Editorial | Nummer 323 - Mai 2001

US-Hegemonie durch Freihandel

Es ist alles eine Frage der Zeit. Als sein Vater seine Vision vom „Enterprise of the Americas“ verkündete, wurde er von vielen als Utopist belächelt. Es war 1990, als George Bush Senior seinen Traum von einer gesamtkontinentalen Freihandelszone verkündete. 11 Jahre später lacht keiner mehr. Seit dem Gipfel der amerikanischen Staaten in Québec ist die Utopie ein Schritt näher gerückt – zur Freude Weniger und zur Besorgnis Vieler.

Es waren nicht nur die DemonstrantInnen in Québec und in zahlreichen amerikanischen Städten, die ihre Befürchtungen zum Ausdruck brachten. Nein, auch die Staatschefs übten den rhetorischen Schulterschluss. Der mexikanische Präsident Fox betonte, dass Demokratie sich erst dann entfalten könnte, wenn Armut und Ungleichheit auf dem Kontinent reduziert worden sei. Und natürlich nützte auch der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso die Bühne, um sich als Gegenspieler zum US-Präsidenten Bush zu profilieren. Übereinstimmend betonten die lateinamerikanischen Staatsmänner, dass Freihandel nicht nur den großen Ländern und den Konzernen nützen darf, sondern die Lebensbedingungen ihrer Völker verbessern muss.
Doch Freihandel muss gar nichts, auch wenn er durchaus viel mit Zwängen zu tun hat. Bush zum Beispiel, steht weit mehr als sein Vorgänger Clinton unter Zwang, für offene Märkte zu sorgen. Schließlich ist der historische Wirtschaftsboom der Clinton-Ära unzweifelhaft vorbei und es stellt sich nur die Frage wie stark der Rückgang ausfällt. Die Exporte als potenzieller Konjunkturstimulator werden zwangsläufig an Bedeutung gewinnen.

Cardoso zum Beispiel. So sehr sich der Brasilianer verbal aus dem Fenster lehnt und die US-amerikanischen Hegemonial- und Homogenisierungsbestrebungen geißelt – spätestens bei der nächsten Währungskrise wird er wie im Januar 1999 auf monetäre Schützenhilfe aus Washington angewiesen sein. Eine Abhängigkeit, die für Pressionen verwundbar macht. Bei allen rhetorischen Bekenntnissen vieler lateinamerikanischer Staatschefs stellt sich die Frage, wie glaubwürdig sie sind, stehen doch Viele innenpolitisch für einen klaren neoliberalen Kurs mit bestenfalls leichter Sozialkosmetik. Um ihren Forderungen Glaubwürdigkeit zu verleihen, müssten Fox und Cardoso den Schulterschluss mit dem Anti-Globalisierungsbewegungen suchen. Davon ist bisher nichts zu sehen.

Dabei liegt der Ansatzpunkt auf der Hand. Die Forderung des Kontinentalen Sozialbündnisses, in dem sich Gewerkschaften und Organisationen der sozialen Bewegungen zusammengeschlossen haben, nach einer Volksabstimmung gilt es zu unterstützen. Schließlich wurde in Québec nichts so hoch gehalten wie die Forderung nach Demokratie und mit dem Verweis auf ihr Fehlen Kuba von Gipfel und Freihandelszone ausgeschlossen.

Allein, bisher haben nicht mal die nationalen Parlamente Einblick in den Verhandlungsstand erhalten. Dass demnächst ein Entwurf an die Öffentlichkeit kommen soll, ist ein erster bedeutender Erfolg der Protestbewegung. Die Stoßrichtung des Kontinentalen Sozialbündnisses ist klar: „Es kann keine Gleichbehandlung unter Ungleichen geben“. Doch genau das ist das Ziel der USA. Setzen sie sich durch, bedeutete dies die Festschreibung der US-Hegemonie über Lateinamerika. Mit der FTAA würden die Regeln des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zum kontinentalen Maßstab. Nicht nur Mexiko, sondern ganz Lateinamerika würde dann zur verlängerten Werkbank degradiert werden. Dabei gibt Mexikos NAFTA-Bilanz zu denken: dem Exportboom bei den Veredelungsbetrieben steht der Ruin klein- und mittelständischer Unternehmen gegenüber, die kleinbäuerliche Landwirtschaft ist den US-Importen nicht gewachsen und fährt mangels Absatzchancen die Produktion von Grundnahrungsmitteln zurück. Ein Szenario, dass als Schnittmuster nun dem ganzen Subkontinent droht.

Es ist an der Zeit, dass die lateinamerikanischen Staatschefs sich nicht nur rhetorisch zu ihren Völkern bekennen.

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