„Wir werden zum Straßenkampf übergehen“
Ein Gespräch mit der sandinistischen Ex-Kommandantin Mónica Baltodano
Frau Baltodano, die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) wurde Mitte der 1990er gegründet. Sie sind 2005 von der FSLN zur MRS übergetreten. Warum? Und warum nicht schon vorher?
Als die Partei MRS gegründet wurde, gehörte ich zu den Kräften, die sie aufgrund ihrer ablehnenden Haltung der FSLN gegenüber kritisierten. Die MRS tendiert in ihren Grundsätzen und Zielen Richtung Mitte. Ich hingegen war überzeugt, dass Nicaragua Kräfte braucht, die wirklich links sind, die die Fahne im Kampf gegen den Imperialismus hoch halten. 1999 habe ich jedoch mit Daniel Ortega gebrochen. Wir hatten große Meinungsverschiedenheiten wegen des Pakts der FSLN mit der rechten PLC von Arnoldo Alemán. Dieser Pakt führte zu einer Entstellung der Werte, Ziele und Grundprinzipien der FSLN. Ich habe mich damals offen gegen den Pakt gestellt. Daraufhin wurde ich von der Arbeit der Parteiorgane ausgeschlossen. Von dem Zeitpunkt an habe ich all meine Energie auf die Organisation der Basis und die Schaffung einer neuen sozialen Bewegung verwendet. 2005 kam dann eine neue Strömung auf, aus der sich die Bewegung zur Rettung des Sandinismus (MPRS) gründete. Diese Bewegung versucht, eine progressive und revolutionäre Kraft der Linken zu schaffen. Mit der MRS haben wir eine Allianz gegründet, um uns bei den Wahlen 2006 gegen die Parteien des Paktes zu stellen. Wir gewannen damals fünf Abgeordnetensitze im Parlament. Den Schwung dieses Bündnisses nahmen wir mit.
Die sogenannte MRS-Allianz besteht aus verschiedenen Gruppen. Dazu gehören auch eher marktorientiert denkende PolitikerInnen, wie der damalige Präsidentschaftskandidat Edmundo Jarquín. Was hat die MRS-Allianz denn letztendlich gemeinsam?
Unsere wichtigste Gemeinsamkeit ist die Überzeugung, dass der Pakt alle politischen Institutionen entstellt und das bisschen Demokratie, das es hier noch gab, zurückgeworfen hat. Wir glauben, dass man einen Bruch mit dem Machtschema braucht, das Daniel Ortega mit Arnoldo Alemán etabliert hat. Außerdem sind wir uns einig, dass man sich der extremen Armut im Land stellen muss. Diese wurde auch durch den populistischen Neoliberalismus von Daniel Ortega bisher nicht vermindert, wie man an den Zahlen sieht. Es gibt einen anderen Weg, bei dem der Staat viel mehr Verantwortung für das Soziale übernimmt, als er es zurzeit macht. An einen solchen Weg glauben wir alle.
Denken Sie nicht, dass es für die Bevölkerung ein Problem ist, dass die Positionen der MRS-Allianz so breit gefächert sind?
Ich glaube, dass unsere grundsätzliche Herausforderung die ist, Bewusstsein zu schaffen und die Bevölkerung zu organisieren und zu mobilisieren. Das ist nicht nur im Kontext von Politik notwendig, sondern vor allem im Kontext der eigenen unmittelbaren und alltäglichen Probleme der Menschen. Wir leiden in unserem Land unter der Demobilisierung der Gesellschaft. Die sogenannten Volksorganisationen, die während der Revolution geschaffen worden waren, sind Teil der heutigen FSLN geworden und somit nunmehr „Scheingruppierungen“. Daher muss man die Bürgerbewegungen wieder beleben. Darauf liegt die Betonung beim MPRS. In unseren Augen macht das die Partei MRS nicht ausreichend. Das heißt, wir müssen uns dem Volk im einfach gehaltenen und leicht verständlichen Dialog nähern. Das ist eine längerfristige Arbeit.
Im November stehen die Kommunalwahlen an. Was sind da die Perspektiven der MRS-Allianz?
Zur Zeit halten wir auf nationaler Ebene 8,5 Prozent der Stimmen, die wir mehrheitlich an der Pazifikküste gewonnen haben. Dort haben wir Chancen, zumindest fünf Bürgermeisterämter zu gewinnen und in 30 bis 40 Gemeinden mit mindestens einem Ratsabgeordneten vertreten zu sein. Wir schätzen unsere Chancen da sehr realistisch ein. Gerade hat allerdings der Oberste Wahlrat (CSE) der MRS-Allianz mitgeteilt, dass ein Prozess initiiert wird, um ihr den Status der Rechtspersönlichkeit zu entziehen. Angeblich wurden dem Wahlvorstand nicht alle zur Einschreibung nötigen Unterlagen übergeben. Deshalb müssen wir jetzt erst einmal erreichen, dass diese von Ortega und Alemán eingeleitete Entscheidung rückgängig gemacht wird. Denn der Entzug der Rechtspersönlichkeit würde die Teilnahme an den Wahlen natürlich verhindern (siehe Artikel in dieser Ausgabe, Anm. d. Red).
Warum haben die Paktparteien FSLN und PLC diese Maßnahme beim Obersten Wahlrat angestoßen?
Ich sehe das als Versuch, Konkurrenten auszuschalten und sich gute Resultate bei den Wahlen zu ermöglichen. Gleichzeitig bekamen nämlich auch die Konservative Partei (PC) und die von ehemaligen contras gegründete Partei des Nicaraguanischen Widerstandes (PRN) dieselbe Benachrichtigung. Das sind beides Parteien, die ein Gegengewicht zur PLC darstellen. Und die MRS-Allianz ist ein Gegengewicht zur FSLN. Der Oberste Wahlrat ist keine neutrale Instanz, sondern eine komplett parteiische und anti-demokratische Institution. Diese Entscheidung ist daher ein herber Schlag für das institutionelle Gerüst der Demokratie in Nicaragua. Hier wird einmal mehr der Weg hin zu Konfrontation und Gewalt geebnet. Das will niemand mehr in Nicaragua. Aber wenn sie uns in die Illegalität drängen, gehen wir zum Straßenkampf über und wir werden sie unsere Stärke spüren lassen.
Das klingt nach dem Ende der Demokratie in Nicaragua. Was können Sie gegen den Obersten Wahlrat und gegen die von den zwei Paktparteien gesteuerte Diktatur der Institutionen machen?
Es würde nichts bringen, auf höchster Instanz den Rechtsweg zu beschreiten, denn die Paktparteien kontrollieren auch den Obersten Gerichtshof. Deshalb liegt unsere einzige Chance im internationalen Druck und in landesweitem Straßenkampf. Wir werden alle Instanzen durchlaufen und die Situation anklagen. Ich betone noch einmal, dies ist ein sehr, sehr ernster Vorfall für Nicaragua. Statt uns an der Urne zu schlagen, nutzen die FSLN und die PLC diesen Mechanismus, um eine Niederlage ihrer Parteien zu vermeiden. Obwohl wir nur gemäßigte Ansprüche bei den Kommunalwahlen hatten, will die FSLN nicht, dass aus irgendeinem Grund ihre Wähler ihren Unmut dadurch ausdrücken, dass sie für uns stimmen. Diese sind zum Teil sehr verärgert über die Regierungsführung Daniel Ortegas. Sie würden aber nie für die PLC stimmen, sondern sich immer für eine andere sandinistische Option entscheiden. Und die repräsentieren wir.
Ortega versucht gleichzeitig im großen Stil die sozialen Bewegungen einzuschüchtern. Wie sehen Sie die Bedeutung dieser Bewegungen in diesem Moment?
Er hat es geschafft, die Volksorganisationen über ihre Anführer zu kooptieren, indem er sie zu einem Teil seines Räderwerks gemacht hat. Er teilt Posten zwischen ihnen auf und zerschlägt alles, was sich als alternative soziale Bewegung etablieren will. Die Möglichkeiten, die sich für den sozialen Wandel unter der neuen Regierung Ortega auftaten, sind ausgeschöpft. Seit Ortega an der Macht ist, kann man nirgendwo soziale Verbesserungen erkennen. Das bedeutet, dass sich hier Räume für die Artikulation neuer sozialer Bewegungen öffnen.
Aber die Regierung Ortega investiert auch Geld in Sozialstrukturen. Zum Beispiel über die Alphabetisierungskampagne oder das Null-Hunger-Programm. Glauben Sie, dass diese Maßnahmen erfolgreich sind?
Es gab große Erwartungen und schon am ersten Amtstag Ortegas forderten wir, dass er soziale Belange ganz oben auf die Agenda setzen soll. Aber der Effekt vieler seiner Programme wie Null-Hunger oder Null-Analphabetismus wird dadurch vermindert, dass ein Großteil der aufgewendeten Ressourcen nicht ankommt. Es gibt einfach zu viele Mittler, die die Gelder auf korrupte Weise verwalten. Daher ist die Auswirkung der Programme viel geringer, als wir vorher hofften. Offensichtlich haben die Programme schon eine Wirkung, aber sie wird dadurch gemindert, dass sie nur denen zugute kommt, die die FSLN politisch unterstützen. Das heißt, auch die Programme dienen dem Zweck der Kooptation und werden nach klientelistischem Muster durchgeführt. Das ruft natürlich Unzufriedenheit und Auflehnung hervor.
Um den Energieengpässen zu begegnen, bezieht Nicaragua Öl aus Venezuela zu vergünstigten Konditionen. Sie kritisieren die Zusammenarbeit zwischen Chávez und Ortega. Warum?
Wir haben unsere Zustimmung bezüglich der Kooperation mit Venezuela geäußert, weil die Ressourcen, die uns Venezuela versprochen hat, notwendig für das Land sind. Sie gaben der Regierung Ortega die nötigen Mittel, um ernsthaft gegen Armut und soziale Ungleichheit anzukämpfen. Deshalb freuten wir uns zunächst, als Hugo Chávez sagte, er würde uns venezolanische Brennstoffe zum halben Preis liefern, während die andere Hälfte erst innerhalb der nächsten 25 Jahre bezahlt werden muss. Aber wir waren enttäuscht, als wir erfuhren, dass diese Ressourcenlieferungen nicht über den Staatshaushalt abgerechnet und auf transparente Weise verwaltet werden. Über die Verwendung dieser Mittel kann folglich nicht innerhalb der Diskussion um den Staatshaushalt entschieden werden. Stattdessen werden die Ressourcen privatwirtschaftlich über ein Unternehmen namens Albanisa verwaltet, von dem Anteile Petrocaribe, Petroleos de Venezuela und einem nicaraguanischen Staatsunternehmen gehören. Dieses Unternehmen ist eine GmbH, was bedeutet, dass der Unternehmensvorstand die Entscheidungen über die Erdölnutzung trifft.
Viele BürgerInnen sagen, dass die vergünstigten Ölpreise nicht bei ihnen ankommen…
Das neue Unternehmen operiert ohne Kontrolle durch den Bürger, den Staat oder den Haushalt. Deswegen verschwindet ein Teil der frei werdenden Gelder in den Taschen einiger Staatsfunktionäre. Sie werden nicht für die vorrangigen Bedürfnisse, die wir zusammen mit der Bevölkerung analysieren könnten, eingesetzt. Zum Beispiel nutzt Ortega diese Mittel nun zum Straßenbau. Der prioritäre Mitteleinsatz darf aber nicht einseitig von Ortega bestimmt werden. Die Ressourcen müssen auf transparente Weise verwaltet werden. Durch die Privatisierung der Kooperation mit Venezuela wird genau das Gegenteil gemacht, was eigentlich durch den Austausch im Rahmen des alternativen Kooperationsabkommens ALBA erreicht werden soll. Für mich ist Ortegas Verhalten daher schizophren.
Nachtrag: Am 11. Juni präsentierten die MRS-Abgeordneten Víctor Hugo Tinoco, Mónica Baltodano y Enrique Sáenz der Staatsanwaltschaft eine Klage wegen Hinterziehung und Veruntreuung öffentlicher Mittel von Seiten der Regierung Ortega.