Musik | Nummer 246 - Dezember 1994

Zwischen Bronx und Oriente

Roman Rhode

“Wenn du genauso kochen kannst, baby, wie du läufst, in deinen engen jeans, mmmmh, dann esse ich deinen Topf leer, sogar das Angesetzte.” Henry Fiol, sonero mayor in New York, hält die Taube in der Hand und streichelt sie sanft, gentleman­like, in weißem Kragen und leopardenge­musterter Krawatte.
Das Gesetz des Dschungels aber, wo der Stärkere siegt, wo es Auge um Auge und Zahn um Zahn geht, wo das schwarze Raubtier die zarte Taube packt, Flügel nach unten, während sich im Sumpf eine Schlange zwischen Un­terholz und tropi­schen Pflanzen win­det, dieses Gesetz, klagt Henry Fiol, mit Saxophon, Congas und eindringli­cher Stimme, ay, es wird sich niemals ändern, nunca nunca cambiará.
Henry Fiol bemalt seine Plattencover zu Titeln wie “Das Geheimnis” oder “Glaube, Hoffnung und Barmherzig­keit” mit mysti­scher und wilder Natur, mit weißen Pfer­den in der dunklen Brandung des letzten Sonnenlichts, mit Königspalmen unter violettschimmern­den Wolken, Bananen­stauden und Hi­biskusblüten. Es herrscht eine Stim­mung wie in den frühen Ge­dichten Antonio Machados, las ascuas de un crepúsculo morado, also Melancho­lie, aber in tropische Landschaft versetzt und, statt lyrischer Lautmalerei, in viel Moll arrangiert.
In den siebziger Jahren gehört Henry Fiol zu den jungen Musikern in New York, die den traditionellen Son bereichern, ohne daraus Salsa zu pro­duzieren, wie Ruben Blades oder Willie Colón. Deshalb musi­ziert Fiol neben dem Mainstream, aber von exzellenten Musikern wie Roberto Torres, Alfredo Valdés oder “Chocolate” Armenteros begleitet und gefördert. Henry Fiol setzt auf die großen Soneros der 40er und 50er Jahre, auf Abelardo Barroso, Cheo Marquetti, Joseíto Fernández, Beny Moré oder Miguel Cuní, und läßt sich vom feeling der Guajiras inspirieren, der Bauerngesänge aus dem kubanischen Ori­ente, und damit von der Stimme des großen Guillermo Portabales, ay qué rico, mamá. Henry Fiol lernt Querflöte, Anfang der 60er Jahre, zwischen den Brandmau­ern der Bronx und mit der eigenen Platten­sammlung, als Pachanga und Charanga florieren und Johnny Pacheco zu sei­nem Instrument greift, díselo tú, Pacheco. Später, bei den Latin-Jam-Sessions und Rumbas in den barrios von New York, begeistert sich Fiol für die afrokubanische Percussion, bongooó, aber auch für die Aufgabe des cantor, des Sängers. Henry Fiol begreift, daß Oriente, mit Guaji­ras und Boleros, mit dem Rhythmus des Son und mit Schwermut und Moll, nichts an­deres ist als der Blues aus der Kari­bik, und wie der Blues die Grundlage des Rock’n Roll, so bilden Guajira und Son die Basis der Salsa. Mit klagendem Saxo­phon und einer Stimme zwi­schen Barroso und Portabales unternimmt Henry Fiol eine Expedition nach Oriente/El Dorado, durch die Spiel­höllen, den Dschungel und die Anonymität der Großstadt, zwischen Brandmauern und Guaguancó-Ge­trommel in den Straßenschluchten:

Nací en Nueva York
en el condado de Manhattan
donde perro come perro
y por un peso te matan

Henry Fiol hält die weiße Taube in den Händen mit der Eleganz des Gentleman, dem feeling des puerto­rikanischen Sonero, mit der Utopie eines Künstlers, der Pa­paya- und Mangobäume auf die Brand­mauern sprayt und dessen wilde Natur, baby, scheinbar zum Krawattenmuster ge­bändigt ist. Die Welt ist ein Dschungel, y como la rata al queso, somos adictos al peso, aber Henry Fiol setzt dieser Welt, mit der Ökologie des Geistes und der Ka­denz einer Guajira, sein Geheimnis des Lebens entgegen: Harmonie und Respekt voreinan­der, respeto ná má…, auch wenn du so schmackhaft aussiehst wie du kochst, baby. Der Rest ist “Corazón Mu­sic”, etwas Spanglish, mittlerweile ein Inde­pendent-Label, heiße Conga-Percus­sion, eine schmetternde Trompete und diese Stimme – qué dulzura…

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