Zwischen Modern Dance und Revolution
Alma Guillermoprieto zeichnet in ihrem autobiografischen Buch das Bild einer verlorenen Generation im Kuba der 1970er Jahre
Die Mexikanerin Alma Guillermoprieto, aufgewachsen in den Vereinigten Staaten, ist in Amerika bekannt als profilierte Journalistin und gilt als eine Autorität auf dem Gebiet der politischen Reportage. Ihre Analysen der Ereignisse in Lateinamerika erschienen unter anderem in der New York Review of Books, der New York Times und der Washington Post.
Ihr beruflicher Werdegang begann jedoch als junge ehrgeizige Tänzerin in Havanna. 1970 nahm Alma Guillermoprieto, die in New York bei Martha Graham und Merce Cunningham studiert hatte, das Angebot an, an der Nationalen Kunstschule Modern Dance zu unterrichten.
Diese Monate in Havanna waren entscheidend für ihr weiteres Leben: Eine schwere innere Krise voller Selbstzweifel kollidierte mit dem ersten Tiefpunkt der kubanischen Revolution. 1970 war das Jahr, in dem Kuba die abgehackten Hände des Che zurückbekam und das Jahr, in dem die große Zuckerrohrernte, die Kubas wirtschaftliche Eigenständigkeit gegenüber der Sowjetunion hätte bringen sollen, scheiterte – das Land geriet damit an den Rand des Zusammenbruchs. Überall in Lateinamerika versuchten studentische Guerillagruppen gegen die bitteren alten Zustände anzurennen. Gut 30 Jahre später betrachtet und reflektiert die gestandene Journalistin Guillermoprieto in diesem Buch nun ihr unsicheres junges Selbst von damals, die historischen Ereignisse, die Menschen und die Gefühle im Spiegel der Erinnerung.
Die Tänzerin Alma sieht sich hier zum ersten Mal mit den politischen Realitäten Kubas konfrontiert. Sie fühlt mit den Armen und Unterdrückten während gleichzeitig ihre Ambivalenz gegenüber der Revolution wächst. Angesichts der harten Lebensumstände der Kubaner unter der Mangelwirtschaft, der Borniertheit der FunktionärInnen und der Arroganz der Kämpfer und angesichts des allgegenwärtigen antikulturellen Ressentiments der kubanischen Führung stellt sich für Alma immer mehr die Frage, ob sie angesichts des Elends in der Welt überhaupt Tänzerin sein will. Und ob diese Revolution der Ausweg aus dem Elend sein soll.
In Guillermoprietos sehr authentischem Spiegelbild trifft spät gewonnene Erkenntnis auf jugendliche Emotionalität und entwirft damit das Bild einer fragenden und zornigen Generation, die in den politischen Kampf zog und darin unterging. In Havanna arbeitete Alma Guillermoprieto fast ein Jahr lang mit ihren SchülerInnen in Studios ohne Spiegel. Diese waren als Symbol bürgerlicher Eitelkeit und Dekadenz kurzerhand von den Funktionären entfernt worden.
Während Guillermoprietos Zeit in Havanna spitzt sich der Widerspruch zwischen den Prämissen der Revolution und denen des Modern Dance immer mehr zu und entlädt sich in einem offenen Konflikt zwischen der Schulleitung und den Studenten. Das Misstrauen der Funktionäre gegenüber jeder Art von Kunst und ihre latente Furcht vor Homosexualität lässt die Stimmung immer mehr in Aggressivität umschlagen.
Havanna im Spiegel ist ein bemerkenswertes Buch. Alma Guillermoprieto verliert sich nicht in nostalgischen Schilderungen. Stattdessen schildert sie eines der schwierigsten Jahre der Kubanischen Revolution mit der Empathie einer jungen Frau, die damals an dieses Projekt glauben wollte und es mit verhaltener Melancholie der Journalistin von heute für gescheitert hält.
Alma Guillermoprieto // Havanna im Spiegel – Eine Erinnerung an die Revolution // Berenberg Verlag // Berlin 2009 // 19,90 Euro