Editorial | Nummer 361/362 - Juli/August 2004

Reagan ist tot – Ein Nachtritt

Bereits zu Lebzeiten war er eine Legende, der Flughafen der US-Hauptstadt Washington trägt seit Jahren seinen Namen. Ronald Reagan zählt nach dem Urteil der US-Bevölkerung zu den bedeutendsten Präsidenten in der Geschichte der USA. Deshalb wollen seine Anhänger ihn jetzt, nach seinem Ableben, auf einer Dollarnote verewigt sehen. Oder in Granit gehauen, neben seinen Vorgängern Washington, Jefferson, Lincoln und Theodore Roosevelt am Mount Rushmore.

Selbst Berlins rot-roter Senat verneigte sich vor dem Toten und ließ zur Trauerfeier Halbmast flaggen. Die ehemals eiserne Lady Margaret Thatcher erntete begeisterte Zustimmung, als sie den Verstorbenen als Helden, Visionär und Freiheitskämpfer ehrte. Aus der Reihe fiel nur ein Oberst namens Muammar al-Ghaddafi, der zutiefst bedauerte, dass Reagan gestorben sei, ohne dass er für das 1986 von ihm begangene abscheuliche Verbrechen an libyschen Kindern bestraft wurde.

Ghaddafi besitzt eine etwas eingeschränkte Sicht der Dinge. Denn die Bombardierung von Wohnvierteln in Bengasi, auf die er anspielt, war weder das einzige Verbrechen Reagans noch das abscheulichste. Dabei setzte Thatchers Held abgesehen von einem Überfall auf die Karibikinsel Grenada und einer Invasion im Libanon selten seine Armee ein. Aber er säte Krieg und Terror, wo immer sein Hass auf den Kommunismus oder seine strategischen Interessen es ihm geboten. Um die Sowjetunion auszubluten, schickte der angebliche Visionär für mehrere Milliarden Dollar Waffen an die afghanischen Mudjahedin und nährte damit auch jene Brut, die später die Taliban und Al Qaida hervorbrachte. Und zusammen mit seinem Sondergesandten Donald Rumsfeld, den er ab 1983 mehrmals nach Bagdad schickte, lieferte er Saddam Hussein die nötigen Waffen für seinen Angriffskrieg gegen den Iran.

Für Reagan war Freiheit immer die Freiheit der Gleichgesinnten. Als sich die nicaraguanische Bevölkerung von der Somoza-Diktatur befreit hatte, ließ der vermeintliche Freiheitskämpfer die Häfen des mittelamerikanischen Landes verminen und in Florida eine Söldnerbande ausbilden, die von Honduras aus zehntausende NicaraguanerInnen ermordete. Im benachbarten El Salvador rettete Reagan im Namen der Freiheit mit einer milliardenschweren Militärhilfe das Überleben eines Regimes, das Todesschwadronen auf die Bevölkerung hetzte. Das Resultat waren 70.000 politische Morde und ein zehnjähriger Bürgerkrieg. Schließlich durfte der indonesische Diktator Suharto unter Aufsicht des US-Botschafters Paul Wolfowitz in Osttimor die Freiheit einer in die Unabhängigkeit entlassenen Bevölkerung ersticken und mit US-Waffen zehntausende Menschen massakrieren.

Altkanzler Kohl, der gemeinsam mit Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg vor den Gräbern von SS-Mördern strammstand, beklagte den Verlust eines geradlinigen, zuverlässigen und treuen Freundes. In Treue verbunden war Reagan aber ebenso dem südafrikanischen Rassistenregime und Diktatoren vom Schlage eines Rios Montt, der bei seinem Völkermord in Guatemala freie Hand bekam. Nur geradlinig war der ehemalige Hollywoodstar, der als Vorsitzender der Schauspielergewerkschaft während der McCarthy-Ära Kollegen beim FBI denunzierte, nicht immer. Als der US-Kongress Waffenlieferungen an die Contra in Nicaragua untersagte, versuchte es Reagan auf die krumme Tour: Seine Freiheitskämpfer wurden fortan aus den Erlösen illegaler Waffenverkäufe in den Iran und aus Drogengeschäften finanziert.

Bei allen infamen Lügen über den Verstorbenen sollte eines klar bleiben: Reagan war zwar einer der brutalsten und zynischsten Präsidenten der jüngeren US-Geschichte, aber beileibe nicht der einzige dieser Art. Insofern passt er ausgezeichnet an die Seite von Theodore Roosevelt am Mount Rushmore. Denn dessen berühmtester Ausspruch lautete: „Sprecht sanft, tragt immer einen großen Knüppel bei euch, und ihr werdet es weit bringen.“ Ronald Reagan hat es mit dem Knüppel bis zur Legende gebracht.

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