Editorial | Nummer 405 - März 2008

Einseitige Schuldzuweisung

Unbestritten: Es war eine eindrucksvolle Demonstration am 4. Februar. Millionen Menschen zogen unter dem Motto „No más FARC“ (Keine FARC mehr) durch verschiedene Städte Kolumbiens. Dass ein Internetaufruf eines halben Dutzend junger KolumbianerInnen weltweit in wenigen Wochen Menschenmassen mobilisieren konnte, die seit Jahren resigniert und passiv dem Schicksal ihres Landes zusehen, überrascht auf den ersten Blick. Dass diese sich explizit gegen die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) richteten, weniger: Die Bilder der Ende letzten Jahres veröffentlichten Videos, die beweisen sollten, dass seit Jahren entführte Menschen in der Gewalt der FARC noch leben, brannten sich in den Köpfen der KolumbianerInnen ein. Abgemagert und stumm standen die Opfer vor der Kamera und gaben den Qualen Ausdruck, in denen sich hunderte Entführte befinden, die teils angekettet von einem Tag in den nächsten leben. Das Spektakel um die Freilassung von zwei Entführten zum Jahreswechsel und die daran anschließende Forderung des vermittelnden venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez nach einer Anerkennung des Kriegszustands in Kolumbien, brachten die Emotionen zum Überkochen. Bis zu vier Millionen Menschen machten auf der Straße deutlich, dass sie die Nase voll haben von den FARC und nicht bereit sind, diesen politische Zugeständnisse zu machen. Doch auf den zweiten Blick ist auch die hohe Anzahl der TeilnehmerInnen wenig verwunderlich, schließlich gab es in den Massenmedien penetrante Aufrufe zur Demonstration und eine breite Unterstützung durch PolitikerInnen bis hin zu Gustavo Petro, Senator des linksgerichteten Polo Democrático Alternativo.

Bei allem Verständnis für den Unmut über die FARC, deren Verstrickung in das Drogengeschäft und oft brutales Auftreten in den von ihnen kontrollierten Gebieten keinerlei Sympathie verdient, ist die einseitige Schuldzuweisung an die FARC im kolumbianischen Konflikt ein gefährlicher Kurzschluss. Menschenrechtsorganisationen und Angehörige der FARC-Gefangenen werfen den DemonstrantInnen zu Recht vor, die Verhandlungsbasis für einen humanitären Austausch zu untergraben. Eines steht jedenfalls fest: Die Gewalt durch Armee und Paramilitärs, Morde, Verschwindenlassen und Vertreibungen, waren kein akzeptiertes Thema auf den Massendemonstrationen. Der Schmerz und die Forderungen der Betroffenen sind in dieser einseitig geprägten Öffentlichkeit nicht vertreten. Gustavo Moncayo, Vater eines entführten Soldaten, wurde von einer Demonstration vertrieben, weil er sich in seiner Rede für eine Vermittlung von Chávez eingesetzt und auch die Verantwortung der Paramilitärs anzusprechen versucht hatte. Militaristische Parolen überwogen auf den Kundgebungen, von einem Verhandlungswillen war wenig zu spüren. Wasser auf die Mühlen des Präsidenten Álvaro Uribe, der nach wie vor von einer militärischen Lösung träumt. Dabei ist belegt, dass Uribes politische Rechte, Drogenhandel und Paramilitärs symbiotische Beziehungen entwickelt haben. Die Paramilitärs besteuern nicht nur wie die FARC den Drogenanbau, sie kontrollieren einen Großteil des Handels. Über 3.000 Menschen fallen dem Bürgerkrieg jährlich zum Opfer. Staatlicher und parastaatlicher Terror liegt dabei weit vor den Verbrechen der Guerilla. Die sozialen Ursachen des Konflikts werden von Uribe schlicht geleugnet: Kein Wort über die ungerechte Verteilung an Boden und Einkommen. Heute kontrollieren 0,4 Prozent der LandbesitzerInnen mehr als 60 Prozent der Böden, fast doppelt soviel wie 1984.

Wie tiefgründig die kolumbianische Gesellschaft den von den Medienmonopolen des Landes einseitig zu Lasten der FARC dargestellten militärischen Konflikt verstanden hat, wird am 6. März ersichtlich. Für diesen Tag hat die Nationale Bewegung der Opfer staatlicher Verbrechen, ein Zusammenschluss verschiedener kolumbianischer Nichtregierungsorganisationen, zu einer Demonstration gegen den Paramilitarismus aufgerufen. Die Regierung hat bereits angekündigt, diese Demonstration nicht zu unterstützen. Wenn die Menschen an diesem Tag nicht ähnlich massiv auf die Straße gehen wie am 4. Februar, bleibt nur ein schlechter Nachgeschmack dessen, was eine der größten Demonstrationen in der Geschichte Kolumbiens war.

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