GEGEN DEN TRANSFEINDLICHEN NORMALZUSTAND

Ein sicherer Ort mit umfassender Betreuung In den Kliniken arbeiten interdisziplinäre Teams an der Hormontherapie (Foto: Renato Araújo/Agência Brasilia (CC BY 2.0))

Wie viele Travestis und trans* Frauen in Lateinamerika hat Brenda ihre Hormontherapie ohne ärztliche Begleitung begonnen. Diane 35, ein für die Behandlung von Akne vorgesehener Testosteronblocker sowie Perlutan, eine für cis Frauen vorgesehene Verhütungsspritze, sind frei in Apotheken verkäuflich. Seit dem Beginn ihrer Behandlung in einem Ambulatório Trans in ihrer Heimatstadt Natal konnte Brenda die Selbstmedikation reduzieren. „Auch wenn einige Hormone wie etwa Diane 35 vom SUS weiterhin nur für cis Frauen verschrieben werden, fühle ich mich bei den Trans-Kliniken gut aufgehoben. Dort werde ich von einer Endokrinologin betreut und kann kostenlos meine Östradiol- und Testosteronwerte kontrollieren lassen“.

Gegen die transfeindliche Politik Jair Bolsonaros ist die Implementierung der Trans-Kliniken ein wichtiger Schritt des Widerstandes. Seit Beginn seiner Amtszeit zieht der rechtsextreme Präsident seine konservative Agenda gegen die sogenannte „Gender-Ideologie“ durch und legitimiert transfeindliche Gewalt – und das in einer ohnehin schon polarisierten Gesellschaft. 2019 schwärmte Damares Alves, damals Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte, in einem Video, dass eine neue Ära anbrechen würde, in der „Mädchen rosa und Jungs blau tragen“. 2020 wurde ein Video von Eduardo Bolsonaro verbreitet, Sohn des Präsidenten und Kongressabgeordneter, in dem er während einer „Gender reveal party“ mit einer Waffe auf einen Ballon schießt, um das Geschlecht seines Kindes zu enthüllen. 

Jedes Jahr werden durchschnittlich 123 trans* Personen in Brasilien ermordet

Die Zahlen von Travestiziden und Transfeminiziden sind alarmierend hoch. Laut dem jüngsten Bericht der nationalen Vereinigung für Travestis und Transsexuelle (ANTRA), werden jährlich durchschnittlich 123 trans* Personen ermordet. Damit bleibt Brasilien das dreizehnte Jahr in Folge das Land, in dem weltweit am meisten trans* Personen ermordet werden. Daran hat sich nichts geändert, seit sich bei den Kommunalwahlen 2020 die Anzahl der in politische Ämter gewählten Travestis und trans* Menschen vervierfacht hat. Viele der jetzigen Abgeordneten sind mit anonymen Morddrohungen konfrontiert. Benny Briolly, Stadträtin von Niterói, musste sogar vorrübergehend das Land verlassen.

Trotz dieser brutalen Realität sind in den letzten Jahren eine bedeutende Zahl von Trans-Kliniken entstanden. Politisch ermöglicht hat dies eine 2011 noch unter der Regierung Dilma Rousseffs vom Gesundheitsministerium erlassene Richtlinie. 2013 wurde diese um den Zugang zur Hormontherapie sowie zu operativen geschlechtsangleichenden Maßnahmen für trans* Männer und Travestis erweitert. Die erste Trans-Klinik wurde 2009 in São Paulo eröffnet, mittlerweile finden sie sich in den meisten Hauptstädten des Landes. Manche, etwa diejenige in Salvador, sind nur durch das Engagement von Aktivist*innen wie Mirella Santos zustande gekommen. In ganz Brasilien gibt es momentan 33 Ambulatórios Trans – eine Zahl, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war.

„Die Trans-Kliniken bieten eine sichere Möglichkeit für die Hormontherapie“, erzählt Brenda. In der Klinik von Natal wird sie die im Laufe ihrer Therapie von einem interdisziplinären Team begleitet, dem auch Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen angehören. Als safe spaces garantieren die Kliniken eine kontinuierliche Behandlung. „In anderen Praxiszentren würden wir nicht so gut behandelt werden, wegen der Stigmatisierung unserer Körper und unserer Leben“ erläutert sie weiter. Diese koordinierte und sichere Möglichkeit zur Hormontherapie gibt es nicht einmal in Berlin. Dort müssen Termine bei verschieden Arztpraxen vereinbart werden. Eine ohne die Unterstützung durch die Community fast unmögliche Aufgabe. Zusätzlich muss die Diagnose einer Störung (F64 ICD 10) von einem*einer psychologischen Gutachter*in vorliegen.

„Die Diagnostizierung solch einer ‘Störung’ sollte verfassungswidrig sein“, meint Porca Flor, eine Travesti aus Brasilien. Sie berichtet, dass am Anfang ihrer Behandlung in der Trans-Klinik in João Pessoa auch eine psychologische Diagnose stand. Das Gespräch mit der Psychologin fand sie „karikaturistisch, aber zugleich interessant“, denn es war das erste Mal, dass sie überhaupt psychologische Beratung machte: „Ganz anders, als mit einer Freundin zu reden“, ergänzt sie. „Dennoch musste ich mich ständig daran erinnern, wer da eigentlich sitzt, und welche Logik der Normativität diese Person ausdrückt. Und dementsprechend habe ich einfach mitgespielt“. Nachdem sie mit dem Gutachten bei einem Psychiater war, konnte sie die Behandlung beginnen. Diese institutionelle Pathologisierung und Diskriminierung findet in vielen Ländern Lateinamerikas, aber auch Europas statt, wie die Organisation Transgender Europe in der Studie „Trans Healthcare Lottery“ kritisiert. „Wäre die Psychologin trans gewesen, oder rassifiziert, dann wär’s vielleicht was. Aber mit einer weißen cis Frau, die keine Ahnung von meinem Leben als Travesti hat, konnte ich nichts anfangen“, fügt Porca hinzu. „Denn es ist doch wünschenswert, dass wir alle eine psychologische Begleitung zu unseren Behandlungen bekommen. Es ist sehr schwer, selbst eine Hormontherapie durchzuführen, ohne zu wissen, wie du dich über die körperlichen Merkmale hinaus veränderst, auch was die sozialen Konsequenzen der Transition betrifft“.

Auch wenn die Trans-Kliniken als eine gegen die strukturelle Transfeindlichkeit gerichtete Organisation gelten, sind sie in ihrer Wirkmächtigkeit limitiert. ANTRA weist auf wichtige politische Herausforderungen hin. Seit der Aktualisierung der WHO-Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen (ICD-11) im Jahr 2018 wird „Transsexualität“ als Genderinkongruenz und nicht mehr als psychische Störung gelistet – ein Erfolg, aber die Richtlinien des Gesundheitsministeriums blieben bisher unverändert. „Wir müssen darauf ein Auge haben. Seit der Verfassungsänderung zur Obergrenze für öffentliche Ausgaben sieht die Lage im Gesundheitsministerium nicht gut aus. Es sind keine weiteren Investitionen vorgesehen und die konstanten Angriffe auf die SUS lässt Rückschritte befürchten“. Im Webinar „Transkommunikation im Netz“ von 2021 hat sich Bianca Lopes, Vertreterin von ANTRA in Góias, auch zu territorialen Limitierungen der von den Trans-Kliniken angebotenen Dienste geäußert. „Es fehlt eine ausführliche soziodemographische Dokumentation zu Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen. Ohne dieses Wissen ist der Erweiterung der Angebote auf andere Städte schwierig.“ Außerdem müssten die alltägliche Diskriminierung, die strukturelle Marginalisierung und die Gewalt gegenüber Travestis und trans* Personen in der Diskussion über den gerechten Zugang zur Hormontherapie und weiteren medizinischen Behandlungen eine zentrale Rolle spielen. Erst wenn diese Benachteiligungen vollständig berücksichtigt werden, kann sich die Gesundheitsversorgung entsprechend weiterentwickeln. Dass Brasilien überhaupt in der Lage ist, so einen institutionellen Service zu gewährleisten, ist das Ergebnis von politischem Aktivismus – und von diesem aus muss es sich auch weiterentwickeln.

Die Zukunft der Trans-Kliniken ist auch vom Ausgang der im Herbst anstehenden Wahlen in Brasilien abhängig. Bei einer Wiederwahl Bolsonaros könnte Gewalt gegen Travesti und trans* Personen noch weiter legitimiert werden. Und auch wenn einige der wichtigen Fortschritte für die Community unter den PT-Regierungen zustande kamen, ist fraglich, ob eine zukünftige PT-Regierung in der Lage wäre, sich gemeinsam mit Transaktvist*innen gegen die alarmierende Gewalt einzusetzen und das Fortbestehen der Trans-Kliniken zu garantieren und ihr Angebot zu verbessern.

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