Editorial | Nummer 347 - Mai 2003

Schröder modernisiert die Armut

Schröder ist dem Millenniumsgipfel mit seiner Agenda 2010 weit voraus.

Hehre Ziele steckte sich die internationale Staatengemeinschaft auf dem Gipfel der Vereinten Nationen zum Jahrtausendwechsel: bis zum Jahr 2015 soll weltweit die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen halbiert werden. Nur: es wird nicht gelingen. Zu gering ist das Interesse der Industrieländer. Das nötige Geld für die rund 1,2 Milliarden betroffenen Menschen stecken sie eher noch in Rüstung. Sie haben erst recht nicht vor, jene Politiken zu ändern, die zur Armut in den Ländern des Südens beitragen. Die Subventionierung der Agrarexporte wird nicht reduziert, die eigenen Märkte für Produkte aus den Entwicklungsländern bleiben weitgehend geschlossen. Für schöne Sonntagsreden eignet sich das Aktionsprogramm aber allemal. Und so vergeht kein UN-Gipfel, auf dem die Blairs, Schröders oder Chiracs dieser Welt nicht einstimmig beschwören, wie wichtig ihnen das Thema Armutsbekämpfung sei.

Besonders eifrig ist der bundesdeutsche Schröder in seinem eigenen Land, und eilig hat er’s auch: Er will bis 2010 die Armut in Deutschland erhöhen. Macht er das, um dann auch am UN-Aktionsprogramm 2015 teilnehmen zu können? Der Kanzler hat da scheinbar etwas nicht ganz richtig kapiert. Vielleicht war er aber auch nur kurz eingenickt bei einem UN-Gipfel – ist ja anstrengend so ein Kanzlerleben. Ausgeschlafen hat er jetzt seine Zielgerade im Blick, die „Agenda 2010“: Dem Gewinner winkt der Sozialstaatsabbau. Und der heißt jetzt Modernisierung. Die fleißigen AktienbesitzerInnen werden geschont. Die Arbeitslosen dagegen müssen ran. Es gibt kein Recht auf Faulheit. Arbeit muss sich wieder lohnen, die Arbeitslosenhilfe wird durch die „Agenda 2010“ endlich auf Sozialhilfeniveau gesenkt. Arbeitsplätze schafft sie keine, aber eine Kurve geht bestimmt nach oben: die ohnehin wachsende Armut in Deutschland wird weiter steigen.

Ist Schröders Trick dabei, bis 2010 die Armutsrate nach oben zu treiben, um dann in einem fulminanten Endspurt bis 2015 die Armut in Deutschland wieder abzubauen? Da kann er dann die Ärmel hochkrempeln, das ist viel sinnlicher und spannender als dröge Steuerdiskussionen oder sich um Arbeitsplätze abzumühen. Nur Hochwasser in Dresden und Dessau ist eine größere Show für den Kanzler, aber die kommt ja nicht alle Jahre wieder. Und auch der nächste Krieg, gegen den sich Schröder aussprechen kann, ist längst keine ausgemachte Sache.

Arbeitslosenhilfe kürzen, Kündigungsschutz abbauen, Krankengeld als Eigenvorsorge – wir finden: Schröders Agenda ist viel zu lax. Auch Riester-Rente und Rürup-Kommission reichen nicht aus, das muss radikaler werden. Schröder sollte sich ein Beispiel an Lateinamerika nehmen. Die einheimischen Eliten, Chicago-Boys und Internationaler Währungsfonds haben dort gezeigt wie Ökonomien und Gesellschaften effektiv zerstört werden. Alles privatisieren, und das natürlich vollständig: Rente, Gesundheit, Bildung, Wasser, Strom. Deutschland ist auf einem guten Weg. Aber Schröder darf sich durch Zustimmung von Stoiber und Westerwelle zu seiner Agenda nicht einlullen lassen. Er braucht einen klaren Kopf und vielleicht noch Spezialisten: wie wär’s mit Menem oder Cardoso? Fujimori hat ebenfalls Zeit. Zusammen würden sie sogar eine Agenda 2005 schaffen! Mit Menem an seiner Seite wird Eichel die D-Mark wieder einführen und koppelt sie 1:1 an den Euro.

Und wenn Deutschland dann gründlich modernisiert ist, kann Schröder bei Lula abkupfern. Ein Null-Hunger-Programm in Deutschland – und die nächste Wahl ist gewonnen.


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