Stranger Things in Quillabamba

© J.D. Fernández Molero

Zu Beginn scheint alles wie eine typische Legende: Ein kleiner Junge mit Namen Iván erzählt in einer Videoaufnahme, im Wald seiner Heimatstadt Quillabamba gäbe es Elfen – magische Wesen mit spitzen Ohren. Was niedlich klingt, erweist sich in der Folge als alles andere als harmlos. Denn das nächste Mal sehen wir den mittlerweile 14-jährigen Iván mit einer klaffenden Wunde an der Stelle seines einst gesunden rechten Auges und erfahren, dass er zwei Jahre im Dschungel verschollen und für tot erklärt worden war. Nach einer so drastischen wie blutigen Operationsszene (nichts für schwache Gemüter) steht fest: Nicht nur Iváns Auge ist verloren, sondern er selbst ist auch psychisch sichtbar verstört. Er hat Alpträume, isst nur wenig und spricht nicht mehr mit den Menschen in seiner Umgebung. Dazu gehört neben seinem Onkel, bei dem er aufwächst, auch die 19-jährige Indigene, junge Frau Mechía, die ihn aus dem Wald zurück nach Quillabamba gebracht hat. Mechía, die mit großen Träumen in die Stadt gekommen ist (unter anderem möchte sie Model für Kim Kardashians Modemarken werden) wird schon bald ebenfalls von teils realen, teils übersinnlichen Schrecken verfolgt.

Punku (Quechua für „Portal“) ist der neueste Film des peruanischen Regisseurs Juan Daniel Fernández Molero. Sein letzter Film, der preisgekrönte Videofilia (and other viral syndroms) nahm die Parallelrealität der jugendlichen Internet-Communities in der Hauptstadt Lima unter die Lupe. Punku behandelt hingegen die mythischen Dimensionen und Fabelwesen in einer Provinz des peruanischen Amazonasgebiets. Doch auch hier spielt die Jugendkultur und das Aufwachsen in einer konservativen und machistischen Umgebung eine große Rolle. Das bekommt vor allem Mechía zu spüren, die im Zuge ihrer Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb mit sexistischen Sprüchen und Annäherungen bombardiert wird. Dazu transportiert offenkundig ein geheimes Portal – ähnlich wie in der US-Erfolgsserie Stranger Things – allerhand unheilvolle Wesen aus anderen Dimensionen ins beschauliche Quillabamba.

Regisseur Fernández Molero spart auch ansonsten nicht mit unverhüllten Zitaten verschiedenster Horrorfilme. Die Super-8- und 16mm-Kameraaufnahmen, die er experimentell mit digitalem Material mixt, sind eine Parallele zum Genre-Klassiker Blair Witch Project. Eine Kamerafahrt über Serpentinen erinnert an Stanley Kubricks The Shining, ein mysteriöser Maskenmann an die Scream – Filme. Manche Szenen und Handlungsebenen bleiben dabei im Stile eines David Lynch mysteriös. Das macht Punku neben der fragmentierten und nicht immer linearen Erzählweise vermutlich für einige Kinogänger*innen zu einer Herausforderung. Zudem schafft es der Film auch nicht über die vollen zwei Stunden, einen roten Faden beizubehalten. Dennoch ist Punku durch sein ungewöhnliches, frisches Narrativ und seine originelle Bildsprache ein sehenswerter Berlinale-Beitrag geworden, an dem speziell Freund*innen experimenteller Formate und Horrorfilme auf jeden Fall ihre Freude haben dürften.

Triggerwarnung: Explizite Darstellung von Verletzungen und Operationen am Auge


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PACHAMAMA IN DEN ANDEN

Fotos: Jonas Klünemann

„In einem abgelegenen Teil Boliviens, weit weg von der Stadt, liegt ein Dorf namens Independencia, in dem ich aufgewachsen bin. Wir – seine Einwohner – gehören der Quechua-Kultur an.

Doña Isabel lebt als traditionelle Bäuerin, eine sogenannte Cholita

Unser Leben in den comunidades der Region steht in enger Verbindung mit der Pachamama (Mutter Erde). Für sie veranstalten wir Rituale mit Opfergaben wie die q’owa – ein verbrannter Lamafötus – und der ch’alla, das rituelle Begießen der Opfergabe mit starkem Alkohol oder Chicha, einem selbst gebrauten Maisbier. Sie werden von Tänzen begleitet, um Mutter Erde zu danken oder um ihren Segen zu erbitten. Außerdem praktizieren wir in den Gemeinden weiter die von unseren Vorfahren übernommenen Werte Ama llulla, Ama suwa und Ama qhella, was übersetzt so viel bedeutet wie „Lüge nicht, Stehle nicht, sei nicht faul“.

Don José trinkt chicha, ein selbstgebrautes Maisbier. Chicha ist wichtig für alle festlichen Momente in der Gemeinschaft, sie ist ein verbindendes Element: Es gibt nur eine Schale, die im Uhrzeigersinn herumgereicht wird und aus der alle Anwesenden trinken. Vor dem Trinken schüttet man einen Schluck auf den Boden, um die Chicha mit Pachamama zu teilen.

Es liegt in der Verantwortung unserer Bürgermeister, ihre Gemeinde auf dem richtigen Weg zu leiten und vor allem die Werte der indigenen Justiz durchzusetzen. Dazu gehört, dass Menschen, die auf Abwege geraten sind, von der Gemeinde und den Gemeindeautoritäten mit eigenen Händen bestraft werden und wieder in die Gemeinschaft eingegliedert werden müssen. Bei schlimmeren Vergehen kann es passieren, dass zum Beispiel Mörder oder Vergewaltiger bei lebendigem Leib verbrannt werden. In unserem engeren Umfeld richten wir uns überwiegend noch immer nach den Lehren unserer Großeltern.

Diese besagen etwa, dass man die eigene Kultur wertschätzen soll: die Musik der Region, die typische lokale Kleidung – wie die polleras und die aguayos (Tragetücher), die von den Frauen in den Gemeinden selbst hergestellt werden. Außerdem praktizieren wir die Prinzipien der mink’a – „Ich bekomme Essen von Dir und helfe Dir bei etwas anderem” – und der ayni – „Heute hilfst Du mir, morgen helfe ich Dir“ – bei denen wir gemeinsam arbeiten, um uns gegenseitig bei den Aufgaben in den Gemeinden zu unterstützen.

Don Angulo besitzt einen kleinen Bauernhof, auf dem er mit seiner Familie lebt. Wenn der Schulbus mal wieder ausfällt, laufen seine Kinder zwei Stunden zur Schule. Während der täglichen Arbeit auf dem Hof und auf den Feldern kaut Don Angulo Kokablätter.

In den Gemeinden verrichten die Bauern – begleitet vom Kokablatt, das sie mit Energie versorgt – Tag für Tag anstrengende Arbeit und streben so danach, etwas zum Leben zu haben.

Unsere kulturelle Identität ist fundamental mit Pachamama verknüpft, die uns jeden Tag neue Kraft gibt und uns im Kampf für eine bessere Zukunft unterstützt: ¡El pueblo unido jamás será vencido!“

Doña Maura in ihrem Garten. Auf der Wäscheleine trocknen ihre ajayo-Tücher und ihre polleras.



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