Bewegung | Nicaragua | Nummer 525 - März 2018

„WO DIE VON OBEN ZERSTÖREN, BLÜHEN WIR UNTEN“

In Nicaragua kämpfen Umweltaktivist*innen weiter gegen das interozeanische Kanalprojekt

Die nicaraguanische Regierung von Daniel Ortega versucht den Protest der Bäuerlichen Bewegung gegen den Kanal (Movimiento Campesino Anticanal) zu spalten und Aktivist*innen zu diffamieren. Die Aktivistinnen Francisca Ramírez und Mónica López Baltodano lassen sich jedoch nicht einschüchtern und starteten eine Gegenkampagne.

Von Evelyn Linde

Foto: Tamara Kaschek

„Wir Bäuerinnen und Bauern sind vereint, obwohl die Regierung und ihre Agenten versuchen, unseren Kampf für die Verteidigung unserer Erde und unserer Souveränität zu zerstören“, sagt Francisca Ramírez. Die auch als Doña Chica bekannte Aktivistin ist eine wichtige Akteurin der Bäuerlichen Bewegung gegen den interozeanischen Kanal. Ein Kanal der bereits 2018 fertig sein sollte. Obwohl der erste Spatenstich bereits 2014 war, wurde mit dem Bau des Kanals bisher jedoch noch nicht begonnen. Tatsächlich glaubt heute fast keine*r mehr daran, dass sich tatsächlich eine neue Handelsroute vom Atlantik quer durch das Land hin zum Pazifik ziehen wird und dem Panamakanal Konkurrenz macht. Dennoch gibt es weiterhin entschiedenen Protest von der Bewegung.

Denn obwohl eine Fertigstellung des Kanals immer unwahrscheinlicher wird, bedroht das Projekt die ansässige Bevölkerung. Bereits 2012 stimmte das nicaraguanische Parlament im Schnellverfahren dem Gesetz 840 zu, das den Kanalbau und die Einzelheiten der Investitionen der chinesischen HKND Group regelt. Mit diesem Gesetz erhielt der chinesische Investor nicht nur eine 50-jährige Konzession für den Betrieb des Kanals, sondern auch das Recht auf die Bodenschätze in einem Korridor entlang der geplanten Kanalroute. Zudem ermöglicht es, dass die Konzession und somit die Landrechte in dem Gebiet an andere Investor*innen weiterverkauft werden können. Infrastrukturprojekte wie Häfen und Brücken sowie eine chinesische Freihandelszone sind ebenso Teil des neoliberalen Jahrhundertprojektes (siehe LN 504). Diese Privatisierung von Land und Regenwald, auf dem und von dem viele Menschen leben, ist ein Grund für den anhaltenden Widerstand. Die Anti-Kanal-Bewegung kämpft nicht nur gegen ökologische Schäden von möglichen Großprojekten, sondern auch gegen die Landnahme im großen Stil.

Bei diesem Kampf verteidigt die Bevölkerung ihre Rechte und Interessen gegen die Ausbreitung einer ausbeuterischen Wirtschaftsordnung. Die regierende Partei der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) versucht derweil, den zivilgesellschaftlichen Widerstand zu unterbinden und die wirtschaftliche Interessen zu sichern. Dazu scheinen alle Mittel recht. Mit der Verbreitung von Gerüchten oder dem Versand von gefälschten Nachrichten soll zwischen den Bäuerinnen und Bauern, die entlang der geplanten Route des Kanals leben, Misstrauen geschaffen werden, um die Bewegung zu spalten.

Im Fokus stehen dabei zentrale Akteure der Bewegung, wie Doña Chica und die Anwältin Mónica López Baltodano. Für die rechtliche Aufklärung von Unregelmäßigkeiten bei der Konzessionsvergabe und ihr unermüdliches politisches Engagement für die Rechte der Gemeinden haben die Aktivistinnen auch international Anerkennung erhalten.

Bereits im Dezember 2017 verkündeten López Baltodano und Doña Chica mittels der nicaraguanischen Menschenrechtsorganisation CNIDH, dass sie mit einer Verleumdungs­kampagne der Regierung und ihren lokalen Verbündeten diskreditiert werden sollen. Beide fürchten auch um ihre physische Integrität. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) hat daher entschieden, dass Doña Chica und ihre Familie durch den Staat geschützt werden müssen. CENIDH fordert, dass die CIDH beim nicaraguanischen Staat auch den Schutz von López Baltodano einfordert. Die Diffamierung der Aktivistinnen reiht sich in eine Liste von Repressionsmaßnahmen gegen kritische Umweltorganisationen ein (LN 523).

Mitte Januar legte López Baltodano ihre aktivistische Tätigkeit als Rechtsberaterin der Bewegung nieder. Sie ist auf die Themen Klimawandel und Umweltrecht spezialisiert und ficht die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 840 rechtlich an. Ihre Entscheidung begründete sie damit, dass sich ein Teil des Rates der Bäuerlichen Bewegung gegen den Kanal von der Regierung hat kooptieren lassen, und dass einige Mitglieder die politischen Ziele der Bewegung ihren persönlichen und parteilichen Interessen untergeordnet hätten. In den in El Tule, La Unión und La Fonseca einberufenen Territorialversammlungen kritisierte sie, dass eine Zusammenarbeit nicht möglich sei, solange die parteiliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet werde und die Gemeinden bei der Entscheidungsfindung nicht konsultiert würden.

Für die Bewegung war diese Entscheidung ein herber Schlag, aber Doña Chica und viele andere in der Bewegung solidarisierten sich mit der Anwältin. Während der Koordinator des nationalen Rates der Bewegung Medardo Mairena ihre Anschuldigungen abwies, gaben neun von 16 Leitungsmitglieder eine Erklärung heraus, in der sie ihre Genoss*innen in der Bewegung baten, die Verleumdungskampagne gegen die beiden Aktivistinnen einzustellen und die demokratischen Regeln der Bewegung zu wahren. Am 12. Februar unterzeichneten 100 territoriale Anführer*innen ein Schreiben, in dem sie Mairena nicht mehr als Koordinator anerkennen.

López Baltodano verfasste zum Jahresende eine persönliche Analyse über die Verleumdungskampagne der Regierung: „Mir sind viele Machos bekannt, die hartnäckig versucht haben, die wunderschöne Arbeit zu zermahlen, die wir in gemeinsamer Arbeit mit der bäuerlichen sozialen Bewegung in hunderten Nächten erträumt und in hunderten von Tagen realisiert haben“, schrieb sie in den sozialen Medien. Die Umweltaktivistin ist sich ihrer Stärke bewusst und beschreibt die spalterischen Taktiken: „Sie werfen mit Dreck um sich, um unsere, den Ameisen anmutende Arbeit aus dem bäuerlichen Bewusstsein zu streichen. Mit Abscheu wollen sie in meiner Freundschaft mit Doña Chica Zwietracht säen, damit wir aufhören, eine geeinte weibliche Faust zu sein.“

Doña Chica und López Baltodano lassen sich nicht einschüchtern und starten eine Gegenkampagne. 2018 möchten sie sich im Rahmen der Ruta de la Arrechura („Die Rute des Ärgers“) mit den sozialen Bewegungen in Nicaragua austauschen, weiterbilden und vernetzen, um sich gegenseitig zu stärken. Damit reagieren sie auf die sich 2017 verschärfte allgemeine politische Situation im Land: Das Misstrauen der Bevölkerung in das Wahlsystem, die zunehmende Repression, Polizeigewalt und machistische Gewalt sowie die Menschenrechts­verletzungen an der indigenen und ländlichen Bevölkerung und in den Autonomen Regionen an der Atlantikküste. Außerdem analysiert die Kampagne die zuneh­mende Straflosigkeit im Land.

Die Regierung stärkt ein ökonomisches Modell zugunsten transnationaler Konzerne und dem Kapital und zulasten der natürlichen Ressourcen des Landes. Dem möchten Doña Chica und López Baltodano mit der Diskussion eines alternativen Entwicklungsmodells und einer mutigen sozialen Bewegung entgegentreten. López Baltodano schloss ihre persönliche Analyse der Situation mit einer entschlossenen Ansage ab: „Da, wo die von oben zerstören, blühen wir unten. Uner­schütterlich werden wir weiter zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern voranschreiten, die bereits wissen, dass, wenn die Gegenwart kämpferisch ist, die Zukunft unsere ist.“

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