Editorial | Nummer 370 - April 2005

Argentiniens Verhandlungscoup

Es geht ein Gespenst um unter den BesitzerInnen von Staatsanleihen in dieser Welt: Die Angst, dass das Beispiel von Argentiniens gnadenloser Umschuldungsaktion Schule machen könnte. Um sage und schreibe 67 Milliarden US-Dollar hat sich das südamerikanische Land auf einen Schlag entschuldet und dabei alle Drohungen von GläubigerInnen, Regierungschefs und Internationalen Währungsfonds (IWF) in den Wind geschlagen.

Es geht doch. Niemals in der Finanzgeschichte hat ein Staat einen solch hohen Zahlungsverzicht seiner privaten GläubigerInnen gefordert – geschweige denn bekommen. Mit dem Messer in der Tasche haben über drei Viertel aller privaten GläubigerInnen auf fast drei Viertel ihres in argentinische Anleihen investierten Vermögens verzichtet. Sie wussten, dass ihr Messer stumpf ist. So paradox es klingt: Das bis über beide Ohren verschuldete Argentinien hatte eine komfortable Verhandlungsposition. Seit Beginn der Krise Ende 2001 läuft die argentinische Wirtschaft nahezu ohne ausländische Kapitalzuflüsse und in den letzten zwei Jahren mit hohen Wachstumsraten von über acht Prozent.

Und auch wenn die Wirtschaftsleistung noch nicht annähernd das mit steigender Auslandsverschuldung teuer erkaufte Niveau der neunziger Jahre hat, konnte Argentiniens Präsident Néstor Kirchner schon in seinen Verhandlungen mit dem IWF verkünden: Zur Not gehe es auch ohne ihn. Kurz: Argentinien ist im Moment nicht auf Auslandskapital angewiesen. Der IWF scheint dies ähnlich zu sehen, denn trotz Aufforderung von Italiens Premier Silvio Berlusconi und Deutschlands Finanzminister Hans Eichel, stärker Druck auf Buenos Aires auszuüben, hat sich der IWF für seine Verhältnisse merklich zurückgehalten. Nicht zuletzt weil Argentinien dem IWF bis jetzt noch keinen Cent schuldig geblieben ist. Das soll so bleiben. Die harte Linie gilt ausschließlich den privaten AnlegerInnen. “Wir können die Schulden nicht auf Kosten des Hungers und der sozialen Ausgrenzung der ArgentinierInnen zahlen” gab Kirchner die Marschroute aus. Das ist ein löblicher Vorsatz.

Doch dass andere Länder sich künftig an Argentinien ein Beispiel nehmen, ist so wahrscheinlich nicht. Zu spezifisch war Argentiniens Verhandlungsposition und der totale Zusammenbruch der Wirtschaft 2002 als Ausgangspunkt dieser Konstellation dürfte kaum zur Nachahmung animieren. Länder, die wie Brasilien nach wie vor auf ausländische Direktinvestitionen und Auslandskapital als zentralen Bestandteil ihrer Wirtschaftsstrategie setzen, werden einen Teufel tun, und Argentiniens Beispiel folgen. Von wirtschaftlichen Zwergen wie Ecuador oder gar Nicaragua mal ganz abgesehen, deren Verhandlungsmacht gegen Null tendiert.

Auf alle Fälle können die BesitzerInnen von Staatsanleihen weiter ruhiger schlafen als Aktionäre von Borussia Dortmund. Richtig Angst haben müssten sie nur bei einer konzertierten Aktion aller oder wenigstens wesentlicher Schuldnerländer. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat selbiges angeregt, ist mit Kirchner, Lula und Tabaré Vázquez im Gespräch und hat als Morgengabe gleich für eine halbe Milliarde US-Dollar argentinische Staatsanleihen aufgekauft. Chávez als netter Gläubiger. Nur bisher ist auch aus der mehrfach angekündigten Zusammenarbeit von Kirchner und Lula in Sachen Schuldenfragen real nichts geworden. Es blieb bei Rhetorik. Kirchner hat nun alleine gehandelt. Gut für Argentinien, das nun ein wenig mehr Spielraum für Sozialpolitik hat. Das ist nicht wenig in diesen Zeiten. Eine Revolution freilich ist etwas anderes.

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