren eine Solidaritätsbewegung mit multipolarer Zusammensetzung und basisdemokratischen Strukturen. […] Unsere Arbeit basierte auf dem Konzept der „kritischen Solidarität“ und unterschied sich somit von der Funktionsweise einer Freundschaftsgesellschaft, die wir lediglich als verlängerten Arm einer Befreiungsbewegung an der Macht betrachteten. Wir verstanden uns als bundesdeutsche Linke mit eigenen politischen Positionen, die im Bereich des Internationalismus aktiv war.“
Der Krieg und damit auch der Kriegsalltag veränderte schleichend und doch bis ins Eingemachte das Projekt Nicaragua libre. Hierarchisch zentralistische Entscheidungsstrukturen setzten sich durch und bestimmten den Weg, immer der Verteidigung des Landes geschuldet. So endete dieser Aufbruch mit der Wahlniederlage der Sandinist*innen.

Mitte der 1980er Jahre hatten die Verhandlungen begonnen, die die Bürgerkriege in Guatemala, El Salvador und Nicaragua beenden sollten. Ein erstes Abkommen unterzeichneten die fünf mittelamerikanischen Staatspräsidenten im August 1987. Drei Jahre später verlor die FSLN die Wahlen, 1992 wurde in El Salvador ein Friedensabkommen geschlossen und 1996 in Guatemala.

Ab diesem Zeitpunkt galt die Region als befriedet. Die aufständischen Kräfte sollten sich an demokratischen Prozessen beteiligen können. Und damit brach auch ein Großteil der Solidaritätsbewegung in sich zusammen. Vor allem die linksradikalen Gruppen wendeten sich ab. Nicht nur von Nicaragua, auch von El Salvador. Guatemala hatte in der Bundesrepublik nie eine große Solidaritätsbewegung lostreten können. Noch immer gibt es in Deutschland etliche Gruppen, die mit Projekten in Nicaragua zusammen arbeiten, auch das Informationsbüro Nicaragua. Doch die unabhängigen Solidaritätsgruppen der 1980er Jahre sind Geschichte. Heute sind es Vereine oder Nichtregierungsorganisationen mit festangestellten Mitarbeiter*innen, die sich um die Projekte kümmern.

Hoch die Internationale Solidarität – eine Selbstkritik

Kritisch debattierten in dem 1986 erschienen Buch Hoch die Internationale Solidarität die Herausgeber Werner Balsen und Karl Rössel mit Peter Gäng, der 1964 Mitglied des Arbeitskreises Vietnam des Berliner SDS war. Peter Gäng analysierte damals diese Art von Solidaritätsbewegung so:
„Was zumindest ein Teil der Nicaragua Bewegung macht, ist, einfach so zu tun, als wäre dort alles ganz toll. Es ist jedoch nicht ganz toll. Es spricht den Leuten in Nicaragua geradezu jede Menschlichkeit ab, daß sie nach dieser langen Somoza-Herrschaft nun plötzlich die neuen Menschen darstellen sollen, die alles richtig machen. Natürlich machen die viel falsch. Ich finde, man muß das auch sehen und auch bereit sein, jemandem zu helfen, der Fehler macht. Sonst kommt genau das raus, was mit unserer Vietnam-Solidarität passiert ist: Wir unterstützen etwas und gucken nicht genau hin, was wir unterstützen. Und wenn wir dann plötzlich gezwungen sind, zur Kenntnis zu nehmen, was da abläuft, wenden wir uns voll Grausen ab und tun so, als ob wir nie was damit zu tun gehabt hätten. Natürlich haben wir weiter was damit zu tun und müssen Fehler auch zur Kenntnis nehmen und nicht von vorneherein sagen, die sind die neuen Menschen und die werden unsere Utopien verwirklichen.“

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