Editorial Ausgabe 375/376 – September/Oktober 2005
Die Absage ist kategorisch: Von den ZapatistInnen bekommt der Hoffnungsträger nicht weniger mexikanischer Linken keinerlei Unterstützung. Der Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador (AMLO) von der sozialliberalen PRD gilt der chiapanekischen Befreiungsarmee EZLN als Teil der korrupten mexikanischen Politik, persönliche Integrität hin oder her. Die medienwirksam durch AMLO angekündigte Umsetzung des Autonomieabkommens von San Andrés, das der indigenen Bevölkerung die Kontrolle über die Ressourcen in Chiapas übertragen soll, bezeichnen die ZapatistInnen schlicht als Lüge, um Stimmen im Wahlkampf zu gewinnen.
Die Abrechnung mit der institutionellen mexikanischen Politik ist Teil der sechsten Deklaration, mit der sich die ZapatistInnen nach vier Jahren wieder in der medialen Öffentlichkeit zurückgemeldet haben. Vier Jahre nachdem der Marsch auf die Hauptstadt zwar eine massive Mobilisierung der Zivilgesellschaft, aber lediglich ein stark verwässertes Autonomiegesetz erwirkt hat – ohne das in San Andrés versprochene einklagbare Recht auf politische Autonomie und ohne Souveränität über die Ressourcen in den indigenen Gebieten. Sprich: ohne substanzielle Verbesserung der prekären Situation der Indígenas durch institutionelle Politik.
Für die ZapatistInnen ist spätestens seitdem klar: Eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse lässt sich nicht über die Parlamente bewerkstelligen. Land, Arbeit, Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Bildung, Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit, Unabhängigkeit. Das waren die Forderungen zu Beginn der Rebellion 1994 und das sind sie noch heute. Parteipolitischer Konjunktur wollen sie diese nicht opfern. Stattdessen streben sie an, die Basis an UnterstützerInnen für ihre Forderungen zu erweitern.
Die „andere Kampagne”, die derzeit von den guerilleros nun auf nationaler und internationaler Ebene organisiert wird, ist in erster Linie eine Kampagne des Zuhörens. Die ZapatistInnen haben es sich zum Ziel gesetzt, auf einer Reise durch Mexiko die Stimmen der unterschiedlichen Kämpfe anzuhören. Anstatt den Menschen zu sagen, was sie zu tun haben, sollen diese nach ihrem Leben und ihren Gedanken befragt werden. Das bedeutet letztendlich auch, dass niemand aufgefordert wird, für einen bestimmten Kandidaten zu stimmen – schon allein, weil aus zapatistischer Sicht der Neoliberalismus die gesamte politische Klasse in Mexiko erfasst hat.
Die Entscheidung, ob eine linke Bewegung linke parlamentarische Politik unterstützt oder nicht, kann von Land zu Land, von Zeit zu Zeit und von Bewegung zu Bewegung durchaus unterschiedlich beantwortet werden. Die zapatistische Antwort lautet: Ya basta. Als eine möglichst breite und partizipative Basisbewegung wollen die ZapatistInnen schlicht nichts mit dem Zirkus der mexikanischen Parteipolitik zu tun haben. Der zapatistische Kampf soll vielmehr mit den Kämpfen marginalisierter Gruppen und Personen aus Mexiko und der ganzen Welt vernetzt werden. Das Projekt wird angenommen: Unterschiedlichste Gruppen sind seit August auf den Treffen der ZapatistInnen zusammengekommen.
Der Prozess gewinnt an Dynamik, wobei die „andere Kampagne” nicht auf die Wochen eines Wahlkampfs oder die Zeit einer Legislaturperiode angelegt ist, sondern viele Jahre dauern wird. Es werden keine Versprechungen gemacht, sondern zugehört und gemeinsam gehandelt. Das ganze Projekt ist unfertig und auf dem Weg. Doch gerade deshalb bietet es einen Raum für Politik jenseits des Machtgeschachers der mexikanischen Parteien. Und die Richtung steht fest: „nach unten und nach links”.