// Aufstieg und Fall eines Clowns
Editorial Ausgabe 454 – April 2012
Er könnte einem fast leidtun. Chiles Präsident Sebastián Piñera hat einen steilen Abstieg hinter sich. Dabei war er als Hoffnungsträger der Konservativen gestartet. Nach zwanzig Jahren Demokratie, in denen ununterbrochen Präsident_innen des Mitte-Links Bündnisses Concertación in Regierungsverantwortung gewesen waren, kam 2010 erstmals ein Präsident der chilenischen Rechten an die Macht. Mit seinem neu gegründeten Parteienbündnis Coalición por el Cambio, der Koalition für den Wandel, gewann er die Wahl. Wandel, das war wohl das Stichwort, mit dem er die Wahl für sich entscheiden konnte, schließlich war dies der Wunsch der Mehrheit der Chilen_innen.
Für dieses Versprechen fehlte dann aber zunächst die Zeit: Die ersten Monate der Regierungszeit Piñeras waren vom Wiederaufbau geprägt, nachdem im Februar 2010 eines der stärksten je gemessenen Erdbeben Chile erschütterte. Piñera hatte hierdurch die Möglichkeit, sich als Retter zu inszenieren und konnte so die Versäumnisse seiner Vorgängerregierung anprangern – eine ideale Ausgangsposition, um die ersten Monate zu überstehen.Doch es kam noch besser für Piñera. Zynischerweise war es wieder eine Katastrophe, die für den Präsidenten zum Glücksfall wurde. Als bei dem Minenunglück vom August 2010 33 Kumpel verschüttet wurden, bot sich erneut eine Möglichkeit, den Krisenmanager zu mimen. Nach mediengerecht aufgezogener Rettung der Kumpel sonnte sich Piñera in Umfragewerten, die ihm mehr als 80 Prozent Zustimmung bescheinigten. Piñeras Grinsen überstrahlte dabei die offensichtlichen Mängel bei der Kontrolle von Sicherheits- und Arbeitsstandards in den vielen Minen im Norden Chiles.
Nachdem sich dann herausstellte, dass die Wiederaufbauarbeiten in den von Erdbeben und Tsunami zerstörten Gemeinden mehr als schleppend vorangingen, wurden erste Kritiken laut. Den ersten Sargnagel für Piñeras Projekt „Präsidentschaft“ aber lieferten die Student_innen und Schüler_innen, die schon 2006 riesige Proteste losgetreten hatten, die mit Reformversprechen und kosmetischen Änderungen aber wieder befriedet werden konnten. Ab Mai 2011 begann schließlich eine in Zeiten der postdiktatorischen chilenischen Demokratie nie gesehene Mobilisierungswelle, an der sich teilweise eine Million Chilen_innen beteiligten. Mit ihrer Forderung nach einem Bildungssystem, das nicht wie ein freier Markt organisiert sein soll, stießen sie bei der Regierung auf taube Ohren. Problematisch wurde das Ganze, als klar wurde, dass Umfragen zufolge 80 Prozent der Chilen_innen sich hinter die Forderungen der Bildungsproteste stellten. Piñera, der „Retter der 33“ und „ewiger Strahlemann“, – wegen seines ständigen Grinsens mittlerweile auch „Payaso“ (Clown) genannt –, sank in den Umfragen zwischenzeitlich auf Zustimmungswerte von nur rund 20 Prozent.Seither konnte er auch nicht einmal ansatzweise seine ursprüngliche Popularität zurückgewinnen.
Doch die Bildungsproteste bilden nur einen Teil der Proteste, die der Regierung derzeit um die Ohren fliegen. Hafenarbeiter_innen legten im Februar für Tage den Warenverkehr lahm, die Mapuche, die schon mit allen Vorgängerregierungen in Konflikt geraten waren, protestieren wieder – und aktuell hat sich mit Aysén eine ganze Region gegen die Regierung und ihr neoliberales Politikmodell gestellt. Die Versuche der Regierung, die jeweiligen Proteste mit Repression und Verhandlungen zu beschwichtigen, scheitern am laufenden Band. Präsident Piñera glänzt hierbei vor allem durch Abwesenheit: entweder ist er auf Staatsbesuch oder aber er schweigt einfach. Das eigentliche Regierungshandeln überlässt er Innenminister und Hardliner Rodrigo Hinzpeter. Wenn Piñera dann auch von seinem Amt abtreten würde, könnte er sich getrost auf sein Altenteil zurückziehen. Er ist immer noch der viertreichste Chilene und wird seinen politischen Niedergang, der spätestens bei den nächsten Präsidentschaftswahlen kommen wird, weich gefedert überstehen – und das Mitleid darüber wird sich in Grenzen halten.