Solidarität mit den Mächtigen
Obwohl in diesen Zeiten nichts mehr so sein soll, wie es einmal war, werden wieder alte Werte beschworen. Solidarität zum Beispiel. Aber es geht nicht um Solidarität mit Armen, Unterdrückten oder Entrechteten, es geht um Solidarität mit den USA. Von uneingeschränkter Solidarität spricht der Bundeskanzler, und sogar die PDS wollte noch einen Tag vor den Bombenabwürfen auf Kandahar und Kabul kritisch solidarisch sein.
Die Solidarität mit den USA soll gleichzeitig als eine Solidarität gegen den Terror verstanden werden. Doch wo Terror eigentlich beginnt und wo er aufhört, darüber konnte sich nicht einmal die UN-Vollversammlung einigen. Ohne den geringsten Zweifel steht jedoch fest, dass es sich bei den Anschlägen vom 11. September um einen terroristischen Akt handelte. Für solche Taten gibt es zwar Gründe, aber niemals eine Rechtfertigung: die Verantwortlichen müssen verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden.
Was aber geschieht mit Ländern, die internationale Terroristen finanzieren und aufrüsten? Wir wissen, dass es die USA waren, die Osama Bin Laden stützten, als er im Kampf gegen die Sowjetunion noch auf der richtigen Seite stand. Wir wissen, dass Saddam Husseins Armee besonders von den Westmächten aufgerüstet wurde, solange sie noch die Mullahs im Iran bekämpfte. Und wir erinnern uns, dass die CIA in den 80er Jahren mit Drogengeldern und Waffenverkäufen an eben jenes Mullahregime im Iran die Contra finanzierte, die im sandinistischen Nicaragua Tausende von ZivilistInnen kaltblütig ermordete.
Er ist vielleicht ein Hurensohn, doch er ist unser Hurensohn!“ – so charakterisierte der ehemalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt den nicaraguanischen Ex-Diktator Anastasio Somoza. Die USA haben unzählige „Hurensöhne“ in der ganzen Welt genährt und aufgezogen. In Zeiten des kalten Krieges waren sie vom Kaliber des indonesichen Diktators Suharto, der in seinem Land über eine Millionen Kommunisten umbringen ließ. Danach waren sie vom Typus des ehemaligen peruanischen Geheimdienstchefs Montesinos, der eine Todesschwadron gründen, Wahlen manipulieren und sogar die Drogenkartelle seines Landes dirigieren durfte. Und in Zeiten des Terrorismus arbeiten die USA eng mit feudalen Herrschern wie dem saudi-arabischen König Faisal zusammen, in dessen Reich Frauen wie bei den Taliban als Untermenschen betrachtet werden. Oder mit dem pakistanischen Diktator Muscharraf, der nun darauf hoffen darf, dass die USA sein Land künftig als Atommacht akzeptieren.
Als George Bush junior die Präsenz der US-Truppen in der Region verstärkte, ergriffen Hunderttausende in Afghanistan die Flucht. Derweil lobten die Grünen die Besonnenheit der US-Regierung. Und selbst nachdem die USA ein UNO-Gebäude in Kabul beschossen und Streubomben abgeworfen hatten, haben sich die Grünen nicht von der Mär der Zielgenauigkeit der US-Angriffe verabschiedet. Wir erinnern uns: zielgenau waren auch die Angriffe während des Golfkrieges auf Bagdad. Die Bilanz des Krieges: hunderttausend tote IrakerInnen. Kein Zweifel: die USA bekämpften damals ein terroristisches Regime mit Kriegsterror.
Dennoch: Wer in diesen Tagen die Solidarität mit der US-Kriegspolitik in Frage stellt, wird des Antiamerikanismus bezichtigt. Gemeint ist natürlich der Anti-US-Amerikanismus, und die Tageszeitung Welt veröffentlichte schon die Konterfeis einiger Intellektueller, die dieser Geisteshaltung bezichtigt werden: unter anderem Günter Grass, Roger Willemsen und Ulrich Wickert. Letzterer hatte lediglich die Denkstruktur des US-Präsidenten Bush mit jener Bin Ladens verglichen und sich dafür noch demütig entschuldigt.
Doch Fakt ist: Die USA lassen nicht davon ab, „Hurensöhne“ aufzuziehen, und setzen – wie auch Bin Laden – auf die Logik der Vergeltung. Aus diesem Grund weigern sich die USA auch, den Vertrag zur Gründung eines Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren, der die Urheber des weltweiten Terrors zur Rechenschaft ziehen könnte. Solidarität gebührt den Opfern des Terrors, aber nicht dessen Urhebern, also auch nicht den USA.