„Wir haben die Gewerkschaft rausgeschmissen“
Interview mit Francisco Martínez, Gründungsmitglied und Vorsitzender der Arbeitsgenossenschaft Textiles Pigüé
Die Arbeitsgenossenschaft Textiles Pigüé besteht seit elf Jahren. Wie sieht Ihre bisherige Bilanz aus?
Wir haben erfolgreich die rechtliche Situation geklärt und das wirtschaftliche Bestehen der Fabrik gesichert. 2014 haben wir es geschafft, als erstes instandbesetztes Unternehmen der Provinz Buenos Aires die Eigentumsurkunde zu erhalten. Damit sind wir berechtigt, wie alle anderen Unternehmen Kredite zu bekommen, die auch für unseren Produktionsprozess grundlegend sind. Wir sind wieder wettbewerbsfähig und das nicht zuletzt, weil wir auch darin investiert haben, spezifisches und für die Produktion unentbehrliches Wissen zu integrieren. Wir sind im Grunde ein genossenschaftliches Unternehmen, das heißt, wir müssen immer wieder den Ausgleich zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Solidarität finden. Mit dem, was wir bisher erreicht haben, sind wir sehr zufrieden. Auch wenn das noch lange nicht heißt, dass wir am Ende unserer Kämpfe stehen.
Wofür muss noch gekämpft werden?
Ein problematischer Aspekt der genossenschaftlichen Produktion ist die Frage der Arbeitsrechte der Mitglieder. Rechtlich gesehen ist jeder von uns selbstständig. Mit fehlendem Angestelltenverhältnis müssen wir uns beispielsweise um Krankenversicherung und Altersvorsorge selbst kümmern. Wir haben es durch jahrelangen Kampf und Verzicht geschafft, eine Fabrik mit 160 Arbeitsplätzen wieder zum Laufen zu bringen – das mindeste, was uns zusteht ist, dass wir formell als Arbeitnehmer mit gleichen Rechten anerkannt werden.
Sind Sie gewerkschaftlich organisiert, um diese Forderungen durchzusetzen?
Nein, bis jetzt noch nicht, aber wir diskutieren intern über dieses Thema. Als es damals zur Insolvenz kam und wir uns für die Besetzung entschieden, erhielten wir keine Unterstützung unserer damaligen Gewerkschaft, wir haben sie sogar rausgeschmissen. Natürlich gibt es Gewerkschaften, die die Arbeiter der besetzten Fabriken stark unterstützen, wie die Vereinigung der metallurgischen Arbeiter, die Unión Obrera Metallúrigca, beispielsweise. Wir wollen auf jeden Fall den Weg Richtung gewerkschaftlicher Organisation einschlagen.
Können Sie nun gute Löhne zahlen?
In den ersten fünf Jahren (2004 bis 2009, Anm. der Red.) hatten wir kein sicheres Gehalt, unsere Einnahmen wurden zu gleichen Teilen unter den Mitgliedern aufgeteilt. 2010 gab es die ersten Forderungen nach unterschiedlich hohen Löhnen, woraufhin von der Vollversammlung acht verschiedene Kategorien beschlossen wurden. In den folgenden Jahren gab es dann drei Kategorien, danach sechs … Aktuell haben wir 160 verschiedene Gehaltsklassen: Die Qualifizierung und Bedürfnisse jedes einzelnen werden dabei bedacht.
Das hört sich kompliziert an.
Ja, es war auch kompliziert, dieses System zu konzipieren und umzusetzen. Aber es funktioniert wunderbar und heute beraten wir sogar die Arbeiter anderer instandbesetzter Betriebe, die gerne eine Verteilung dieser Art einführen möchten.
Grundsätzlich muss die Höhe jeden Gehalts von der Vollversammlung beschlossen werden. Der Unterschied darf nie mehr als die Hälfte eines Durchschnittgehalts betragen. Dann gibt es zehn Kriterien, nach denen Qualifizierung und Bedürfnisse eingestuft werden, unter anderem die berufliche Bildung, der Anteil physischer und geistiger Anstrengung, die Erfahrung. Unserer Meinung nach sollen die Löhne nicht gleich, sondern gerecht sein.
Gibt es Probleme zwischen „alten“ und „neuen“ Arbeiter*innen?
Die Gründungsmitglieder der Genossenschaft haben bei uns keine Vorteile, einzig die lange Mitgliedschaft bedeutet ein Extra an Gehalt. Anfangs waren nicht alle neuen Arbeiter automatisch Mitglieder der Genossenschaft, bis es Probleme gab. 2006 gab es beispielsweise einen Konflikt, weil ein relativ neu eingegliederter Professioneller, kein Mitglied, einem Arbeiter Anordnungen gab – letzterer befolgte aber diese nicht, schließlich sei er Miteigentümer des Betriebs. Danach beschlossen wir in der Vollversammlung, dass alle neu eingegliederten Arbeiter auch Genossenschaftsmitglieder sein sollten. Wir bitten alle so gut wie möglich zu arbeiten, um zu wachsen und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Die neuen Genossen, die Interesse haben, wirken bei den sozialen, ehrenamtlichen Tätigkeiten mit und wir unterhalten uns über die Entstehungsgeschichte der Kooperative. Grundsätzlich mag es einige geben, die besser kämpfen und Widerstand leisten können, und andere, die sich in der aktuellen Produktion auszeichnen – ich denke, das wichtigste ist die Großzügigkeit, jedem seinen Platz in diesem Prozess zuzugestehen.
Was genau sind denn Ihre sozialen oder solidarischen Tätigkeiten?
Das sind ganz verschiedene, wir beteiligen uns an kulturellen Aktivitäten und an Märkten solidarischer Ökonomie. Weiterhin beteiligen wir uns an einem staatlichen Programm zur Vergabe von Mikrokrediten. Damit haben wir es geschafft, 200 Familien aus Pigüé, das 15.000 Einwohner hat, wieder in Arbeit zu bringen. Außerdem haben wir eine Kooperation mit der Provinz Buenos Aires, im Rahmen des Programms Envión. Sozial benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene werden begleitet, um eine berufliche Ausbildung abzuschließen und sich in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Wenn wir freie Arbeitsplätze haben, dann haben sie Vorrang, um bei uns anzufangen. Diese verschiedenen Formen von Zusammenarbeit mit der Gemeinde und den Nachbarn waren auch die einzige Möglichkeit, um Misstrauen und Vorurteile abzubauen.
Inwieweit hängten Sie von staatlicher Unterstützung ab?
Das Bundesministerium für soziale Entwicklung hat ein Programm mit sechs verschiedenen Unterprogrammen, um instandbesetzte Betriebe zu unterstützen. Es gibt beispielsweise eine Starthilfe, um die anfänglich geringen Löhne aufzubessern. Weiterhin gibt es Unterstützung bei internen Weiterbildungen, Investitionen in Maschinen und Produktionsmittel. Wir haben alle sechs Unterprogramme in Anspruch genommen. Jetzt, wo wir offiziell Eigentümer sind, erscheint es uns sinnvoller, diese Unterstützung denjenigen zu überlassen, die sie besonders benötigen, und wie jedes andere Unternehmen Kredite beim Ministerium für Industrie zu beantragen. Das große Problem ist, dass wir als Genossenschaft diese Kredite aus rechtlichen Gründen nicht bekommen können. Trotz allem ist der Staat für uns ein strategischer Partner, deshalb stellen wir unsere Forderungen nach Regierungsprogrammen und der Garantie von Rechten in der Zusammenarbeit mit staatlichen Vertretern.
Produzieren Sie auch im Rahmen von Fair Trade-Netzwerken?
Nein, aber wir haben einige Erfahrung damit. Unser erster Kunde war ein Italiener, der sich in Argentinien angesiedelt hatte. Zusammen mit ihm und einer anderen Kooperative haben wir es geschafft, die solidarische Textilkette CTS, die Cadena Textil Solidaria, ins Leben zu rufen. Diese begann mit genossenschaftlicher und ökologischer Baumwollproduktion im Norden, wir fabrizierten die Stoffe, auch ökologisch unbedenklich, und zusammen mit anderen Textilwerkstätten wurden die T-Shirts genäht. Anschließend gingen Lieferungen nach Italien, Spanien und Großbritannien. Erfolgreich wurde der Verkauf aber erst, nachdem wir mit Hilfe einer Kampagne das Bewusstsein bei den Konsumenten schaffen konnten, warum es so wichtig ist, unsere Produktionsform zu unterstützen. 2011 erhielten wir dann keine Baumwolllieferungen mehr, die Produzenten entschieden sich, andere Wege zu gehen. Wenn es nach uns ginge, würden wir nur ökologisch und unter fairen Bedingungen (bezogen auf die Zulieferer, Anm. der Red.) produzieren, leider ist das nicht so einfach. Selbst zu Hochzeiten der CTS machte diese nur knapp fünf Prozent unserer Gesamtproduktion aus.
Francisco MartÍnez
ist Gründungsmitglied und Vorsitzender der Arbeitsgenossenschaft Textiles Pigüé. Er ist verantwortlich für institutionelle und politische Belange und nahm in diesem Rahmen beispielsweise im vergangenen Juli an der fünften internationalen Begegnung der Ökonomie der Arbeiter*innen in Venezuela teil.