Editorial Ausgabe 358 – April 2004
Selten gab es einen lateinamerikanischen Diktator, der in Deutschland so viel Sympathie genoss. Jorge Rafael Videla galt als korrekt, höflich und zutiefst katholisch. Der „längst überfällige Putsch gegen die unfähige Vorgängerin“, wie etwa die Stuttgarter Zeitung im Juni 1976 jubelte, schien vielen Journalisten und Politikern ein notwendiges Projekt, um das Land vor dem Zerfall zu retten.
Dabei hatte Videla nie einen Zweifel daran gelassen, wie er sich die Rettung vorstellte. „Es müssen so viele Menschen wie nötig in Argentinien sterben, damit das Land wieder sicher wird“, erklärte er. In den folgenden Jahren töteten die Militärs etwa 30.000 politische Gegner. Das Terrorregime unterhielt beste Beziehungen zu der damaligen Bundesregierung. „Unter den westlichen Ländern war und ist die Bundesrepublik Deutschland der beste Freund und Helfer der Militärdiktatur“, schrieb 1982 der argentinische Schriftsteller Osvaldo Bayer.
Ein paar Jahrzehnte später haben sich die Umstände verändert. Heute gilt der einstige Garant für Stabilität und Ordnung als potenzieller Krimineller. Anfang März beantragte das Auswärtige Amt in Berlin die Auslieferung von Videla. Deutschland halte es für wichtig, meinte eine Sprecherin des Amtes, dass den Militärs der Prozess gemacht werde.
Ein Verfahren gegen Angehörige der ehemaligen Junta passt derzeit gut ins Konzept der Bundesregierung. Sie kann damit ihr Engagement für die Menschenrechte beweisen und gleichzeitig kaschieren, dass sie sich dennoch mit autoritären Regimen, die noch in Amt und Würde sind, gut versteht. So wurden beispielsweise in China im vergangenen Jahr fünf Mal so viele Menschen hingerichtet wie in allen anderen Ländern weltweit. Was macht das Kanzleramt? Es droht nicht mit Sanktionen, sondern will Peking einen Plutoniumreaktor liefern. Ebenso unterhält es mit der iranischen Führung, die fast die gesamt Opposition liquidieren oder ins Exil treiben ließ, einen „kritischen Dialog“ und rühmt die gute wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Dass wenigstens die argentinischen Ex-Militärs zumindest nachträglich nicht mehr hofiert, sondern verurteilt werden sollen, liegt daran, dass sie viele Hoffnungen enttäuschten. So gelang es ihnen nicht, die wirtschaftliche Lage des Landes zu stabilisieren, wie es vor allem die deutschen Unternehmen erwartet hatten, die damals massiv in Argentinien investierten.
Die Junta hatte aber auch das Pech, dass sie einen falschen Krieg führte. Im Gegensatz zu ihren chilenischen Kollegen beschränkten sie ihre Feldzüge nicht auf die politischen Gegner und die unteren sozialen Schichten. Sie legte sich 1982 wegen einer öden Insel und ein paar Schafen auch noch mit dem deutschen Nato-Partner Großbritannien an.
Der katastrophale Ausgang des Unternehmens diskreditierte die Militärs nicht nur dauerhaft im eigenen Land. Die ehemals so freundlichen westlichen Staaten setzen ebenfalls wieder auf zivile Regierungen. Die Subversiven hatte Videla schließlich schon erledigt.
Wie etwa die Studentin Elisabeth Käsemann, die 1977 von einem Todesschwadron verschleppt und anschließend grausam ermordet worden war. Ihr Vater beschuldigte später das Auswärtige Amt, es trage eine nachweisbare Mitschuld an ihrem Tod. Wegen der hervorragenden Beziehungen der Bundesregierung zu der argentinischen Regierung hätte das Ministerium seine Tochter retten können.
Doch selbst auf das Angebot der Militärs, sie zwei Monate nach ihrer Entführung gegen Kaution freizulassen, reagierten die Mitarbeiter des deutschen Botschafters Jörg Kastl nicht. Unter anderem wegen diesem Fall beantragt das Auswärtige Amt nun die Auslieferung des Ex-Diktators.
So wünschenswert es daher auch sein mag, dass finstere Gestalten wie Videla keinen ruhigen Lebensabend genießen können, darf man sich damit nicht begnügen. Wollte das Auswärtige Amt tatsächlich die Umstände juristisch aufarbeiten, die schließlich zum Tode von Elisabeth Käsemann und von vielen anderen führten, kann es sich nicht auf die Auslieferung von Videla beschränken. Konsequenterweise müsste es dann auch gegen sich selbst ermitteln.