Editorial | Nummer 391 - Januar 2007

Feiern mit bitterem Nachgeschmack

Augusto Pinochet hat sich zum Teufel geschert. Endlich. Ein guter Grund, die Flasche Carretillero del Diablo zu öffnen, die seit vielen Jahren im Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) steht. Ein edler Tropfen, extra kreiert, um den Abgang des chilenischen Massenmörders zu feiern. Doch ganz ohne bitteren Nachgeschmack lassen sich die Gläser vorerst nicht leeren.
Die Chile-Nachrichten, Vorläufer der heutigen Lateinamerika Nachrichten, sind 1973 in Solidarität mit der Regierung Salvador Allendes entstanden, wenige Wochen vor dem blutigen Putsch der Militärs. Nach Pinochets Machtübernahme machte es sich die Zeitschrift zur Aufgabe, hierzulande eine Gegenöffentlichkeit zur Propaganda der Militärs herzustellen und über Menschenrechtsverletzungen, Mord und Folter unter Pinochets Herrschaft zu berichten. Dasselbe gilt insbesondere für das 1974 gegründete FDCL, mit dem unsere Redaktion eng verbunden ist.
Die Notwendigkeit einer solchen Gegenöffentlichkeit ist durch Pinochets Tod keineswegs verschwunden. Denn auch wenn Pinochet und die lateinamerikanischen Diktaturen der Vergangenheit angehören, der Kampf um Aufklärung ihrer zahllosen Verbrechen tut es nicht. „Seit 15 Jahren hat die Redaktion dieser Zeitschrift darauf gewartet, dafür gearbeitet, sich darauf gefreut, dass die Mehrheit der Chileninnen und Chilenen eines Tages Gelegenheit bekäme, dem Diktator Pinochet deutlich zu sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll.“ So begann ein Editorial der Lateinamerika Nachrichten nach Pinochets Niederlage beim Plebiszit 1988, um wenige Sätze später diesen Teilsieg zu bewerten: „Leider ist damit der Diktator noch nicht da, wo er hingehört.“ Hinter Gittern. Jetzt ist er mit seinem Tod einer Verurteilung entkommen.
Amigos, misión cumplido«. So hatte Pinochet einst seinen Putsch gegen Salvador Allende und die „Errungenschaften“ der nachfolgenden Diktatur stolz bilanziert. „Errungenschaften“ wie die radikale Zerschlagung der Gewerkschaften, weswegen es nicht wundert, dass sich ausgerechnet seine Schwester im Geiste, Großbritanniens Ex-Premierministerin Margaret Thatcher, „tieftraurig“ über den überfälligen Abgang zeigte. Dabei ist aus Sicht seiner FreundInnen selbst seine letzte Mission geglückt: Durch den Tod hat es der gläubige Katholik endgültig geschafft, sich für seine Verbrechen nicht vor einem irdischen Gericht verantworten zu müssen.
Mehr als ein letzter Pyrrhussieg ist das freilich nicht. Die Anzahl der AnhängerInnen Pinochets nimmt seit seinem 16-monatigen Exil in London, in das ihn 1998 ein Auslieferungsverfahren des spanischen Richters Baltasar Garzón zwang, stetig ab. Pinochets Allmacht, durch das Plebiszit bereits angeschlagen, war damit endgültig gebrochen. Sein Selbstbild des Retters vor dem Kommunismus wird in Chile und anderswo nur noch von wenigen geteilt.
Selbst viele einstige AnhängerInnen Pinochets haben sich längst von ihm abgewandt und auch die Nachrufe in konservativen deutschen Zeitungen wie Welt und FAZ, die Pinochets Machtübernahme einst euphorisch begrüßt hatten, gingen auf Distanz. An der Realität kommt auf Dauer eben keiner vorbei. Und in der Realität zeigte sich Pinochet erbärmlich – ob während seiner Regentschaft oder im Verlauf der Verfahren, die nach seiner Rückkehr aus London gegen ihn angestrengt wurden: Uneinsichtig bis der Arzt kommt, um dem starken Mann einen „Schwächeanfall“ zu attestieren. Er plädierte auf Demenz und war doch offenkundig nicht dement genug, um nicht mitsamt seinen AnwältInnen eine Strategie zu entwickeln, Verantwortung zu leugnen und Aufklärung zu verhindern.
Dennoch kann und wird der Tod Pinochets keinen Schlusspunkt unter die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen setzen. Die MenschenrechtlerInnen werden nicht ruhen, bis die Militärs alle Informationen über die Verschwundenen auf den Tisch legen. Nur so können die Angehörigen der Opfer zumindest Klarheit über das Schicksal ihrer Verwandten erlangen. Die Aufhebung der Selbstamnestie der Militärs, zu der sich der Oberste Gerichtshof jetzt durchgerungen hat, war lange überfällig. Dass dies erst wenige Tage nach Pinochets Ableben erfolgte, ist ernüchternd. Dennoch: Pinochets Tod muss der Anfang vom Ende der Straflosigkeit in Chile sein. Erst wenn das geschafft ist, wird sich die Flasche Carretillero del Diablo ganz ohne bitteren Beigeschmack genießen lassen.

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